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Schalke 04 in der Analyse: Wer streift ab Winter das königsblaue Trikot über?

Micha Pesseg
Schalke 04 in der Analyse: Wer streift ab Winter das königsblaue Trikot über?
Schalke 04 in der Analyse: Wer streift ab Winter das königsblaue Trikot über?Profimedia
Der FC Schalke 04 ist das Krisenkind der Bundesliga. Nur neun Punkte aus 15 Spielen, klar am letzten Tabellenplatz. Der erneute Abstieg soll um jeden Preis verhindert werden. Trotz finanzieller Sorgen möchte der Traditionsverein im Winter in neue Spieler investieren. Man könne "im mittleren, einstelligen Millionenbereich" investieren, so Sportvorstand Knäbel. Wir werfen einen kurzen Blick zurück auf die ereignisreiche Rückrunde und analysieren, welche Wintertransfers die Problemzonen schließen könnten.

Schalke-Fans können eine besinnliche Weihnachtszeit gut gebrauchen. Das Jahr 2022 war für die königsblaue Seele eine emotionale Achterbahnfahrt ohne Sicherheitsgurt. Im Frühjahr sicherte Vereinsikone Mike Büskens als Interimstrainer den Wiederaufstieg in die Bundesliga - doch in der höchsten Spielklasse verpufft die Aufstiegseuphorie schnell. Acht Pflichtspiel-Niederlagen in Folge, eine Trainerentlassung, Rouven Schröders plötzlicher Abschied, ein Fünkchen Hoffnung nach ordentlichen Auftritten unter dem neuen Chefcoach: Es war viel los in Gelsenkirchen.

Neuer Trainer, neuer Aufschwung

Noch gibt es keinen neuen Sportdirektor. Ende Oktober hatte Schröder unerwartet seinen Abschied von S04 bekannt gegeben - aus privaten Gründen. Der Zeitpunkt war unglücklich, die Knappen befanden sich mitten auf der Trainersuche. Frank Kramer - so waren sich Vorstand und Schröder kurz zuvor einig gewesen - erreichte die Mannschaft nicht mehr, war als Trainer nicht länger tragbar gewesen. Nach turbulenten Verhandlungen trat schließlich Thomas Reis Kramers Erbe an.

Der gebürtige Baden-Württemberger gab den mittlerweile von argen Abstiegssorgen geplagten Fans neue Hoffnung. Die Schalker hatten erst sechs Punkte auf dem Konto und eben Reis' Ex-Verein Bochum als Tabellenletzten abgelöst. Der VfL hatte den Trainer zwar erst kürzlich vom Dienst freigestellt, noch hatte das alte Arbeitspapier aber Bestand. Man beharrte auf eine ordentliche Ablösesumme, wissend, dass auf Schalke längst klamme Zeiten angebrochen waren. Um seinen neuen Job antreten zu können, steuerte schließlich der Trainer aus seinem Privatvermögen eine größere finanzielle Summe bei. 

Die Sympathien im Pott waren Reis sicher. Und sie wurden nicht kleiner, als der 49-Jährige sich im vereinsinternen Fanshop eine Sammlung Malocher-Pullover zulegte und fortlaufend eine härtere Arbeitseinstellung forderte. Die zuvor so düstere Stimmung im Verein erlebte wieder Lichtblicke. Die Ultras überzeugten mit wunderschönen Choreografien, die Stimmung in der VELTINS-Arena erinnerte an die letzten großen Erfolge - an 2011 beispielsweise, als man bis ins Halbfinale der Champions League einzog und sich an Manchester United messen durfte

Reis mit Malocher-Pullover beim Debüt gegen Freiburg (0:2-Niederlage)
Reis mit Malocher-Pullover beim Debüt gegen Freiburg (0:2-Niederlage)Profimedia

Fußball hat im Ruhrgebiet und speziell in Gelsenkirchen eine besondere Bedeutung. Im Jahresdurchschnitt lag die Erwerbslosigkeit in Gelsenkirchen bei 14,8 Prozent - in keiner anderen deutschen Stadt ist die Quote größer. Viele Schalke-Fans haben privat mit größeren Sorgen als verlorenen Zweikämpfen oder unnötigen Ballverlusten zu kämpfen. Die Rede ist von Hunger, ständigen Geldsorgen und laufenden Existenzkrisen. Einmal pro Woche im Stadion die eigene Mannschaft anzufeuern, sie kämpfen und im Idealfall siegen zu sehen - für die knapp über 160.000 Mitglieder ist das mehr als bloße Ablenkung, ist das ein echtes Bedürfnis.

