5 Monate in Saudi-Arabien: Zwischen Ronaldo-Hype und der großen Leere im weiten Rund
Odion Ighalo hat viel gesehen. Der Nigerianer debütierte bereits mit 15 Jahren in der ersten Liga seines Heimatlandes, wagte dann mit 18 den Schritt nach Europa und spielte sich über die Zwischenstation Norwegen bis in die großen Ligen der Welt. Er hinterließ seine Spuren in der Serie A, La Liga und erfüllte sich sogar den Traum, bei seinem Herzensklub Manchester United zu kicken. Inzwischen spielt er in dem Fußball-Boom-Land schlechthin, in Saudi-Arabien.
Man könnte sagen, der 34-Jährige ist eine Art Pionier. Bereits 2021 wechselte er in den Wüstenstaat, lange bevor ein gewisser Cristiano Ronaldo im Januar 2023 die Welt mit seinem Transfer zu Al-Nassr verblüffte. Seitdem folgten ihm Stars wie Neymar, Karim Benzema, Riyad Mahrez, Ruben Neves und Sadio Mane in das Königreich. Insgesamt investierten die Klubs der Saudi Pro League fast 950 Millionen Euro in einem Sommer – weit mehr als etwa die Bundesliga oder die Serie A.
Interessant ist, dass vier Vereine dabei für ganze 825 Millionen Euro Ausgaben verantwortlich sind. Ighalos Klub Al-Wahda gehört nicht dazu, mit Investitionen von 1,25 Millionen Euro im Sommer war man sparsam unterwegs und legte nur für den 31-jährigen Marokkaner Jawad El Yamiq eine Ablöse auf den Tisch. Die Anziehungskraft der großen Stars kann der Klub aus dem Wallfahrtsort Mekka nicht bieten.
Dementsprechend karg ist dann auch die Euphorie unter den Zuschauern. Am 14. Spieltag verirrten sich lediglich handgezählte 447 Fußballfans zum Heimspiel von Al-Wahda gegen Al-Khaleej, dabei fasst das weitläufige King Abdul Aziz Stadium 38.000 Plätze. Jeder, der nicht da war, verpasste nicht nur einen 3:1-Heimsieg des derzeitigen Tabellenneunten, sondern auch einen Hattrick von Altmeister Ighalo.
Saudi Pro League: Top-4 – und dann lange nichts
Das Schicksal von Al-Wahda steht symbolisch für eine gespaltene Liga. Außerhalb der "Top-4" liegt der Zuschauerschnitt bei 4.600 Fans (auch Star-Coach Steven Gerrard musste vor Kurzem mit seinem Klub Al-Ettifaq vor unter 700 Zuschauern antreten). Das ist in etwa vergleichbar mit der ersten ungarischen Liga und deutlich unter dem Schnitt der Eliteklasse Rumäniens. Die vier beliebtesten Vereine dagegen haben einen Schnitt von weit über 20.000 Besuchern pro Spiel – ein Wert, der fast mit der französischen Ligue 1 mithalten kann.
Interessant ist, dass der Gesamtschnitt der Liga bisher im Vergleich zu den Vorjahren weitestgehend stabil geblieben ist. Mit ca. 8.800 liegt man dort im etwa auf dem Niveau der Vorsaison, in der Spielzeit 2021/22 – und damit lange vor der Ankunft von Ronaldo & Co. – besuchten durchschnittlich sogar über 10.000 Menschen die Duelle der Saudi Pro League. In einem Land mit über 35 Millionen Einwohnern, die FIFA-Präsident Gianni Infantino kürzlich als "fußballverrückt" bezeichnete, ist da noch Luft nach oben.
Das liegt auch daran, dass die Liga strategisch nicht nur für die eigenen Landsleute, sondern auch für den internationalen Markt interessant sein will. Als Teil der globalen sportlichen Charmeoffensive - negativ als "Sportswashing" bezeichnet – will Saudi-Arabien auch Fans in Europa gewinnen und hat dafür die Anstoßzeiten der Liga auf die Tage verteilt, an denen der europäische Fußball am wenigsten präsent ist: Zum Regelspieltag zählen beispielsweise Matches am Donnerstag und Freitag um 18 Uhr Ortszeit.
