Der Sandplatzkönig: Rafael Nadals langsamer Abschied von Roland Garros
Rafael Nadal ist bei den French Open 2024 keiner der Titelfavoriten. Da sind Experten, Buchmacher und Fans ausnahmsweise einer Meinung.
Nach einer schweren Hüftverletzung neigt sich seine Karriere allmählich ihrem Ende zu. Einst war Nadals ausgeprägte Athletik dessen größte Stärke. Mittlerweile macht sein Körper dem 37-jährigen Spanier einen dicken Strich durch die Rechnung.
Ob seine unglaubliche Karriere tatsächlich mit Jahresende zu Ende geht, steht noch nicht endgültig fest. "Es besteht eine große, große Chance, dass dies mein letztes Mal in Roland Garros ist, aber, wenn ich Ihnen sagen soll, dass das zu 100 Prozent so ist, dann werde ich das nicht tun", sagte Nadal vor dem mit Spannung erwarteten Erstrundenduell gegen Alexander Zverev.
Obwohl sich Zverev kürzlich beim prestigeträchtigen Rom-Masters den Titel holte und er sein Auftaktmatch als Favorit bestreitet, ist sein Respekt vor dem Sandplatzkönig gigantisch. "In meinem Kopf muss ich gegen Prime-Rafa spielen", erläuterte Deutschlands Tennis-Ass seine Herangehensweise: "Ich gehe davon aus, dass er sein bestes Tennis spielen wird."
Match-Center: Alexander Zverev vs. Rafael Nadal
Unfassbare Bilanz bei den French Open
Die Trophäensammlung von Rafael Nadal ist beeindruckend. 92 Titel auf der ATP-Tour, 22 Grand-Slam-Titel, 14 davon in Roland Garros, insgesamt 209 Wochen auf Platz eins der Weltrangliste: Das sind Zahlen für die Ewigkeit.
Auf Sand weist der Routinier eine Siegesquote von 91,2 Prozent auf. In Roland Garros musste er erst drei Niederlagen einstecken - demgegenüber stehen 112 Siege. Insbesondere auf dem legendären Court Philippe-Chatrier gilt Nadal als fast unbezwingbar.
Diese Erfahrungen haben schon etliche Spitzenprofis machen müssen. Novak Djokovic etwa war in den vergangenen Jahren einer seiner größten Widersacher. 2021 fügte er ihm im Halbfinale die bislang letzte Niederlage bei den French Open zu.
Im Gespräch mit "The Athletic" versuchte der Serbe das Phänomen Rafa in Worte zu fassen. Auf dem großen Centre-Court in Paris sei Nadal "wie eine Mauer". Nadal stehe "beim Return gerne ziemlich weit hinten. Manchmal, wenn er wirklich in der Zone und im Groove ist und nicht viele Fehler macht, hat man das Gefühl, dass er unangreifbar ist."
Ein trügerisches Gefühl
Laut Casper Ruud könne kaum ein anderer Profi "das Spiel so gut lesen" wie Nadal. Und Zverev - der in bislang sechs Duellen auf roter Asche nur einmal gewinnen konnte - gerät ebenfalls ins Schwärmen.
Auf dem Philippe-Chatrier sei der Mallorquiner plötzlich ein anderer Spieler. Durch den riesigen Court sei es "schwieriger, einen Winner zu schlagen", denn Nadal schafft es durch seine "Beinarbeit und Fußgeschwindigkeit" auch an die unmöglichsten Bälle zu kommen: "Irgendwie hat man das Gefühl, dass man gewinnt, aber am Ende verliert man trotzdem."
Stefanos Tsitsipas erwähnte Nadal nach dem Turniersieg beim Masters-Turnier in Monte-Carlo vor einigen Wochen explizit als Vorbild: "Viele der großen Sandplatzturniere, die ich gewonnen habe, verdanke ich ihm”, sagte der Grieche: “Sein Spiel ist eine Quelle der Inspiration für alle Spieler, die versuchen, seine besten Eigenschaften auf Sand nachzuahmen."
Eine unglaubliche Vorhand
Dutzend weitere Lobeshymnen wurden im Laufe der vergangenen Jahre auf Rafael Nadal angestimmt. Immer wieder im Mittelpunkt steht dabei seine außergewöhnliche Physis.
Eine andere Waffe hat Nadal einen Fixplatz in den Tennis-Lehrbüchern dieser Welt beschert: Seine außergewöhnliche Vorhand. Fast 5.000 Umdrehungen pro Minute erreicht sein Vorhand-Topspin. Bereits 3.000 Umdrehungen gelten auf der ATP-Tour als außergewöhnlich starker Wert.
Seine Griffhaltung ist extrem, seine Handinnenseite befindet sich fast komplett unter dem Griff. Seine Technik wird in Lehrvideos gerne als "Scheibenwischer-Bewegung" bezeichnet. Der Rumpf, die Beine und nicht zuletzt der Schläger befinden sich in einer starken Rotations-Bewegung.
Das Racket wird dabei gegen den Zielpunkt gerichtet. Bei hohen Bällen ist Nadal durch seine Technik grundsätzlich im Vorteil, kommen die Schläge flach, erfordert sein Stil hingegen allerhöchste Präzision.
Amateurspielern wird vehement davon abgeraten, diese Technik nachzuahmen - damit sie erfolgreich eingesetzt werden kann, muss jedes Detail passen.
Mehr als nur Tennis: Ein echter Superstar
Nadal ist kein kompletter Spieler. Seine Rückhand und sein Aufschlag galten lange Zeit als große Schwäche. Auch am Netz fühlte er sich nie ganz heimisch.
Dass er dennoch zu den erfolgreichsten und einflussreichsten Spielern aller Zeiten gehört, steht außer Frage. Nadals Einfluss auf dessen Titel oder seine spektakuläre Vorhand zu reduzieren, würde seiner Karriere keinesfalls gerecht werden.
Auch sein Charakter ist einzigartig. Längst ist der 37-Jährige eine Ikone geworden, deren Einfluss und Prominenz weit über die Tennis-Szene hinausgeht. Nadals Spielstil gefällt nicht jedem, lässt Raum für Kritik - doch selbst die größten Zweifler haben großen Respekt vor seiner unglaublichen Karriere.
Das hat er einerseits seinem unglaublichen Trainingsehrgeiz ebenso zu verdanken wie seiner nie enden wollenden Bodenständigkeit. Wutausbrüche, Schimpftiraden auf den Schiedsrichter und nervenaufreibender Trash Talk befinden sich nicht in seinem Repertoire.
Kein Zufall also, dass tausende Fans seiner öffentlichen Trainingseinheit mit Holger Rune am Samstag beiwohnten.
Der perfekte Rivale
Das eint ihn mit einem seiner größten Rivalen: Roger Federer. Die Rivalität mit dem Schweizer hat das frühe 21. Jahrhundert geprägt. Zwischen 2005 und 2010 gingen nur drei von insgesamt 20 Grand-Slam-Titeln nicht an Nadal oder Federer.
Trotz aller Konkurrenz weiß Federer die menschlichen Fähigkeiten des Sandplatzkönigs zu schätzen. Als er 2022 seine Karriere beendete, ging das Duo beim Laver-Cup in London gemeinsam im Doppel an den Start. "Es hat mal wieder gezeigt, was wir einander bedeuten und wie viel Respekt wir voreinander haben", erklärte Federer damals.
Und auch in einer jüngst veröffentlichten Werbekampagne des Modedesigners Louis Vuitton wurde offensichtlich, was Rafael Nadal zusammen mit Federer für diesen Sport geleistet hat.