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Karriere als Achterbahnfahrt: Formel-1-Fahrer Pierre Gasly im Portrait

Roman Bartz/ Michel Egenolf
Aktualisiert
Pierre Gasly nach seinem Sieg im unterlegenen Alpha Tauri beim Großen Preis von Italien in Monza 2020.
Pierre Gasly nach seinem Sieg im unterlegenen Alpha Tauri beim Großen Preis von Italien in Monza 2020.Profimedia
Nun sitzt er da, allein auf dem Podium, die Hände ineinander gefaltet, blickt er über das Autodromo Nazionale Monza. Das letzte Konfetti in den Landesfarben Italiens fällt herab und verhängt an der Umrandung des Podiums. Die letzten Töne der italienischen Nationalhymne „Il Canto degli Italiani“ sind längst verklungen. Während er kopfschüttelnd versucht, das Unbegreifliche begreifbar zu machen. Pierre Gasly hatte soeben im unterlegenen Alpha Tauri den Großen Preis von Italien gewonnen. Er wischte sich die auf der Wange befindlichen Champagner-Spuren aus dem Gesicht und fragte sich, was er alles auf sich genommen hatte, um nun hier zu sitzen und den größten Triumph seiner Karriere feiern zu können.

Viele Rückschläge musste Pierre Gasly erleiden und einen guten Freund betrauern. Doch reisen wir zurück, wo alles begann: in die beschauliche Hafenstadt Rouen in der Normandie. Beschaulich war sie wohl nicht immer, eher schauerlich. Denn in jener kleinen Stadt wurde 1431 die französische Nationalheilige Jeanne d’Arc im Alter von 19 Jahren auf dem Marktplatz als Hexe auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Dort also erblickte Pierre Gasly am 7. Februar 1996 das Licht der Welt. Allerdings hatte seine Familie mit Hexenverbrennungen nichts am Hut, sehr wohl aber mit Motorsport. Schon sein Großvater fuhr Gokart-Rennen, auch Vater Jean-Jaques und zwei seiner drei Brüder. Der kleine Pierre war es daher gewohnt, schon im Alter von zwei Jahren seinen Brüdern beim Rennen zuzusehen. Auch einem gewissen Michael Schumacher sah er am Fernsehgerät bei seinen Seriensiegen zu. Danach stand für ihn fest, dass er Formel-1-Fahrer und eines Tages Formel-1-Weltmeister werden möchte. Mit 6 Jahren saß Pierre zum ersten Mal in einem Gokart. Doch das reichte ihm nicht. Er wollte (s)ein eigenes: Zwei Jahre und unzählige Vorstöße gegenüber seinen Eltern später, war es so weit. Mit acht Jahren bekam er sein erstes gebrauchtes Minikart und begann auf der Rennstrecke Lucien Lebret in der 1100 Einwohner fassenden Gemeinde Anneville-Ambourville mit dem Kartsport.

Mit 12 Jahre gewann Gasly bei den Kart-Junioren die Trophée de Normandie und den prestigeträchtigen Bridgstone Cup.
Mit 12 Jahre gewann Gasly bei den Kart-Junioren die Trophée de Normandie und den prestigeträchtigen Bridgstone Cup.Profimedia

Bereits in seinem zweiten Rennen in Aunay-les-Bois wurde er Dritter und nahm anschließend an seinem ersten Wettbewerb auf hohem Niveau teil, dem französischen Mini-Kart-Cup im berühmten Magny-Cours. Mit zehn Jahre wurde der kleine Pierre, damals in Diensten des kleinen regionalen Kartteams ASK Rouen 76, Meister der Normandie bei den Minis und belegte außerdem den vierten Platz beim Bridgestone Cup, einem wichtigen Kartwettbewerb in Frankreich. Im darauffolgenden Jahr gelang ihm dies für ein anderes Team fahrend noch einmal. Der kleine Pierre war nun inzwischen 12 Jahre alt und fuhr in der Junioren-Klasse. Doch auch hier gewann er erneut die "Trophée de Normandie" und obendrein noch den prestigeträchtigen Bridgstone Cup. Aufgrund dieser bemerkenswerten Leistungen wurde er vom französischen Motorsportverband entdeckt. Er wurde in das Programm 10-15 und in die "Auto Sport Academy" aufgenommen und belegte 2009 den dritten Platz in der französischen Meisterschaft und im Weltcup. Im Jahr darauf wurde er gar französischer Meister und Vizeeuropameister und wurde in die französische Kartsportmannschaft aufgenommen.

