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Von Heidingsfeld in die Hall of Fame: Stationen einer stillen Weltkarriere

Von Heidingsfeld in die Hall of Fame: Stationen einer stillen Weltkarriere
Von Heidingsfeld in die Hall of Fame: Stationen einer stillen WeltkarriereProfimedia
Die Laufbahn eines der größten deutschen Sportstars beginnt beschaulich im Würzburger Stadtteil Heidingsfeld. In einer Schulturnhalle in Rattelsdorf lernt Dirk Nowitzki von seinem Mentor Holger Geschwindner und lässt noch 20 Jahre später seinen Schweiß auf dem blauen Linoleumboden. Nowitzki ist kein Mann der lauten Worte. Sein Spiel spricht für sich. Dennoch muss er im nächsten Jahr eine weitere Dankesrede halten – dann wird er voraussichtlich in die Naismith Memorial Basketball Hall of Fame aufgenommen.

Die ersten Schritte

Würzburg-Heidingsfeld ist ein bürgerliches Wohngebiet – geprägt durch Ein- und Zweifamilienhäuser. Es gibt eine Bushaltestelle, einen Edeka, Felder und Hügel. Im Unteren Katzenbergweg wächst der junge Dirk Nowitzki mit Vater Jörg, Mutter Helga und Schwester Silke auf. Eine sportverrückte Familie. Mit sechs versucht sich Dirk beim Handball und eifert seinem Vater nach. Als die Eltern in ihrer Freizeit Tennis ausprobieren, greift auch Dirk begeistert zum Racket. Zum Basketball kommt er erst mit 13 durch seine Schulmannschaft. 

Den Korb im Hof haben die Eltern eigentlich für seine Schwester aufgebaut, die schon im Verein aktiv ist. Doch auch Dirk, mittlerweile über zwei Meter lang, lässt nun stundenlang den orangen Gummiball durch die Luft fliegen und eröffnet seinem Vater, dass er den Sport wechseln will. In seinem Kinderzimmer hängt jetzt ein Poster von Scottie Pippen über seinem Bett und eines von Charles Barkley an seinem Schrank.

Taktgeber Geschwindner

1993 trifft Nowitzki seinen Mentor Holger Geschwindner bei einem Regionalligaspiel in Schweinfurt. Nowitzki ist damals 16. Geschwindner, früherer National- und Bundesligaspieler, entwickelt ein innovatives, man könnte auch sagen verrücktes, Trainingskonzept für seinen Schützling. Er kombiniert Elemente aus der Mathematik, Psychologie oder Physik miteinander. Basketball ist für Geschwindner wie Musik: "Der Spieler muss kontrolliert seine Tanzschritte können. Gut getanzt, ist gut gespielt", schreibt er in seinem Buch "Nowitzki. Die Geschichte". Der Körper sei ein Instrument, das Basketballteam eine Jazzband.

Holger Geschwindner trainiert Nowitzki in der Rattelsdorfer Turnhalle.
Holger Geschwindner trainiert Nowitzki in der Rattelsdorfer Turnhalle.Profimedia

Eine spartanische Turnhalle in Rattelsdorf wird ihr Probenraum. Den Schlüssel holen sie in der Bäckerei am Marktplatz, sie trainieren zwischen den Schulklassen. Hier springt Nowitzki jahrelang wie ein Hase über das Feld – zehn Sprünge für 28 Meter. Er läuft auf Händen durch die Halle, trägt beim Werfen eine Bleiweste. Nach Berechnungen Geschwindners übt er die perfekte Flugbahn des Balles und Körperhaltung beim Wurf. Geschwindner lässt seinem talentierten Zögling aber viele Freiräume: "Früh organisierte der Bub sein Konditionstraining selbst. Dirk war ehrgeizig".

Auch die Trainingslager Geschwindners sind legendär. Er lädt seine Spieler zum Rudern an den Starnberger See ein, am Morgen stehen "Jazzgymnastik-Einheiten" auf dem Programm. Erst dann geht es in die Basketballhalle. Geschwindner bietet immer wieder neue Ideen an, ohne Nowitzki einzuschränken oder ihm die Lösung vorzugeben. 