Im Winter-Transferfenster möchte Sportvorstand Peter Knäbel - der interimistisch auch die Aufgaben von Sportdirektor Schröder übernommen hat - die Mannschaft qualitativ aufwerten, um entscheidende Impulse im Abstiegskampf zu setzen. "Wir sind die Jäger, alle anderen sind die Gejagten", hatte Thomas Reis nach der knappen Niederlage gegen den FC Bayern (0:2) kurz vor der Winterpause erklärt. Auf den Relegationsplatz fehlen aktuell fünf Punkte, ein weiterer Abstieg würde den geschichtsträchtigen Bundesligisten vor massive Zukunftssorgen stellen. Wir versuchen zu klären, welche Problemzonen Schalke im Transferfenster schließen kann und wo der aktuelle Kader nach Ansicht des zuständigen Trios Knäbel-Grotus-Hechelmann bereits adäquat besetzt ist.  

Problemzone Eins: Der Mann im Kasten

Alexander Schwolow überzeugte im Verlauf der Hinrunde nur sporadisch. Wirkliche Möderparaden sind vom langjährigen Freiburg-Torhüter keine überliefert, zudem leistete sich der 30-Jährige in den entscheidenden Momenten echte Patzer. In Berlin flutschte ihm ein Tousart-Weitschuss zwischen den Fingern hindurch, die bis dahin unterlegene Hertha ging 1:0 in Führung und gewann die richtungsweisende Begegnung im Olympiastadion letztlich knapp 2:1. 

Eine beispielhafte Szene. Selten agierte Schwolow wie ein echter Rückhalt, eher wirkte er wie ein zusätzlicher Unsicherheitsfaktor in einer durch etliche Niederlagen ohnehin aus der Ruhe gebrachten Mannschaft. Schalke-Fans kreiden der aktuellen Nummer eins zudem an, auf den nervenaufreibenden Abstiegskampf all zu sensibel zu reagieren. Die Rufe nach einem neuen Torhüter sind laut, Gehör finden werden sie aber wohl keines.

Schalke verfüge im Winter über ein Transferbudget im "mittleren einstelligen Millionenbereich". Damit kann angenehm gearbeitet werden, ein Wunschkonzert geht sich damit aber nicht aus. Drei bis vier Neuzugänge sind realisierbar, Peter Knäbel und der Trainerstab dürften mit der aktuellen Besetzung im Kasten zwar nicht ungeheuer glücklich sein - auf anderen Positionen ist der Nachholbedarf dringender.

Der Leihvertrag mit Schwolow und seinem Stammverein Hertha BSC läuft noch bis Saisonende. Den Deal mit den Hauptstädtern hatte noch Schröder eingefädelt, die Zusammenarbeit wird im Sommer enden, Schwolow hat laut "Bild-"Informationen keine Zukunft auf Schalke. Nicht desto trotz - ein leistbarer und trotzdem qualitativ hochwertiger Ersatzmann ist zurzeit nicht in Sicht. Stefan Ortega wäre im Sommer eine Option gewesen, der ist mit seiner Rolle als Ersatztorhüter bei Manchester City allerdings ungeheuer glücklich.

Problemzone Zwei: Viele Verletze im Abwehrzentrum

"Wir wissen, was Reis-Fußball ausmacht, der sehr zweikampfbetont ist. Wir brauchen Spieler, die physisch und körperlich sind. Kaderplanung ist aber kein Wunschkonzert. Wir haben in der Defensive Not am Mann und dort durchaus noch Bedarf", hatte Peter Knäbel im November verlautbart. In der Innenverteidigung sowie auf den offensiven Flügelposition sehe man den größten Handlungsbedarf. Passend dazu äußerte sich Trainer Reis nach den starken WM-Auftritten von Maya Yoshida (34) zu dessen Startelfchancen: "Jeder muss sich neu beweisen, auch Maya."