2010 wurde Gasly im Kart französischer Meister und Vizeeuropameister
2010 wurde Gasly im Kart französischer Meister und VizeeuropameisterProfimedia

Einstieg in die Formel-Klasse und das Red Bull Förderprogramm

Für den inzwischen zum Teenager gereiften Pierre, bot sich 2011 die Möglichkeit, dem Traum von der Formel 1 einen weiteren Schritt näherzukommen. Er wechselte in die Formel-Klasse. Dort belegte als jüngster Fahrer der Klasse direkt den dritten Platz in der französischen F4-Meisterschaft. Diesmal war es Red Bull, die den jungen Franzosen entdeckten und ihm einen Optionsvertrag anboten. In der Europa Formula Renault 2.0 belegte er als jüngster Teilnehmer der Meisterschaft den zweiten Platz der Gesamtwertung. Seine Frühreife bestätigte sich auch 2013 beim Rennstall Tech 1 Racing, da er der jüngste Fahrer war, der den Titel in dieser Disziplin gewann. Im Red Bull Junior Team mit Carlos Sainz und Alex Lynn als Teamkollegen 2014 wurde Gasly Vizemeister und bester Neuling in der Formula Renault 3.5-Serie. Nachdem er im Folgejahr in der GP2-Serie vier Podestplätze holte, schien der Traum zum Greifen nahe.

2013 wurde er der jüngste Fahrer der den Titel in Europa Formula Renault 2.0 gewann.
2013 wurde er der jüngste Fahrer der den Titel in Europa Formula Renault 2.0 gewann.Profimedia

Testfahrten im Toro Rosso und Red Bull

Red Bull bot zwei Testtage in der Formel 1 an, den ersten bei Toro Rosso und den zweiten im Mutterteam. Beim Großen Preis von Singapur wurde er Ersatzfahrer des österreichischen Rennstalls. 2016 war die Saison der Krönung für den Normannen in der GP2-Serie. Am Steuer eines Boliden des Prema Powerteams gewann er nach einem intensiven Kampf gegen Antonio Giovinazzi die Meisterschaft. Dennoch öffnete sich die Tür zur Formel 1 (noch) nicht für den ungeduldigen jungen Franzosen. Ein erster Rückschlag. Er entschied sich, nach Japan in die Super Formula zu gehen. Mit zwei Siegen in der japanischen Meisterschaft hatte Gasly beim letzten Rennen in Suzuka die Chance, den Titel zu gewinnen. Nicht weniger als ein Taifun machte dem Rennen und Pierre einen Strich durch die Rechnung. Der Titel ging denkbar knapp mit einem halben Punkt Vorsprung an den Japaner Hiraoki Ishiura. Doch buchstäblich in dem Augenblick, als sich die Enttäuschung beim jungen Gasly breit machen wollte, öffnete sich unverhofft die Tür zu seinem Kindheitstraum.

2017 bekommt Pierre Gasly im Toro Rosso die Chance in der Formel 1 zu fahren.
2017 bekommt Pierre Gasly im Toro Rosso die Chance in der Formel 1 zu fahren.Profimedia

Der Russe Daniil Kvyat, der seit seiner Degradierung bei Toro Rosso zugunsten von Max Verstappen auch im Junior-Team nicht mehr zu seiner Form fand, wurde im September 2017 beim italienischen Rennstall zunächst für die Grand Prix’s von Malaysia und Japan durch den Jungen aus der Hafenstadt Rouen ersetzt. Am Ende des Jahres wurde der Traum endgültig Realität. Toro Rosso gab bekannt, dass der junge Normanne in der Saison 2018 an der Seite des Neuseeländers Brendon Hartley einen Stammplatz erhalten würde. Mutter Pascale und Halbschwester Cyril berichteten von aufgeregten und fortwährenden Anrufen des jungen Pierres. 

