"Genialer" Kroos vor Comeback in der DFB-Elf: Boss und "aus dem Herzen Fußballer"
So oder so: Abgesehen von der kleinen Trickserei war Kroos 994 Tage nach seinem 106. und bislang letzten Länderspiel für die DFB-Elf gleich wieder voll dabei. Als die von Julian Nagelsmann mit dem Prädikat "genial" geadelte Passmaschine, als geduldiges Ohr für "Radio" Thomas Müller, als Fanliebling bei der Ankunft am Montag, als Werbefigur beim Verschenken von Trikots in Frankfurt - und mit einer echten Chef-Ansage.
"Typisch deutsch", wie es in der DFB-Kampagne zu den neuen EM-Trikots heißt, "war es mal, wenn man erfolgreich war", sagte Kroos am Dienstag am Frankfurter DFB-Campus und betonte mit festem Blick: "Da wollen wir wieder hinkommen!" Und zwar mit ihm.
Obwohl Kroos neben seiner Mutter Birgit auch seinen größten Fan erst überzeugen musste, wie er schmunzelnd berichtete: Opa Heinz hatte leise Zweifel, inzwischen hat auch er sich aber "sein Deutschland-Trikot bestellt". Kroos ist damit startklar - und sein Comeback im Länderspiel gegen Frankreich in Lyon am Samstag (21.00 Uhr/ZDF) wird heiß ersehnt von der darbenden Fußball-Nation.
Für Experten überwiegt Positives
Sogar Kroos' Chefkritiker Uli Hoeneß ist von seiner Einschätzung abgewichen, ihn einzusetzen, sei "ein Titanic-Signal". Rekordnationalspieler Lothar Matthäus meinte: "Wir brauchen ihn!" Der langjährige DFB-Direktor Oliver Bierhoff ist sich sicher: Mit Kroos kommt der EM-"Hype". Sami Khedira, mit Kroos 2014 Weltmeister, warnte aber vor überzogenen Erwartungen: "Toni ist kein Messi!"
Kroos und Nagelsmann haben bereits klargestellt, dass der 34-Jährige kein "alleiniger Heilsbringer" sei. Er habe "sämtliche Konstellationen und Reaktionen mitgedacht und entschieden: Das Positive überwiegt", berichtete der Rückkehrer: "Am Ende bin ich aus dem Herzen Fußballer." Und die Aussicht auf die Heim-EM sei nun mal "brutal interessant". Er glaube allerdings nicht, "dass ich irgendjemandem noch etwas beweisen muss".
Dennoch bleibt es ein Wagnis. Nagelsmann wirft für ihn die Hierarchie über den Haufen. Es sei nun mal "kein Geheimnis", sprach Kroos in das Dutzend Kameras in Frankfurt, dass Erfahrung und Klasse einer Mannschaft helfen. Er sieht es als eine seiner Aufgaben, "außergewöhnliche Spieler" wie Jamal Musiala oder Florian Wirtz "dahin zu bringen, dass sie uns allen Spaß machen und nicht untergehen".
Dafür änderte Nagelsmann auch seine personelle Ausrichtung, beorderte Ex-Chef Joshua Kimmich nach hinten rechts und Kapitän Ilkay Gündogan nach vorne. Dabei hieß es über Jahre: Kroos mit Gündogan - das passt nicht.
Kroos und Gündogan 2.0
Als vermeintlicher Beleg diente unter anderem das unvergessene 0:6-Desaster gegen Spanien 2020, das Joachim Löw beinahe den Job gekostet hätte. Gündogan versicherte Nagelsmann jetzt in einem Telefonat, er sei "total einverstanden" mit der Rückholaktion. Sie wollten "den Kritikern beweisen, dass Toni und ich zusammenpassen und dem deutschen Spiel unseren Stempel aufdrücken können".
In veränderter Konstellation: Bei den letzten gemeinsamen Auftritten bei der EM 2021 bekleideten beide wie beim Debakel von Sevilla die Doppel-Sechs. Jetzt soll Kroos mit einem "Arbeiter" wie Pascal Groß oder Robert Andrich neben sich abräumen - Mitbewerber Aleksandar Pavlovic (Mandelentzündung) fällt aus - und Gündogan als Zehner brillieren.
In dieser Rollenverteilung bestritt das Duo vier Länderspiele von Beginn an und fünf weitere mit Gündogan als Joker. Die starke Bilanz: Sieben Siege und zwei Remis gegen Frankreich. "Es ist gut, wenn ein zentrales Mittelfeld alle Facetten mitbringt", sagte Kroos und verglich die neue Struktur mit jener lange erfolgreichen bei Real Madrid. Dort interpretiere er seine Rolle wie eh und je, berichtete er, auch körperlich spüre er "überhaupt keinen Verschleiß". Kein Wunder angesichts kleinerer Schummeleien.
Opa Heinz gibt das Go
Kroos-Opa Heinz hätte es vorgezogen, dass Toni Kroos "noch ein Jahr bei Real Madrid spielt und im Sommer Urlaub macht". Die Option Real erscheint auch relativ wahrscheinlich, so gab es am Ende doch eine innerfamiliäre Einigung: "Er hat sich sogar ein Deutschlandtrikot bestellt." Ohnehin war Kroos die Meinung der engeren Familie bei seiner Entscheidung sehr wichtig. "Sie will mich ja jetzt nicht loswerden - aber sie wurde schon mit einbezogen, weil das logischerweise Auswirkungen hat. Das war ja damals einer der Gründe, dass es nicht weiterging."
Drei Jahre später ist Kroos wieder mittendrin, der Presseraum war bei seinem Auftritt brechend voll. Ob der Opa bald das pink-lila Auswärtstrikot tragen wird, das verriet Kroos aber nicht. Selbstverständlich müsse er als adidas-Spieler das ungewöhnliche Trikot loben, das im Verkauf so gut angelaufen ist wie noch keines zuvor: "Mein Lieblingstrikot aber wird immer weiß sein."