Zwischen Verrat und Verheißung

Am 29. März 1998 sitzen Geschwindner und Nowitzki in einer Maschine in Richtung San Antonio. In Würzburg weiß niemand von dem tollkühnen Plan. Am Wochenende soll das entscheidende Aufstiegsspiel der DJK Würzburg in die erste Bundesliga stattfinden. Doch Nowitzki steht nicht in Würzburg, sondern beim Nike Hoop Summit auf dem Parkett, dem Aufeinandertreffen der besten amerikanischen und internationalen Talente. Auch wenn in seiner Heimatstadt die Empörung zunächst groß ist, für Nowitzki ist das der Durchbruch. Er erzielt 33 Punkte, schnappt sich 14 Rebounds, verwandelt 19 seiner 23 Freiwürfe und wird schon mit der Legende Larry Bird verglichen. Würzburg gewinnt auch ohne seinen Besten das Aufstiegsduell.  

Nowitzkis Name steht nun fett in den Notizbüchern der NBA-Scouts. Am 24. Juni 1998 draften ihn die Milwaukee Bucks an neunter Stelle, traden ihn aber gleich für Robert Traylor zu den Dallas Mavericks. Nowitzki ist nach Detlef Schrempf, Uwe Blab und Christian Welp erst der vierte Deutsche, der es in die beste Basketballliga der Welt schafft. Bei seiner Präsentation in Dallas steht er auf dem Podium schüchtern neben einem blondierten Steve Nash, der ebenfalls neu in Texas ist. Zwischen den beiden entwickelt sich eine dicke Freundschaft.

In Deutschland trauen ihm nicht alle den schnellen Durchbruch zu. Geschwindner zitiert in seinem Buch den damaligen Bundesliga-Coach und ehemaligen Bundestrainer Svetislav Pesic: "Er hätte nicht in die NBA wechseln sollen. Dort erwarten die Trainer fertige Spieler, aber Dirk ist noch nicht ausgereift. Ich bezweifle, dass die Dallas Mavericks die Geduld aufbringen, aus dem Talent Nowitzki einen NBA-Spieler zu formen."

Nowitzki 1999 im Trikot der Dallas Mavericks
Nowitzki 1999 im Trikot der Dallas MavericksProfimedia

Die erste NBA-Saison Nowitzkis scheint den Kritikern recht zu geben. Die Spielzeit beginnt nach einem Streik erst Anfang 1999. Dem Rookie bleiben nur 47 Saisonspiele, 8,2 Punkte und eine unterirdische Dreierquote von 20 Prozent. Nowitzki ist zum ersten Mal weit weg von seiner Familie. Doch mit Steve Nash hat er einen Weggefährten und mit Don Nelson einen Trainer gefunden, der an ihn glaubt. 

"The German Wunderkind"

Schon in seiner zweiten Saison reift Nowitzki zum Star. Aus der Grauen Maus Dallas macht er ein Playoffteam. 2002 dann das erste Allstar Game in Philadelphia. Der 2,13 Meter große Forward spielt an der Seite von Kobe Bryant, Shaquille O'Neal oder Tim Duncan – dreizehn weitere Nominierungen für die Auswahl sollen folgen. 2006 und 2007 erlebt Nowitzki die größten Tiefpunkte seiner NBA-Karriere. Nach 2:0-Führung verlieren seine Mavs in den Finals gegen die Miami Heat 2:4. Ein Jahr später scheiden sie als top gesetztes Team in der ersten Runde gegen die Golden State Warriors und ihren alten Trainer Don Nelson aus. Kurz nach dieser bitteren Pleite wird Nowitzki zum MVP gekürt, zum besten Spieler der regulären Saison. So nah liegen Niederlagen und Siege beieinander.