Aufstieg und Fall des Pierre Gasly

Sein Saisonstart war sogleich von einem bemerkenswerten vierten Platz in Bahrain geprägt. Seine Gesamtleistung verheißungsvoll. Das aufgezeigte Potenzial verschaffte ihm, der seit seinem sechsten Lebensjahr davon träumt, eines Tages Weltmeister zu werden, nach nur einer vollen Saison in der Formel 1 ab 2019 einen Sitz im Mutterteam bei Red Bull. Doch als er glaubte, dem Ziel seiner Träume nun denkbar nah zu sein, sitzend in einem siegfähigen Formel-1-Boliden, folgte die schwerste Zeit seines sportlichen und privaten Lebens. Gasly hatte große Probleme, sich an das neue Auto zu gewöhnen. In den ersten Tests im Red Bull fand er sich gleich zweimal in der Streckenbegrenzung wieder, das hatte sein stets ausgeprägtes Selbstvertrauen beeinträchtigt. Seine erste Saisonhälfte wurde von der österreichischen Führungsetage als unbefriedigend eingestuft. In einer Netflix-Dokumentation ist zu sehen, wie Marko und Red Bulls Teamchef Christian Horner in dieser Zeit über Gasly sprechen. "Gasly ist schlecht", sagte Marko in der Box, und Horner: "Er verliert vier Zehntel in den letzten zwei Kurven, ich denke, das könnten wir beide auch." Eine in der Form noch nie öffentlich dargebotene Demütigung. Der aufstrebende Pierre wurde mitten in der Sommerpause zu Toro Rosso zurückgestuft und durch den Thailänder Alex Albon ersetzt. Als Pilot bei einem Topteam schien er gescheitert. Er war „am Boden zerstört“, wie Vater Jean-Jaques einst verriet. Doch das Schicksal war zu der Zeit ein mieser Verräter. Nur zwei Wochen nach der Bekanntgabe der Degradierung starb der französische Formel-2-Pilot Anthoine Hubert bei einem Rennunfall in Spa. Seit der Schulzeit kannten sich beide, sechs Jahre lebten Gasly und Hubert gemeinsam auf einem Zimmer. Der Tiefpunkt.

Der französische Gasly betrauert seinen Freund den Formel-2-Pilot Anthoine Hubert an der Stelle des Rennunfalls in Spa.
Der französische Gasly betrauert seinen Freund den Formel-2-Pilot Anthoine Hubert an der Stelle des Rennunfalls in Spa.Profimedia

Die Befreiung des jungen Pierre, hin zum gereiften Gaz-Gaz-Pierre Gasly

Nach jedem Tief kommt bekanntlich auch wieder ein Hoch, also sagte sich der noch immer junge Pierre, durchhalten und weitermachen! 

Er machte weiter, und wie. Bei Toro Rosso, wie das heutige Alpha Tauri Team damals noch hieß, ging seine Leistungskurve wieder deutlich nach oben. Gegen Ende der Saison, revanchierte er sich für die Versetzung mit einem sensationellen zweiten Rang beim Großen Preis von Brasilien. Der Franzose rief lautstark nach der Zieldurchfahrt über den Boxenfunk "Das ist der beste Tag meines Lebens." Er schrie sich seinen ganzen Frust und Schmerz von der Seele, es klang wie eine Befreiung. Die Befreiung des jungen Pierre, hin zum gereiften Gaz-Gaz-Pierre Gasly. 

Ende 2019 revanchierte Gasly sich für seine Degradierung mit einem sensationellen zweiten Rang beim Großen Preis von Brasilien.
Ende 2019 revanchierte Gasly sich für seine Degradierung mit einem sensationellen zweiten Rang beim Großen Preis von Brasilien.Profimedia

Nach den starken Leistungen gab ihm Toro Rosso einen Vertrag für die neue Saison. Und er machte dort weiter, wo er aufgehört hatte. Der gereifte Pierre Gasly fuhr nach wie vor schnell, aber im Rennen überlegt und mit Bedacht. Ganze zehnmal landete er in der Saison 2020 in den Punkten, bei gerade einmal Corona-bedingten 17 Rennen. Eines davon war der Sensations-Sieg in Monza beim turbulenten Großen Preis von Italien. Wo er sich aus allen Scharmützeln raushielt, nach einem Neustart nach vorne kam und sich anschließend gegen den schnelleren Carlos Sainz im überlegenen McLaren erwehren konnte. Nach den starken Leistungen gab ihm Toro Rosso einen Vertrag für die neue Saison. "Ich bin niemand, der aufgibt", sagte Gasly nach dem Rennen, "Ich musste immer für alles in meinem Leben kämpfen." Mit diesem Sieg beendete Gasly eine 24-jährige Durststrecke für den französischen Motorsport in der Formel 1. 

