Nach drei Stunden Schwerstarbeit: Medaillentraum von Angelique Kerber geplatzt
Angelique Kerber kämpfte tapfer und mit jeder Faser ihres Körpers gegen die überwältigende Flut an Emotionen an, dann brach ihre Stimme schließlich doch.
"Jetzt ist es also vorbei. Und es ist irgendwie verrückt. Ich habe wirklich alles in meiner Karriere erreicht", sagte die Grande Dame des deutschen Tennis nach dem dramatischen, dreistündigen Schlussakt ihrer großen Laufbahn im Viertelfinale der Olympischen Spiele von Paris: "Im Moment bin ich einfach nur stolz."
Und das durfte die 36-Jährige auch mit allergrößter Berechtigung sein, als sie dort im Schatten des mächtigsten Courts von Roland Garros stand. Die 7:6 (7:4), 4:6, 6:7 (6:8)-Niederlage auf Philippe Chatrier gegen die Chinesin Qinwen Zheng war ein perfektes Komprimat dessen, was Kerber in 21 Jahren Profijahren so populär gemacht hatte.
Sie wehrte drei Matchbälle ab, zeigte das komplette Repertoire großer Emotionen, kämpfte um jeden noch so aussichtslosen Punkt und nahm das komplette Publikum mit. Mit langen "Angie"-Sprechchören verabschiedete Paris einen seiner Lieblinge in den Ruhestand.
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Viele Glückwünsche
"Ich werde dieses Match immer in Erinnerung behalten", sagte Kerber: "Alleine in diesem letzten Tiebreak kamen so viele Emotionen hoch. Ich habe einfach versucht, taff zu sein." Das muss sie jetzt nicht mehr. "Zwei, drei Tage" werde sie schon brauchen, das alles zu verarbeiten, "vielleicht auch zwei, drei Wochen". Sie hat jetzt alle Zeit dazu im Kreise ihrer Familie, bei Töchterchen Liana.
Als am Dienstag um 17:19 Uhr alles vorbei war, verbeugten sich viele vor Kerber. "Liebe Angie, herzlichen Glückwunsch für deine einzigartige Karriere mit 3 Majors, Silber in Rio und Nr. 1 der Welt", schrieb Boris Becker bei X: "Wir werden dich sehr vermissen."
Die frühere Bundestrainerin und langjährige Wegbegleiterin Barbara Rittner lobte "eine außergewöhnliche Sportlerin, die uns nochmal alles gezeigt hat. Sie wird uns fehlen."
Und auch Gegnerin Zheng wünschte Kerber "alles, alles Gute für den Ruhestand. Sie ist eine Spielerin von außergewöhnlicher mentaler Stärker." Selten wirkte die Verliererin eins Matches so sehr wie die Gewinnerin eines Turniers.
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"Wollte Entscheidung immer selber in der Hand haben"
Dabei hätte Kerber auch diesmal nicht die Verliererin sein müssen, im erbittert geführten Duell mit der Weltranglistensiebten entschieden Kleinigkeiten. "Natürlich bin ich traurig, am Ende waren es zwei Punkte", sagte Kerber. Das Halbfinale war greifbar, ein Medaillen-Märchen, ein Happy End sondergleichen.
Auch wenn dies ausblieb: Kerbers Reise hat das Potenzial dazu, die emotionalste und schönste deutsche Geschichte dieser Sommerspiele zu bleiben. Mühsam hatte sie sich durch die Monate seit dem Comeback nach ihrer Babypause gequält, sich noch einmal in Form gebracht und dann am Tag vor der Eröffnungsfeier publik gemacht, dass nach Paris Schluss ist.
Befreit und ohne Erwartungen marschierte Kerber durch die Runden, schlug Japans Topspielerin Naomi Osaka und zwei weitere Gegnerinnen, hatte auch Zheng am Rande einer Niederlage. Und dann - war Schluss. Auf einem Höhepunkt.
"Ich liebe Tennis immer noch. Aber ich wollte die Entscheidung, wann und wie ich aufhöre, immer selber in der Hand haben. Ich wusste, dass mein Herz mir den richtigen Zeitpunkt mitteilen wird", sagte Kerber.
Das Herz hat gesprochen, sie hat gehorcht, es ist zu Ende, definitiv. "Ich weiß, dass ich noch mithalten kann, aber die sind alle 15 Jahre jünger", sagte Kerber: "Ein Comeback mit 45? Das wird es nicht geben, denke ich."