WM-Vorschau Gruppe E: Wackelnde Favoriten in der "Todesgruppe"?
Favorit: Spanien
Nach dem WM-Titel 2010 erlebten die Spanier bei den letzten beiden Weltmeisterschaften in Brasilien und Russland herbe Enttäuschungen: Das Aus in der Vorrunde 2014 und die Niederlage im Elfmeterschießen gegen Gastgeber Russland 2018. Nun sind die Spanier bereit, mit einer neuen Generation an Spielern den Tiki Taka-Fußball von 2010 wieder aufleben zu lassen. Unter Trainer Luis Enrique hat das Team nur ein Spiel in diesem Jahr verloren und erneut das Final Four in der Nations League erreicht. Die Erwartungshaltung in der Heimat ist trotzdem nicht überschwänglich - und genau das könnte Spaniens große Chance sein.
"La furia roja" lebt - wie auch das Team von 2010 - von seiner Spielstärke und dem scheinbar mühelosen Passspiel. Spielte Sergio Busquets damals hinter seinen Vereinskameraden Xavi und Iniesta, heißen diese beiden heute Gavi und Pedri. Die Gewinner der vergangenen beiden Golden Boy-Awards stehen für die Art Fußball, mit der Spanien zwischen 2008 und 2012 die Fußballwelt beherrscht hat. Ob es das auch in diesem Jahr tun kann, hängt maßgeblich an der Defensive. Granden wie Piqué und Ramos gehören der Vergangenheit an, 2022 hat Luis Enrique nur drei Innenverteidiger nominiert, darunter mit Aymeric Laporte (Manchester City) und Eric Garcia (FC Barcelona) zwei Spieler mit sehr wenig Spielzeit in ihren Vereinen. Eine kompakte Defensive sollte für die Iberer Bedingung und Schlüssel zum Erfolg sein, denn ihre Qualität in der Offensive kann kaum ein anderes Team bieten.
Star der Mannschaft: Pedri. Mit 19 Jahren bereits der Kreativkopf im spanischen Spiel. Dazu Lieblingsspieler von Trainer Luis Enrique. Wenn er komplett fit ist und Enrique ihn nicht verheizt, könnte er der WM seinen Stempel aufdrücken.
Größter Erfolg: Weltmeister 2010; Europameister 1964, 2008, 2012
Flashscore-Prognose: In einem engen Kampf ums Weiterkommen setzen sich die Spanier durch und rücken auf Platz eins ins Achtelfinale vor. Spätestens im Viertelfinale ist aber Schluss, die Defensive ist zu löchrig.
Verfolger: Deutschland
Genau wie Spanien konnte auch Deutschland den "Weltmeister-Fluch" nicht brechen. 2018 gabs nach dem Titel vier Jahre zuvor das peinliche Aus in der Gruppenphase gegen Mexiko, Schweden und Südkorea. Heute heißt der Bundestrainer nicht mehr Jogi Löw, sondern Hansi Flick. Mit dem 57-Jährigen sollte ein Wandel im Nationalteam stattfinden, denn viele deutsche Fans hatten sich von der DFB-Elf abgewandt. Nach gutem Start gegen dankbare Gegner erinnerten die letzten Auftritte doch beängstigend an das Ende der Löw-Ära: Viel Ballbesitz, wenig Biss und noch weniger Torchancen. Bezeichnend: Das karge 1:0 im letzten Testspiel gegen den Oman. Früher hätte man nach solchen "Rumpel-Siegen" optimistisch auf das anstehende Turnier geschaut und sich damit getröstet, dass die Deutschen eben eine "Turniermannschaft" sind. Heute stehen viele Fragezeichen vor dem Auftaktspiel gegen Japan.
Diese Fragezeichen sind nicht nur spielerischer Natur. Auch personell gibt es für Hansi Flick einiges zu entscheiden. Von der Achse der 2014er-Weltmeister sind nur noch Manuel Neuer und Thomas Müller übrig geblieben, gerade in der Verteidigung hat sich inzwischen viel getan. Neben Antonio Rüdiger, der nach starken Leistungen bei Chelsea und Real Madrid gesetzt ist, hat BVB-Stammkraft Nico Schlotterbeck in der Nationalmannschaft selten überzeugt. Ob er gegen Japan beginnt, oder doch Niklas Süle oder Matthias Ginter den Vorzug bekommen oder sogar drei Innenverteidiger starten, nichts ist sicher. Der auf dem Papier stärkste Mannschaftsteil ist das Mittelfeld, in dem sich Top-Spieler um die Plätze streiten. Doch auch im Sturm steht ein großes Fragezeichen: Rückt Thomas Müller auf die Neun, beginnt der blutjunge Moukoko oder der erstmalig berufene Niklas Füllkrug. Oder verzichtet Flick sogar ganz auf einen klassichen Mittelstürmer? Viele offene Fragen, die die deutsche Mannschaft in diesem Turnier beantworten muss.
Star der Mannschaft: Joshua Kimmich. Trotz einer schwächeren Phase bei den Bayern zu Beginn der Saison ist Kimmich als Ballverteiler, Zweikampfmonster und Antreiber der entscheidende Spieler im DFB-Team. Kann er seine Mitspieler mitreißen, könnte er eine ähnliche Rolle wie Bastian Schweinsteiger 2014 in Brasilien einnehmen.