Mit diesem neuen Status, dem eines Grand-Prix-Siegers, startete der Franzose in die Saison 2021. Pierre Gasly fuhr in dieser Saison an der Seite des aufstrebenden und forsch auftretenden Rookies Yuki Tsunoda. Davon ließ er sich jedoch nicht beirren. Er stellte sein ganzes Potenzial unter Beweis und wurde zum eigentlichen Chef des italienischen Rennstalls. Diesmal gab es zwar keinen Sieg für Pierre Gasly, aber eine erschreckende Konstanz am Steuer eines Wagens, den er fast jedes Wochenende auf Vordermann bringen konnte. Er begeisterte seine Mechaniker mit seinem Arbeitseifer bei der Abstimmung des Wagens. Zum ersten Mal in seiner Karriere erreichte er die 100-Punkte-Marke und machte sich einen Namen als sicherer Kandidat für die vorderen Plätze in der Startaufstellung. Mit einem Podiumsplatz in Baku vor seinem Freund Charles Leclerc hat er etwa vier Fünftel der AlphaTauri-Gesamtpunktzahl eingefahren. Der Normanne aus der Hafenstadt Rouen beeindruckte vor allem dadurch, dass er in 22 Rennen 16 Mal in die Top 6 des Qualifyings fuhr und das französische Alpine-Team im Kampf um den vierten Platz in der Konstrukteurswertung fast im Alleingang besiegte. Nach dieser beeindruckenden Saison hatte der nun gereifte Pierre natürlich gehofft, 2022 eine zweite Chance im Mutterteam Red Bull zu erhalten, doch die Führung entschied sich zur Überraschung vieler Experten erneut für Sergio Perez. 

2023 der Wechsel zur „französischen Nationalmannschaft des Motorsports“ Alpine

Nach einem weiteren Jahr im Alphatauri-Team, das große Probleme hatte, ihr Auto an das neue Regelwerk anzupassen, wechselte er zur „französischen Nationalmannschaft des Motorsports“, wie das Team Alpine von vielen Gazetten genannt wird. Pierre wirkte in seiner Medienrunde nach dem Abu Dhabi-Test so euphorisch und voller Tatendrang, als würde er jeden Augenblick gleich wieder ins Cockpit steigen und weitere Runden mit seinem neuen F1-Boliden drehen. "Ich hätte mir keinen besseren Beginn mit diesem Team vorstellen können", zeigte sich der Normanne angetan. "Basierend auf dem, was ich heute hier erlebt habe, weiß ich – ich kann mit Alpine Großes schaffen." Und er liefert: Er begeistert mit schnellen Runden im Qualifying. Dreimal in den ersten fünf Rennen ging es für ihn in die Punkte.

Beide Alpine werden abgeschleppt, nachdem Gasly und Ocon in aussichtsreicher Position kollidierten
Beide Alpine werden abgeschleppt, nachdem Gasly und Ocon in aussichtsreicher Position kollidiertenProfimedia

Wenn auch beim Ausfall in Australien das beste Resultat hätte rauspringen sollen oder gar müssen, kurz vor Ende des Rennens lag er auf Platz fünf. Aufgrund eines ungünstig auf der Strecke abgestelltem Haas, nach dem Ausfall von Magnussen, kam es zum Neustart. Gasly kollidierte kurz nach dem Wiederbeginn mit seinem Teamkollegen und französischen Landsmann Esteban Ocon. "Das war natürlich ein langer Heimflug, weil ich bis dahin auf Platz fünf lag. Es wäre schön gewesen, dem Team diese zehn Punkte im dritten Rennen zu sichern", so Gasly. Die Beziehung der beiden ist ebenfalls eine ganz besondere. Wir behalten sie für Euch im Auge und werden berichten.

Vor kurzem wurde Pierre Gasly in einem Interview zu seinen Erinnerungen an den Sieg von Monza dem Großen Preis von Italien 2020 befragt. Seine Antwort: "Ich erinnere mich an jede Sekunde des Rennens und der Siegesfeier. Das ist etwas, was ich niemals vergessen werde.“