Klar ist: nicht nur der 34-jährige Japaner muss sich auf einen intensiven Konkurrenzkampf einstellen. Gleich vier Innenverteidiger kamen von Verletzungspausen zurück oder befinden sich aktuell in der Aufbauphase. Liverpool-Leihgabe Sepp van den Berg (20) gilt gemeinhin als der begabteste Defensivakteur im Kader. Nach einem Bänderriss im Sprunggelenk absolviert er seine Reha in unmittelbarer Nähe zur Mannschaft - nicht, wie anfangs, in England.

Leo Greiml (21) gilt ebenso als Zukunftsaktie. Auch, weil er dem Verein voraussichtlich bei einem etwaigen Abstieg erhalten bleiben würde. Die zweigleisige Planung erschwert Schalke ohnehin sämtliche Verhandlungen, absolute Top-Profis wollen standesgemäß nur in der allerhöchsten Leistungsklasse auf dem Platz stehen. Greiml ist nach einer Meniskusverletzung angeschlagen, desgleichen Marcin Kaminski. Ibrahima Cissé befindet sich wieder im Training, ist für die Startelf aber eher kein Thema.

Die "Bild" berichtete bereits von einem möglichen Neuzugang - dass Keven Schlotterbeck (25) mit seinen Einsatzzeiten beim SC Freiburg unzufrieden ist, weiß das deutsche Kollektivgedächtnis. Galt am Donnerstag noch der VfL Bochum als potenzieller Abnehmer, sei nun auch Schalke in den Poker um Nico Schlotterbecks großen Bruder eingestiegen. Im Spielaufbau lässt Keven ähnliche Qualitäten wie sein Bruder vermissen. Kein Problem - das Hauptaugenmerk wird ohnehin eher auf Robustheit und Durchsetzungskraft gelegt. 

Schlotterbeck (li.) absolvierte in der laufenden Pflichtspiel-Saison erst 151 Einsatzminuten
Schlotterbeck (li.) absolvierte in der laufenden Pflichtspiel-Saison erst 151 EinsatzminutenProfimedia

Yoshida ist altersbedingt nicht mehr der Schnellste. Schlotterbeck bringt die nötige Grundgeschwindigkeit mit, um den Japaner in dieser Hinsicht zu entlasten. Zudem gilt der 1,89 m große Linksfuß in der Luft als echte Waffe, bereits 70 Bundesliga-Einsätze runden das Paket ab. Die Aussicht, Revierderbys wären künftig auch Schlotterbeck-Derbys, bietet das gewisse Extra. Eine mögliche Alternative wäre Darmstadts Patric Pfeiffer (23). Dieser wäre noch ein noch besserer Läufer als Schlotterbeck, zusätzlich ein ebenso kompromissloser Zweikämpfer. Pfeiffers Vertrag beim Lieberknecht-Team läuft im Sommer 2023 aus.

Problemzone drei: Zweikampfstärke im Mittelfeld

Eine Verpflichtung gab es bereits: Der 21-jährige Niklas Tauer kam von Ligakonkurrent Mainz 05 und stellt im zentralen Mittelfeld eine zusätzliche Alternative dar. Tauer wurde für eineinhalb Jahre leihweise verpflichtet, eine Kaufoption gebe es laut "Sky" nicht. Tauers Stärken liegen eindeutig in der Defensive - insbesondere bei Zweikämpfen am Boden. Auf diese Stärke spielt Peter Knäbel an, wenn er meint, gegenüber dem kürzlich ebenfalls leihweise bei Nürnberg untergekommenen Florian Flick sei Tauer "bei den relevanten Leistungsdaten besser (...)". 

