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Kommentar: Der Exodus nach Saudi-Arabien - Wie konnte es so weit kommen?

Heik Kölsch
Aktualisiert
Al-Nassr gegen PSG: Könnte es ein solches Duell bald in einem Pflichtspiel geben?
Al-Nassr gegen PSG: Könnte es ein solches Duell bald in einem Pflichtspiel geben?AFP
"Ich habe den Weg zur saudischen Liga geebnet, und jetzt kommen alle Spieler hierher", kommentierte ein gewohnt selbstsicherer Cristiano Ronaldo die kürzlichen Wechsel einiger Topstars in die 1. Liga Saudi-Arabiens. Dabei dachte die einstige Ikone wieder nur an sein eigenes Vermächtnis, nicht aber an die Entwicklung des Fußballs aus Fansicht. Ein Blick auf die Vergangenheit, Gegenwart und vor allem Zukunft des Sports, von Heik Kölsch.

"In einem Jahr werden mehr und mehr Spitzenspieler nach Saudi-Arabien kommen. In einem Jahr wird die saudische Liga die türkische und die niederländische Liga überholen", führte Ronaldo in ein- und demselben Interview stolz aus.

Was denn genau der Nutzen und das Gute daran sein soll, würde ich ihm am liebsten entgegnen. Was genau soll gut daran sein, dass internationale Spitzen-Fußballer sich reihenweise auf Social Media Erklärungsversuchen hingeben, gerne die Versorgung ihrer Familie als Hauptmotivation dafür nennen, ihre sportliche Heimat verlassen? 

Ronaldo spielt auch 2023/24 für AL-Nassr
Ronaldo spielt auch 2023/24 für AL-NassrAFP

Eben jene Heimat in Europa, die dem Fußball die bei Weitem besten Wettbewerbs-Bedingungen bietet, in der die größten Klubs der Welt zu Hause sind und in denen die Träume der Gewinne der größten Trophäen auf Vereinsebene verwirklicht werden können.

Transfermarkt & News: Fußballer in bestem Alter verlassen Europa massenweise

Sadio Mane (31), Malcom (26), Riyad Mahrez (32), Otavio (28) Ruben Neves (26), Marcelo Brozovic (30), Fabinho (29), Sergej Milinkovic-Savic (28), N'Golo Kante (32), Roger Ibanez (24) Seko Fofana (28), Edouard Mendy (31), Roberto Firmino (31), Aleksandar Mitrovic (28), Kalidou Koulibaly (32), Moussa Dembele - nur die wichtigsten Namen auf einer Liste von erfolgreichen Fußballprofis im besten Sportler-Alter, für die diese Träume nun erstmal vorbei sind. Sie alle sind dem Ruf der Saudis, dem Ruf des Geldes erlegen und stellen ihre sportlichen Ambitionen hinten an. 

Dazu drei  Legenden des Sports, Cristiano Ronaldo, Neymar und Karim Benzema, als Botschafer einer Bewegung. Der Exodus nach Saudi-Arabien ist ein echter Trend. Und offensichtlich ein unaufhaltsamer. Denn auch andere Länder mischen auf der größten Bühne des Fußballs mit: Lionel Messi, Sergio Busquets und Jordi Alba laufen auf der anderen Seite der Erde ab sofort in der MLS in den Vereinigten Staaten auf.

Messi stürmt im Rosa-Trikot von Inter Miami
Messi stürmt im Rosa-Trikot von Inter MiamiAFP

Ronaldo und Neymar in Saudi-Arabien, Messi in den USA: Ein Szenario, das vor zwei Jahren niemand auch nur ansatzweise für realistisch gehalten hätte. Und doch hat sich eine derartige Entwicklung bereits angedeutet.

Führen wir uns einmal folgendes Beispiel vor Augen: Ronaldo Nazario, seiner Zeit wohl bester Fußballspieler der Generation, wechselte zur Saison 2002/03 für die damalige Rekordablösesumme von 45 Millionen Euro von Inter Mailand zu Real Madrid. 2023 wird jeder halbwegs gute Premier-League-Spieler für diese Summe gehandelt. In Zahlen: Allein im aktuellen Transferfenster wurden nur in England 15 Spieler für 40 Millionen Euro oder mehr gekauft oder verkauft. Was ist also seit diesem Jahr 2002 passiert?

Declan Rice wechselte für 116 Millionen Euro zu Arsenal
Declan Rice wechselte für 116 Millionen Euro zu ArsenalAFP

Fußball im Wandel: Wie konnte es so weit kommen?

Im Jahr 2023 weiß auch der letzte Sponsor und Investor: nicht nur "Sex sells", sondern vor allem auch der Fußball. Der Grundstein für das, was wir in diesem Sommer beobachten, wurde bereits im vergangenen Jahrzehnt gelegt: Die Vergabe der WM 2022 in Katar im Jahre 2010 gilt als Dosenöffner. Doch es ist bei Weitem nicht der einzige Dominostein in der endgültigen Kommerzialisierung des Fußballs.

Gianni Infantino (l.) verteidigte die Vergabe der WM 2022 nach Katar immer wieder
Gianni Infantino (l.) verteidigte die Vergabe der WM 2022 nach Katar immer wiederProfimedia

Nicht zuletzt die Klub-Übernahmen von Scheichs und Multi-Millionären, wie der des FC Chelsea durch Roman Abramovich 2003 oder von Manchester City durch Scheich Mansour und die Vereinigten Arabischen Emira 2008 – oder auch massive Sponsor-Deals wie der von Chevrolet auf dem Trikot von Manchester United 2014 – sorgen dafür, dass Vereine Spieler für Transfersummen kaufen, die abseits der Vorstellungskraft des Otto Normalverbrauchers liegen.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich weitere Akteure mit noch mehr Kaufkraft in das Geschäft einmischen. Oder sich die Stars am liebsten gleich zu sich nach Hause holen, anstatt "nur" in Europa zu investieren.

