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Zurück in die Realität - Wo wachen wir nach dem Traum vom Sommermärchen wieder auf?

Moritz Kasper
Aktualisiert
Zurück in die Realität - Wo wachen wir nach dem Traum vom Sommermärchen wieder auf?
Zurück in die Realität - Wo wachen wir nach dem Traum vom Sommermärchen wieder auf?Profimedia
Die Heim-EM 2024 ist endgültig in den Geschichtsbüchern angekommen. Nach trostlosen Auftritten während der vergangenen großen Turniere entriss die Deutsche Nationalmannschaft das Land aus den Fugen der Hoffnungslosigkeit und ließ die Fans wieder träumen. Die Frage, die sich stellt: Mit welchem Gefühl lassen uns die gezeigten Leistungen zurück?

Fulminanter Auftakt in München

Nach der bitteren 1:4-Pleite gegen Japan und der daraus resultierenden Entlassung von Hansi Flick befand sich die deutsche Nationalmannschaft auf ihrem frustrierenden Tiefpunkt. Vor allem das frühe Aus in Russland und in Katar sowie das Ausscheiden gegen England bei der EM 2021 ließen viele Fragezeichen und wenig Hoffnung zurück. Nach den guten, aber auch durchwachsenen Auftritten unter Julian Nagelsmann kam wieder Leben und Selbstbewusstsein in das gesamte Umfeld. 

Der Auftakt im ersten Gruppenspiel gegen Schottland hätte sich kaum jemand besser ausmalen können. Bereits nach 19 Minuten führte die Mannschaft mit 2:0 und beide Jung-Stars Musiala und Wirtz trafen. Vor der Halbzeit legten sie noch das dritte Tor durch einen Elfmeter des oft hinterfragten Kai Havertz nach. Die Treffer der Einwechselspieler Niclas Füllkrug und des nachrückenden Emre Can rundeten den idealen Auftakt in diese Heim-EM ab. Doch die nächsten Spiele zeigten auch, dass nicht alles Gold ist, was glänzt. 

Probleme bei energischem Spiel gegen den Ball

Die nächsten beiden Gruppenspiele offenbarten nämlich die Schwächen im deutschen Spiel. Ähnlich wie schon bei den Spielen gegen die Türkei (2:3) oder Österreich (0:2) Ende 2023 bereitete das aufopferungsvolle Spiel gegen den Ball, welches, auch die Ungarn (2:1), aber vor allem die Schweizer (1:1) auszeichnet, dem deutschen Aufbauspiel Probleme. Viele Experten warnten schon im Vorfeld des Turniers, dass der Kader des DFB ganz klar darauf ausgelegt ist, das Spiel zu bestimmen und den Ball am eigenen Fuß zu haben.

Spieler wie Wirtz, Musiala und Gündogan überzeugen mehr durch ihr kluges Passspiel und eher weniger durch schnelle Umschaltsituationen.

Insgesamt fehlte der deutschen Mannschaften in diesen Spielphasen die finale Abstimmung, um sich aus stressigen Pressingsituationen sicher und spielerisch befreien zu können. Somit gelang es ihnen nicht regelmäßig, das Spiel wieder schnell in die gegnerische Hälfte zu verlagern. Wirft man einen Blick auf die Tatsache, dass Julian Nagelsmann nicht einmal zwölf Monate auf der Trainerbank der Nationalmannschaft sitzt, kann man jedoch gewiss Verständnis für dieses Manko aufbringen.

Diskussionen um den VAR in den K.O.-Spielen

Aus ähnlichen Gründen verlor die DFB-Elf am Ende der ersten Halbzeit auch die Kontrolle über das Spiel gegen Dänemark. Zu überhastet spielte man die Bälle nach Ballgewinn vertikal nach vorne und konnte somit keine ruhigen Ballbesitzphasen kreieren. Wenn eine Mannschaft dann mal minutenlang hinterherläuft, kommt der Gegner zwangsläufig zu Chancen. Auf diesem hohen fußballerischen Level gehört es aber auch dazu, in gewissen Perioden leiden zu müssen und es dem Gegner in seinen Ballbesitzphasen so schwer wie möglich zu machen. Das hat die deutsche Mannschaft auch gegen die Dänen nicht schlecht gemacht. 

