Frauen-WM Vorschau: Deutschland hat keine Angst vor dem Pflichtsieg
Mit der Euphorie ist es so eine Sache. Sie ist ein schüchternes Wesen. Oft ist sie ebenso schnell verschwunden, wie sie gekommen ist.
Nach dem 6:0-Erfolg gegen Marokko war sie übergroß. Schwache Testspiele, in denen Deutschland mit tiefstehenden Abwehrreihen massive Probleme hatte, waren vergessen. Mit einem Schlag befand sich die dritte Weltmeisterschaft in greifbarer Nähe. Die Fernsehanstalten meldeten beeindruckende Einschaltquoten. Kapitänin Alexandra Popp wurde nach ihrem Doppelpack gen Himmel gelobt.
Nach der 1:2-Niederlage im zweiten Gruppenspiel gegen Kolumbien war von dieser Euphorie nichts mehr zu spüren. Der Kantersieg zum WM-Auftakt wurde nun eingeordnet, durch die Medien geisterten Horrorszenarien. Das Aus in der Gruppenphase: plötzlich ein realistisches Szenario. Ein Sieg zum Abschluss der Gruppenphase ist jetzt Pflicht.
Südkorea: Eine dankbare Pflichtaufgabe
Doch der Sieg ist auch eine machbare Aufgabe. Südkorea hat bei der Frauen-WM 2023 bislang keinen guten Eindruck hinterlassen. Zwei Niederlagen, kein einziges erzieltes Tor. Das frühe Aus ist wohl besiegelt. Cheftrainer Colin Bell - den deutschen Fans aus seiner Zeit beim 1. FFC Frankfurt und dem SC Sand bestens bekannt - bemüht sich seit Jahren, seinem Team Struktur und taktische Ordnung zu verleihen. Offenbar vergebens.
Trotzdem versprüht Bell Optimismus. Er möchte sich keinesfalls mit einer Niederlage aus Australien verabschieden. Seine Spielerinnen “können mehr, als wir bisher gezeigt haben.” Die deutsche Mannschaft kenne er “in- und auswendig”, man wolle den DFB-Damen “ein Bein stellen.” Selbst den Einzug ins Achtelfinale hat Bell noch nicht abgeschrieben - obwohl es dafür einen Sieg mit fünf Toren Vorsprung benötigen würde.
Sein Gegenüber, Bundestrainer Martina Voss-Tecklenburg, hat keine Angst vor Südkorea: “Es hat nicht die ganz große Relevanz wie der Gegner agiert, weil wir wissen, dass sie uns Räume geben, die unabhängig davon sind, ob sie jetzt im 5-3-2-System oder 4-1-4-1 spielen.”
Kein Platz für Ausreden
Die deutschen Spielerinnen wirkten in den vergangenen Tagen in Mediengesprächen auffallend ehrgeizig. Schonungslos, sachlich und ohne Ausreden analysierte Lena Lattwein im Interview mit “t-online”, was gegen Kolumbien falsch gelaufen war: “Zum einen ging es um die Positionierung mit Ball im Spielaufbau und den Übergang ins letzte Drittel. Da haben die Verbindungen gefehlt. Ein abgestimmtes Laufverhalten, ein präzises Kurzpassspiel. Wir haben für unsere Verhältnisse sehr viele lange Bälle geschlagen, die oft keine Abnehmerin fanden. Wenn Poppi mal einen abfangen konnte, haben die Tiefenläufe gefehlt. Wir haben uns unserer eigenen Stärke, dem schnellen Kombinationsspiel, selbst beraubt und uns zu wenige Torchancen herausgespielt.”
Anstatt selbstbewusst die eigene Spielweise auf den Platz bringen, hatte man sich das hektische Spiel der Kolumbianerinnen aufzwingen lassen. Gegen Südkorea soll das auf keinen Fall erneut passieren. Man möchte den schwarz-rot-goldenen Fans und sich selbst unbedingt beweisen, dass man die Lektion gelernt und verstanden hat. Dass man bereit ist, weiterhin hart für den großen Traum, den WM-Titel zu arbeiten.
Im Training wird um jeden Zentimeter gekämpft, wird berichtet. Die DFB-Damen sind bis in die Haarspitzen motiviert. Abräumerin Lena Oberdorf hat mit der schwierigen Konstellation am letzten Gruppenspieltag kein Problem. Im Gegenteil: “Der Druck gehört auch immer ein bisschen dazu, um seine Leistung abzurufen. Wenn man zu locker ins Spiel geht, wird das auch nichts.”
Zum Match-Center: Deutschland vs. Südkorea
Teamnews: Einige gute Nachrichten für DFB-Team
Bei der Niederlage gegen Kolumbien zog sich Sara Doorsoun eine Muskelverletzung am Oberschenkel zu. Nach der MRT-Untersuchung herrscht wieder ein wenig Zuversicht: Bei einem Weiterkommen darf sich die Abwehrspielerin berechtigte Hoffnungen auf einen weiteren WM-Einsatz machen. Für das Spiel gegen Südkorea kommt die 31-Jährige aber nicht infrage.
Umso besser, dass sich die nominelle Abwehrchefin Marina Hegering wieder “komplett einsatzfähig” ist und zusammen mit der Mannschaft trainieren kann. Auch Sydney Lohmann ist gegen Südkorea bereit für Einsatzminuten.
Auch Linksverteidigerin Felicitas Rauch befindet sich auf dem Weg der Besserung. Nach ihrer Knie-Stauchung konnte sie wieder Laufübungen absolvieren. In der Startelf wird die Wolfsburgerin wohl nicht zu finden sein, für eine Einwechslung steht sie der Bundestrainerin aber zur Verfügung.
Die wiederum spielt seit einigen Tagen mit einem Gedankenexperiment. Erstmals bei der Frauen-WM 2023 könnte Deutschland mit zwei Spitzen auflaufen. “Wir haben uns Gedanken gemacht, welche Veränderungen möglich sind”, gab MVT bekannt. Als wahrscheinlich gilt, dass Lea Schüller neben Alexandra Popp im Sturmzentrum agieren wird. Hohe Flanken sind gegen die klein gewachsenen Koreanerinnen wohl das Mittel der Wahl.
Voraussichtliche Aufstellungen:
Deutschland (4-4-2): Frohms - Huth, Hendrichs, Hegering, Hagel - Brand, Oberdorf, Däbritz, Bühl - Popp, Schüller
Südkorea (3-5-2): Jung-mi - Hye-ri, Hye-ji, Seo-yeon - Hyo-joo, Geum-min, So-Yun, So-Hyun, Sel-gi - Yu-ri, Eun-sun
Flashscore-Prognose: Kein Wunder
Reflektiert, selbstkritisch, ehrgeizig: Deutschland macht nicht den Eindruck, sich von der Niederlage gegen Kolumbien ins Bockshorn jagen zu lassen. Man weiß um die eigenen Fähigkeiten und ist gegen ein defensiv anfälliges Südkorea top motiviert, den letzten Schritt Richtung Achtelfinale zu machen - und sich vielleicht sogar den Gruppensieg zu sichern.
So würde man dem schwierigen Los Frankreich aus dem Weg gehen. Deutschland wird wie die Feuerwehr loslegen, früh den ersten Treffer erzielen und schließlich 3:0 gewinnen.