Das Ergebnis: Mehr als 50 Spieler (Stand: 23. August) wechselten im aktuellen Transferfenster von europäischen Vereinen in die saudi-arabische Liga, über 700 Millionen Euro flossen dabei alleine für die Ablösen. Viele von diesen Spielern spielten zuvor auf höchstem Level: Benzema, Mahrez, Firmino, Jordan Henderson und Kante sind aktuelle oder ehemalige Champions-League-Sieger. Brozovic wurde von vielen Experten als einer der besten Spieler im Finale der vergangenen Ausgabe ausgezeichnet. Nüchtern betrachtet muss man feststellen: Saudi-Arabien ist eine neue Hochburg für Fußballstars.

Exodus nach Saudi-Arabien und Amerika: Ist dieser Trend gut oder schlecht? 

Die Antwort auf diese Frage bleibt wohl jedem selbst überlassen. Es scheint der Trend der Zeit zu sein. Fußballgeschäft und Kapitalismus harmonieren einfach. Eine korrigierende Intervention von höheren Gremien scheint zum aktuellen Zeitpunkt unwahrscheinlich. Gerade Verbände wie die FIFA profitieren von den hohen Summen Gelder aus eben jenen Regionen, die aktuell das Geschäft aufmischen: WM 2022 in Katar, WM 2026 in den USA. Die "reichen" Länder bekommen den Vortritt vor einem der ursprünglichen Hauptwerte des Fußballs: Integration.

Gerade bei internationalen Turnieren sind Fußball-Romantiker eine aussterbende Spezies. Für mich persönlich war einer der Hauptgründe, bei Weltmeisterschaften und Europameisterschaften mitzufiebern, die Gegebenheiten und Menschen in einem Land kennenzulernen und zu erleben. So habe ich mich 2002 für einige Wochen als ein Teil der japanischen und südkoreanischen Kultur gefühlt, 2010 als Südafrikaner, 2014 begehrte jede Faser meines Körpers, einmal Samba an der Copacabana zu tanzen.

Die WM 2010 war sportlich und kulturell ein Fest
Die WM 2010 war sportlich und kulturell ein FestProfimedia

Doch nach eben jener WMs 2010 – für viele bis heute eine der schönsten Turniere der Geschichte – oder 2014 in Brasilien ist das Gefühl dieser Integration mehr und mehr verloren gegangen. Die EM 2020 verteilt auf etliche Länder Europas war ein weiterer Nackenschlag für Liebhaber dieser Kultur.

Verkommerzialisierung des Fußballs: Wo führt es hin?

Auf Klubebene wird dies auf kurze Sicht zumindest bedeuten, dass die besten Spieler der Welt nicht mehr gebündelt in Europa spielen, sondern dort, wo sie das meiste Geld verdienen. Größtenteils wird das wohl nach wie vor in Europa sein. Doch eben auch in den USA, in Saudi-Arabien oder in weiteren Big-Playern aus dem Nahen Osten, die sich schon bald auf dem Markt einmischen könnten. Oder auch China.

Ob das nur schlecht sein muss, steht zur Debatte. Es könnte auch Chancen bieten. Romantiker werden sich dagegen warm anziehen müssen. Denn weitere Veränderungen wird es definitiv geben. 

Die Champions League versucht seit Jahren, ihr Format attraktiver zu gestalten. Vergebens? 2021 wurde aus heiterem Himmel die Idee einer Superliga ins Leben gerufen. Eine "private" Liga der besten Mannschaften Europas, um die Wettbewerbsfähigkeit hochzuhalten.

Wird die Champions League bald verdrängt?
Wird die Champions League bald verdrängt?Profimedia

Folgt eine globale Superliga?

Vielleicht eine Schnapsidee – aber eben auch eine Reaktion auf die ökonomische Entwicklung der Fußball-Landschaft. Und eine Idee, die sich über kurz oder lang durchsetzen könnte. Denn eine Liga mit den größten Stars, gebündelt auf globaler Bühne, wird Sponsoren und Investoren mit noch höheren Summer anziehen.

Persönlich könnte ich mir dabei ein Format mit den besten Teams aus Europa, den Scheich-Ländern und Nordamerika vorstellen. Durchaus keine unattraktives Prinzip – und doch muss die Frage nach Integrität stets gestellt werden. Würde es eine Regulation geben? Wie würde man traditionelle, aber finanzschwache Fußballregionen wie Südamerika einbeziehen?

Schlusswort: Die Welt ist im Wandel, doch der Fußball darf seine Fans nicht verlieren

Auf jeden Fall können wir im Jahr 2023 eines vermerken: Genau wie Politik, Kultur und Kommunikation ist auch der Sport – und vor allem der Fußball – ein dynamisches Konstrukt. Werte ändern sich und die beliebteste Sportart der Welt ist aufgrund des kommerziellen Status als eines der wertvollsten Güter auf dem Markt ein hochattraktives Subjekt für finanzielle Maximierung - und dementsprechend empfindlich für Evolution und Revolution.

Es ist jedoch auch ein Gut, das mit Vorsicht behandelt werden muss. Denn bei allem Profit-Gedanken darf eines nicht vergessen werden: Fans sind ein integraler Bestandteil des Sports. Und bei allem Fortschritt darf Tradition nicht komplett missachtet werden. Verliert man nämlich den Großteil der Fans komplett, verliert man auch den Hauptgenerator eben jenen Profits.

Ein Kommentar von Heik Kölsch
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