Wimbledon, EM und Stadionatmosphäre: Ons Jabeur im Exklusiv-Interview
Welcher Mannschaft drückst du bei der EM 2024 die Daumen?
Jeder weiß, dass ich ein großer Fan von Cristiano Ronaldo bin, also drücke ich Portugal ein bisschen die Daumen. Ich mag auch England und Italien. Und da ich in Deutschland bin, werde ich auch Deutschland die Daumen drücken (lacht).
Ich versuche, die Spiele so gut wie möglich zu verfolgen und zu genießen. Als die Türkei gewonnen hat (3:1-Sieg gegen Georgien), war das so, als hätten sie die Europameisterschaft gewonnen. Alle sind durchgedreht. Und die türkische Flagge ähnelt der tunesischen, also tue ich bei einem Sieg so, als wäre es Tunesien (lacht).
Würden Sie sich im Tennis eine ähnliche Atmosphäre wie im Fußball wünschen?
Das ist eine schwierige Frage, weil wir nicht daran gewöhnt sind, dass die Zuschauer während der Punkte skandieren oder so etwas. Aber alles, was (im Publikum) während der Punkte passiert, ist toll. Ich habe das schon bei ein paar Spielen erlebt, und die Stimmung war unglaublich.
Wenn jemand "Los geht's, Ons" ruft und du dich schon auf den Punkt konzentrierst, stört dich das?
Nein, ich sehe das immer als etwas Positives. Wie gesagt, ich mag es wirklich, wenn die Zuschauer skandieren, das ist wirklich schön zu hören.
Kein Fokus auf WTA-Ranking
Stefanos Tsitisipas ist besessen von der Weltrangliste, während Madison Keys sie als Ablenkung empfindet. Wie ist dein Verhältnis zu Ranglisten?
Im Moment achte ich nicht viel darauf. Ich habe das Gefühl, dass ich nicht weit weg bin (von der Spitze), weil ich zu Beginn der Saison gut abgeschnitten habe. Zurzeit versuche ich, mein Selbstvertrauen zurückzugewinnen, Spaß auf dem Platz zu haben, mein Spiel zu genießen und als Spielerin solide aufzutreten. Jeder hat es verdient, dort zu stehen, wo er steht.
Haben Sie gute Träume oder Albträume vor Wimbledon?
Ich bin keine große Träumerin, um ehrlich zu sein. Ich habe noch nie von Wimbledon geträumt, aber ich hoffe, dass ich eines Tages dort den Titel holen kann.
"Ganz anderer Rasen" in Wimbledon
Wie geht es deinem Knie?
Meinem Knie geht es aktuell gut. An manchen Tagen ist es besser als an anderen. Ich denke, dass ich es nach Wimbledon noch einmal überprüfen lassen muss. Aus Sand ist es OK, auf Rasen ist es OK - aber der Wechsel des Belags ist nicht ideal. Als muss ich unter Kontrolle behalten.
Gibt es immer noch eine Lücke zwischen deinem Match-Niveau, und dem Niveau, das du letztlich erreichen möchtest?
Ich denke, es ist ungefährlich gleich. Es gibt viele Dinge, die ich noch verbessern kann. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass man schlecht spielen und trotzdem ein Finale erreichen kann - wie letztes Jahr in Wimbledon. Man kann aber auch gut spielen und ein Finale erreichen. Ich glaube, das Wichtigste ist, in jedem Match positiv zu bleiben.
Wenn man nach Wimbledon kommt, ist es ein ganz anderes Turnier, ein ganz anderer Rasen. Aber ich spiele gerne auf diesem Untergrund und ich hoffe, dass ich bis Wimbledon an Selbstvertrauen gewinne.
Es heißt, dass der Rasen beim WTA-500er in Berlin dem in Wimbledon sehr ähnlich ist. Sehen das die Spielerinnen auch so?
Er kann nicht derselbe sein, denn das Klima ist hier völlig anders. Es regnet in Berlin nicht so viel wie in London. Wenn du einen Fußballer fragst, wird er dir sagen, dass jedes Stadion einen anderen Rasen hat. Ich denke, dass wir Tennis-Profis in dieser Hinsicht noch strenger sind, weil viel vom Aufprall des Balles abhängig ist.
Was sind die Unterschiede zwischen dem Rasen in Berlin und dem in Wimbledon?
Der Ball springt hier höher auf, es gibt mehr Unebenheiten und man bekommt schlechte Abpraller. Ich glaube auch, dass der Rasen langsamer ist, weil der Ball höher abprallt. Iga (Swiatek) würde gerne hier spielen (lacht).
Zum Match-Center: Gauff vs. Jabeur
Große Dankbarkeit statt Titelsehnsucht
Hast du das Gefühl, dass in Wimbledon für dich nur der Titel einen echten Triumph bedeuten würde?
Wenn ich jeden Tennisspieler auf diesem Planeten frage, ob er gerne drei Grand-Slam-Finals erreichen möchte, würde jeder bejahen. Ich habe einigen Profis genau diese Frage gestellt, um mich daran zu erinnern, dass ich dankbar sein sollte. Einige Spieler haben nie erreicht, was ich erreicht habe. Dankbarkeit für das, was man erreicht hat, ist im Leben grundsätzlich wichtig.
Ich komme aus einem kleinen Land, von einem Kontinent, der noch nie einen Grand Slam gewonnen hat. Es ist toll, was ich erreicht habe. Natürlich ist es immer schwierig, wenn man ein Finale erreicht und dann nicht gewinnt. Aber ich werde meine Träume weiterverfolgen. Ich habe gelernt, dass ich keine Angst vor dem Scheitern haben sollte. Das gibt mir Mut.