Größter Erfolg: Weltmeister 1954, 1974, 1990, 2014; Europameister 1972, 1980, 1996
Flashscore-Prognose: Das zweite Gruppenaus in Folge kann das DFB-Team abwenden, aber in der K.O.-Runde ist früh Schluss. Andere Nationen haben den Deutschen den Rang abgelaufen. Platz zwei und Aus im Achtelfinale.
In Lauerstellung: Japan
Bei Japan ist trotz der Auslosung in die vermeintliche "Todesgruppe" das Ziel Viertelfinale offen ausgegeben worden. Und warum auch nicht? Die "Blauen Samurai" haben eine gute asiatische Qualifikation gespielt und stehen stabil in der Defensive. Trainer Hajime Moriyasu hat einen soliden, erfahrenen Kader für Katar nominiert, in dem er Routine vor jugendliche Leichtigkeit stellt. Vielleicht auch aus eigener Erfahrung: Als Spieler war er bereits im Wüstenstaat im Einsatz, das Ergebnis war die "Tragödie von Doha" 1993. Ein 2:2-Unentschieden in letzter Sekunde im WM-Playoff-Spiel gegen den Irak, das in Japan als kollektives Trauma ins Gedächtnis eingegangen ist. Damals bemängelten viele Beobachter die fehlende Erfahrung der Mannschaft, diesen Fehler will Moriyasu nicht erneut machen.
Die Mannschaft besticht vor allem in der Defensive durch die Routine von Torwart Shuichi Gonda (33), Kapitän Maya Yoshida (34) und Außenverteidiger Yuto Nagatomo (36). Weiter vorne wird es jünger und spielfreudiger: Das Mittelfeld wird organisiert von Stuttgarts Wataru Endo, Frankfurts Daichi Kamada und Sporting Lissabons Hidemasa Morita. Die großen Stärken des Teams liegen aber auf der offensiven Außenbahn: Mit Takumi Minamino (Monaco), Kaoru Mitoma (Brighton), Daizen Maeda (Celtic), Ritsu Doan (Freiburg) und Take Kubo (Real Sociedad) stehen gleich fünf Spieler auf internationalem Niveau für zwei Positionen zur Verfügung. Diese Spieler werden viel Verantwortung übernehmen müssen, denn bei aller Qualität auf den Flügeln fehlt ihnen traditionell der klassische Abschlussspieler.
Star der Mannschaft: Daichi Kamada. Kann und muss in die Rolle des Spielgestalters und Torjägers gleichermaßen schlüpfen, wenn Japan seine gute Spielanlage auch mit Toren krönen will. Wenn er seine Frankfurter Form hält, ist er für jeden Gegner gefährlich.
Größter Erfolg: Asienmeister 1992, 2000, 2004, 2011
Flashscore-Prognose: Japan wird mit Spanien und Deutschland auf Augenhöhe agieren, am Ende fehlt aber die Durchschlagskraft. Trotz drei guter Auftritte geht es mit Platz drei nach der Gruppenphase wieder nach Hause.
Außenseiter: Costa Rica
"Pura Vida" - mit diesem lebensbejahenden Motto trat das Team aus Costa Rica bei den letzten Weltmeisterschaften an und verdiente sich einen Ruf als Favoritenschreck. Mehr noch, 2014 verhinderte nur das Aus im Elfmeterschießen gegen die Niederlande eine Teilnahme am Halbfinale. Die "Ticos" (dt.: "Brüderchen") sind in den vergangenen Jahren in Sachen internationale Erfolge am mittelamerikanischen Konkurrenten Mexiko vorbeigezogen, und das mit harter Arbeit. Trainerroutinier Luis Fernando Suarez, der bereits mit Ecuador bei der WM 2006 in Deutschland dabei war, hat eine kollektiv funktionierende Mannschaft geformt, die sich auf ihre Stärken verlässt und selbst nach Kontern und Standardsituationen gefährlich wird.
Ihr letztes Vorbereitungsspiel vor der WM im Irak musste Costa Rica absagen, da die Pässe der Spieler bei der Einreise aus Kuwait nicht akzeptiert wurden - optimale Vorbereitung auf das Weltturnier sieht anders aus. Trotzdem ist das Gros der Mannschaft eingespielt und kann sich auf seine Stützen verlassen. Der Star des Teams steht im Tor und heißt Keylor Navas. Der Schlussmann von Paris Saint-Germain ist eine lebende Legende in seinem Heimatland und immer noch einer der besten Torhüter der Welt. Vor ihm spielt eine Mannschaft ohne die ganz großen Namen, höchstens die für routinierte WM-Gucker bekannten Namen Bryan Ruiz und Joel Campbell versprechen individuelle Klasse. Wenn Costa Rica in Rückstand gerät, dürfte es schwierig für die "Ticos" werden, selbst für Gefahr zu sorgen. Wenn sie das Spiel lange offen halten können, sind sie für keine Mannschaft im Turnier ein zu unterschätzender Gegner.
Star der Mannschaft: Keylor Navas. Die Lichtgestalt, über die in Costa Rica Bücher und Filme erschienen sind, wird einmal mehr über sich hinauswachsen müssen, um sein Land in wichtigen Momenten im Spiel zu halten. So wie er es schon oft getan hat.
Größter Erfolg: WM-Viertelfinale 2014, 7x Mittelamerikameister
Flashscore-Prognose: Costa Rica wird wie eigentlich immer positiv überraschen. Diesmal gibt es aber kein Favoritensterben wie 2014, als sie in der Gruppe Italien und England ausschalteten. Drei couragierte Auftritte reichen trotzdem nur zu Platz vier.