Damit dürfte man in der defensiven Zentrale gut aufgestellt sein - zusätzlich kann der Tscheche Alex Král als tiefstehender Spielmacher auch mit seinen Fähigkeiten im Passspiel Räume öffnen (ausgehend von der Vermutung, Reis lasse künftig in einem 4-2-3-1 spielen). Zumindest in der Theorie eine gute Ergänzung. Tom Krauß soll sich im Verlauf der Rückrunde hauptsächlich mit Tauer um einen Stammplatz duellieren. 

Problemzone vier: Tempo im Angriffsdrittel

Auch auf den offensiven Außenbahnen sollen die Verantwortlichen Lösungen anvisiert haben. Soichiro Kozuki (22) trifft in Schalkes Testspielen wie am fließenden Band. Im Jänner 2022 wechselte er aus der 2. japanischen Liga nach Deutschland - zum 1. FC Düren in der fünften Spielklasse. Ein halbes Jahr später folgte der Wechsel zu Schalkes Zweit-Auswahl. Die Bilanz von acht Treffern in sechs Regionalliga-Spielen motivierte Reis, ihm in der Winter-Vorbereitung eine Bewährungsprobe zu bewilligen. 

Dank seines Speeds und seinen Dribblingkünsten stellte er etwa den österreichischen Bundesligisten Rapid Wien in einem Testspiel vor einige Probleme. Nicht nur, weil er das 1:0 für Schalke erzielte - seine taktische Intelligenz ist beeindruckend, Kozuki scheint genau zu wissen, wann er einen Vorstoß wagen und wann er sich zurückfallen lassen muss. Der Japaner wird im Frühjahr mit Sicherheit häufig im königsblauen Aufgebot stehen - mangels Erstligaerfahrung würde ein weiterer Neuzugang den Knappen nicht schaden.

Soichiro Kozuki hat das Zeug zum Shootingstar
Soichiro Kozuki hat das Zeug zum ShootingstarProfimedia

Der Name Tim Skarke (26) kursiert bereits in den meisten Gerüchteküchen. Nach seinem Wechsel von Darmstadt zu Union Berlin konnte er sich bisher nicht in der Bundesliga etablieren. Nur drei Kurzeinsätzen für Skarke im Herbst. Der gebürtige Heidenheimer bringt ebenfalls viel Tempo auf den Rasen (Spitzengeschwindigkeit 30,8 km/h) und ist robust genug, um einen zweikampfintensiven Spielstil mitzutragen. Beheimatet ist er auf dem rechten Flügel. Verhandlungen zwischen Union und Schalke sollen angeblich bereits stattfinden.

Interessant wäre bestimmt auch eine Rückkehr von Fabian Reese (25) nach Gelsenkirchen. Bei Holstein Kiel längst unumstrittener Leistungsträger, auslaufender Vertrag 2023, seit dieser Saison nicht nur Vorlagengeber, sondern auch regelmäßig Torschütze (in der Hinrunde fünf Treffer und vier Vorlagen für Kiel bei 16 Einsätzen): Reese ist bereit für den Sprung in die Bundesliga. Bereits 2014 war er von Schleswig-Holstein in den Pott gewechselt, nach einer eher erfolglosen Zeit war es zur Rückkehr in die Heimat gekommen.

Im Sturmzentrum ist Simon Terodde (34) gesetzt. Nicht bloß wegen seiner Verdienste im Aufstiegsjahr. Die Vereinsverantwortlichen glauben fest an Teroddes Qualitäten als Knipser und erfahrener Führungsspieler - aber auch an jene als Ballverteiler. Ob sich diese Einschätzung als richtig erweist - besser abwarten. Physisch starke Mittelstürmer funktionieren in den Mannschaften von Thomas Reis traditionellerweise gut, so viel steht fest. Schönheitspreise will man in Gelsenkirchen ohnehin keine gewinnen. Der Klassenerhalt ist das große Ziel. Nicht mehr. Darauf liegt der volle Fokus. In Hinsicht auf die turbulente Vergangenheit möchte Schalke vorläufig kleinere Brötchen backen. Und das ist gut so.