Trotz teilweise 100 NBA-Spielen pro Saison streift sich Nowitzki Sommer für Sommer das Trikot der deutschen Nationalmannschaft über. 2002 gewinnt er mit seinem Team die Bronzemedaille bei der Weltmeisterschaft in Indianapolis, 2005 folgt Silber bei der EM in Serbien und Montenegro. 2008 erfüllt er sich und seinen Mitspielern den Traum von den Olympischen Spielen. Die Olympischen Ringe in die Haare rasiert, trägt er die deutsche Fahne ins Pekinger Vogelnest. Seine DBB-Karriere endet erst 2015 bei der EM im eigenen Land. Noch ein letztes Mal läuft die Nummer 14, die er in der Nationalmannschaft trägt, in der Berliner Mercedes-Benz Arena auf und verbeugt sich nach der finalen Schlusssirene vor dem Publikum.

Dirk Nowitzki nach seinem letzten Spiel im Nationaltrikot.
Dirk Nowitzki nach seinem letzten Spiel im Nationaltrikot.Profimedia

Meister und Mentor

Unsterblich macht sich Dirk Nowitzki 2011. Er ist fast 33, langsam schmerzen die Knie. Viele sehen in ihm bereits einen überdurchschnittlichen Spieler, der aber nie eine NBA-Meisterschaft gewinnen konnte. Die bitteren Playoffniederlagen 2006 und 2007 tragen zu diesem Ruf bei. Fünf Jahre nach dem Trauma gegen Miami sind die Heat erneut Gegner im Endspiel. Auf dem Papier ist das Superteam aus Florida mit LeBron James, Dwyane Wade und Chris Bosh der Favorit. Doch diesmal dreht Nowitzki den Spieß um und trägt seine Mavs beim 4:2 zur ersten Meisterschaft der Club-Geschichte. Nowitzki ist Finals MVP. Hunderttausende säumen die Straßen von Dallas bei der Siegesparade. Nowitzki schmettert den Massen ein "We are the Champions" entgegen. Er ist endgültig auf dem Basketball-Olymp angekommen, in Dallas wird sogar eine Straße nach ihm benannt.

In Würzburg empfangen ihn ebenfalls unzählige Fans, genau wie beim Gastspiel seiner Mavericks gegen ALBA Berlin. Nur einige Minuten humpelt Deutschlands größter Sportstar sichtlich angeschlagen über das Feld, doch das tut seinem Auftritt keinen Abbruch. Zehn weitere Jahre in der nordamerikanischen Profiliga folgen. Langsam fordern die enormen Belastungen ihren Tribut. Nowitzki wird vom Leistungsträger zum Mentor des neuen Dallas-Stars: Luka Doncic.

2011 gewinnt Nowitzki die ersehnte NBA-Meistertrophäe.
2011 gewinnt Nowitzki die ersehnte NBA-Meistertrophäe.Profimedia

Nowitzkis 21. Saison ist seine letzte. Noch nie lief ein Spieler in der NBA so lange für ein einziges Team auf. Thomas Pletzinger beschreibt in seinem Buch "The Great Nowitzki", wie sich der Würzburger sein Karriereende vorstellt: "leise und unbemerkt. Einfach spielen und dann sagen: Das war es". Doch Amerika ist das Gegenteil dessen. Helden werden hier gefeiert, auch wenn sie wie Nowitzki am Ende ihrer Karriere etwas hüftsteif wirken. Die letzte Spielzeit wird zu einer Abschiedstour. Karriere-Highlights flimmern über die Videowürfel, egal ob in Phoenix, New York oder Toronto. Bei seinem letzten Heimspiel, am 9. April 2019, darf Nowitzki noch einmal 30 Punkte werfen. Auf der Tribüne sitzen seine Familie und sein Mentor Holger Geschwindner. Die Idole seiner Kindheit stehen im Mittelkreis des American Airlines Centers. Charles Barkley und Scottie Pippen sind gekommen, die als Poster in Nowitzkis Heidingsfelder Kinderzimmer hingen. Ein Kreis schließt sich.