"Welt hat sich verändert": Revolution bei Olympia – und Spitze gegen IOC-Chef Bach?
Coe, Olympiasieger von 1980 und 1984 über 1500 Meter sowie geadelter Lord mit Sitz im britischen Oberhaus, trat jedenfalls auf wie ein Gewerkschaftsführer. Wie einer, der sich ausdrücklich für die Aktiven einsetzt und anders denkt als "die da oben".
Die Welt habe sich "verändert", sagte Coe, "und es ist es sehr wichtig, dass der Sport diese Veränderung der Landschaft anerkennt". Er selbst gehöre "wahrscheinlich zur letzten Generation, die mit einem Essensgutschein von 75 Pence und einer Bahnfahrkarte zweiter Klasse für ihr Land an den Start gegangen ist".
Nun hat sein mächtiger Weltverband die Revolution ausgerufen gegen das IOC von Traditionalist Bach, mit dem er Anfang der 1980er-Jahre gemeinsam erfolgreich für mehr Athletenrechte gekämpft hatte.
Prämien bei Olympia eine Neuheit
Seit Pierre de Coubertin die olympische Idee wiederbelebte und 1896 die ersten Spiele der Neuzeit stattfanden, wurden bei dem XXL-Sportfest keine direkten Prämien ausgeschüttet. Gold oder andere bemerkenswerte Erfolge wurden vielmehr erst im Nachgang versilbert, etwa durch Sponsorendeals oder geldwerte Auftritte auf und abseits der Arenen. World Athletics aber belohnt in Paris (26. Juli bis 11. August) jede der 48 Leichtathletik-Goldmedaillen mit 50.000 Dollar (rund 46.600 Euro).
Für das IOC sei dieser einzigartige Vorstoß kein Ärgernis, heißt es beschwichtigend. Es liege "an jedem internationalen Fachverband und jedem Nationalen Olympischen Komitee zu entscheiden, wie sie ihren Athleten und der globalen Entwicklung ihres Sports am besten dienen können", teilte ein Sprecher mit.
Eindeutig ist aber, dass die Büchse der Pandora geöffnet wurde. Wollen und können andere Verbände nachziehen? Eine gewisse Reibung ist nicht wegzudiskutieren. Aber auch Zustimmung ist erkennbar. "Dieser Schritt und insbesondere dessen Begründung durch World Athletics bestätigt die Gültigkeit unserer langjährigen Forderung, Athleten an den exorbitanten Profiten zu beteiligen, die durch ihre Leistungen erwirtschaftet werden", sagte Geschäftsführer Johannes Herber von Athleten Deutschland dem SID: "Wir werden weiterhin intensiv dafür werben, dass andere Weltverbände zuvörderst aber das IOC ebenso Erträge an die Athleten ausschütten."
Eine SID-Anfrage, wie der Coe-Vorstoß in Lausanne mit Blick auf die Präsidentschaftswahl 2025 gesehen wird, ließ die Ringe-Organisation unbeantwortet. Gemäß der IOC-Charta endet Bachs Amtszeit im kommenden Jahr. Gemäß der aktuellen Statuten würde Coe (67) nicht die volle erste Amtszeit von acht Jahren ausschöpfen können.
Erneute Bach-Kandidatur offen
Die IOC-Charta allerdings kann verändert werden, zumal Bach (70) selbst erst nach den Paris-Spielen eine Entscheidung über seine Zukunft mitteilen will. Und Coe stets beteuert, eine Kandidatur weder anzustreben noch auszuschließen.
Klar ist, dass Coe unter den 106 IOC-Mitgliedern nicht zu den vielen stromlinienförmigen zu zählen ist. In der Russland-Frage greift der Leichtathletik-Weltverband seit Coes Wahl zum Präsidenten 2015 - anders als das IOC - rigide durch, aus seinem Verband wird kein Athlet aus Russland und Belarus in Paris starten dürfen.
Coes Vorstoß erscheint in Zeiten der Athleten-Mitsprache und -Beteiligung zeitgemäß. Es sei "wichtig, dass wir irgendwo anfangen und sicherstellen, dass ein Teil der Einnahmen, die unsere Athleten bei den Olympischen Spielen erzielen, direkt an diejenigen zurückfließt, die die Spiele zu dem weltweiten Spektakel machen, das sie sind", sagte Coe. Ab Los Angeles 2028 will World Athletics sogar alle drei Medaillengewinner in jeder Disziplin finanziell belohnen.