Zurück zur zweigeteilten Liga: Große Namen bringen große Einnahmen, aber schießen sie auch Tore? Schauen wir auf die Statistik, thront CR7 wie eigentlich immer in seiner Karriere über allem. Sowohl 15 Treffer als auch sieben Vorlagen sind jeweils der Bestwert in der Liga. Auch dahinter sind mit Aleksandar Mitrovic, Malcom und Karim Benzema teure Neuzugänge zu finden. Nur selten tauchen hierzulande eher unbekannte Namen wie Mourad Batna oder Firas Al-Buraikan auf.
Benzema begeistert, Jota aussortiert
Zusammen sorgen sie für ein fußballerisches Niveau, das den französischen Nationalspieler Benzema nach seinem Wechsel von Real Madrid Anfang Juli positiv beeindruckte. "Es gibt hier viel Leidenschaft, und ich bin mit dem Niveau des Spiels zufrieden. Ich bin wirklich überrascht von dem Niveau in Saudi-Arabien, denn in Europa waren nicht viele Fußballspiele von hier zu sehen. Jetzt laufen sie überall."
Wie es auch laufen kann, hat Al-Ittihads 29-Millionen-Neuzugang Jota erfahren. Im Sommer kam der portugiesische Dribbler von Celtic Glasgow ins Königreich, nur um wenige Wochen später gesagt zu bekommen, dass er wegen zu vielen Ausländern im Kader aus der Registrierungsliste für die Liga gestrichen wurde. In der Pro League datiert der letzte Einsatz des 24-Jährigen vom 1. September, lediglich in der AFC Champions League durfte er spielen. Inzwischen liebäugelt er mit einer Rückkehr zu Celtic oder einem Transfer nach England.
Ohnehin sollen die Star-Transfers in Saudi-Arabien in dieser Fülle aber der Vergangenheit angehören, geht es nach Michael Emenalo. Der ehemalige technische Direktor des FC Chelsea ist inzwischen für die Saudi Pro League tätig. Genauer gesagt für das Player Acquisition Centre for Excellence (PACE), das sich klubübergreifend um die Rekrutierung der Spieler kümmert. Er sieht in der Verpflichtung teurer Spieler aus Europa nur den ersten Schritt einer langfristigen Strategie.
"Ich hoffe, dass im Januar-Transferfenster nicht so viel passiert, weil ich denke, dass die Arbeit, die gemacht wurde, gut war. Die meisten Klubs haben, was sie brauchen", sagt der 58-Jährige. "Wir hoffen, dass sich die Aufmerksamkeit nun auf die Arbeit in den Trainingseinrichtungen richtet, um diese Spieler zu verbessern und ihnen die Zeit zu geben, sich anzupassen und Leistung zu bringen."
China als warnendes Beispiel
Dass eine langfristige Strategie vonnöten ist, beweist der Niedergang der ehemals superreichen Liga in China. In den Jahren 2016 bis 2018 kaufte die CSL alles, was nicht bei drei auf dem Baum war – und den Rest schüttelte sie herunter. Was danach passierte, war nicht Teil der Absprache. Der Staat wollte ein Stück vom Kuchen, erhöhte die Steuern für die Vereine und führte eine Gehaltsobergrenze ein, sodass auf einen Schlag hohe Transfersummen nicht mehr lohnenswert und hohe Gehälter nicht mehr möglich waren. Schrittweise sprangen die Stars wieder ab, viele der damals auffälligsten Vereine sind heute gar nicht mehr existent.
Auch Odion Ighalo war damals dabei: Erst spielte er für Changchun Yatai, später für Shanghai Shenhua und schaffte kurz vor der Corona-Pandemie – und damit auch vor der Implosion der Fußballblase in China – den Absprung. Der Mann, der sich in der nigerianischen Hauptstadt Lagos als Jugendlicher aus schwierigsten Verhältnissen nach oben gebissen hat, hat einen Riecher für lukrative Gastspiele. Man darf gespannt sein, in welche Richtung sich jenes in Saudi-Arabien entwickelt.