Statistiken Deutschland vs. Dänemark
Statistiken Deutschland vs. DänemarkOpta by StatsPerform

Man hätte sogar direkt nach vier Minuten im Anschluss an eine Ecke und dem Kopfball von Nico Schlotterbeck in Führung gehen können. Doch ein Foulspiel von Kimmich wurde geahndet, der Treffer somit auch wieder aberkannt. Es sollte nicht die letzte knifflige Schiedsrichter-Entscheidung sein, die die deutsche Mannschaft in der K.O.-Phase begleitet.

Zwei weitere knifflige Szenen kurz nach der Halbzeitpause brachte das DFB-Team dann auf die Siegerstraße. Zunächst wurde ein Treffer der Dänen wegen haarscharfer Abseitsstellung zurückgepfiffen, ehe der VAR ein Handspiel vom vorherigen Torschützen Anderson als strafbar interpretierte. Die Folge: Elfmeter. Die letzte Note eines insgesamt guten, aber nicht ausgezeichneten Spiel der Deutschen setzte Musiala nach beeindruckender Vorbereitung von Nico Schlotterbeck. Ein relativ klares Ergebnis in einem eigentlich sehr knappen Spiel.

Spanien-Spiel als Gradmesser

Die meisten Schlüsse über das Leistungsniveau der Mannschaft wird man aus dem Aufeinandertreffen mit dem späteren Titelgewinner Spanien ziehen (2:1 n.V.). Es sprach Bände über die Leistung von Julian Nagelsmann und seinem Team, dass sich die beiden Mannschaften aus der Sicht der Öffentlichkeit auf Augenhöhe befanden. Nach anfänglichen Schwierigkeiten bereitete das deutsche Team den Spaniern auch gehörige Probleme. Beide verfolgten das gleiche Spielkonzept und wollten stets die Kontrolle über Ball und Gegner haben. Die Männer von Nagelsmann setzten die bis dato beste Mannschaft des Turniers mächtig unter Druck und konnte sich so immer wieder in der spanischen Spielhälfte festsetzen. Umgekehrt geschah dies selbstverständlich auch. Viele Chancen ermöglichte die deutsche Abwehr dem besten Angriff des Turniers jedoch nicht. 

Nach einem denkbar schlechten Start in die zweite Hälfte bewies die DFB-Elf aber auch mentale Stärke. Relativ schnell fing man sich nach dem Rückstand und erkämpfte sich die Spielkontrolle. Es bleibt der Mannschaft hoch anzurechnen, wie sie den Titelträger dominieren und sich eine Vielzahl an guten Torchancen erspielen konnte. So war auch der emotionale Ausgleichstreffer zum 1:1 durch Florian Wirtz hochverdient.

In der Verlängerung gingen beide Teams bis an ihre absoluten Grenzen. Am Ende entscheidet im Fußball auch die dazugehörige Portion Glück über Gewinner und Verlierer. Auch wenn es schwerfällt, muss man die Entscheidung über den nicht gegebenen Handelfmeter akzeptieren. Die vergebenen Torchancen im Verlauf der Verlängerung hätten den Spielverlauf nochmals auf den Kopf stellen können. Doch anhand der gezeigten Leistungen fällt der Blick nach vorne deutlich einfacher als noch nach den letzten Turnieren. 

Personelle Fragenzeichen

Zum Abschluss wollen wir noch eine Aussicht auf den Kader der Zukunft werfen. Mit Toni Kroos wird, trotz seines Alters, eine absolute Stütze dieses Teams wegbrechen. Er lenkte das deutsche Spiel über das gesamte Turnier hinweg und spielte von allen Spielern des Turniers die mit Abstand meisten Pässe ins letzte Drittel. Wer wird den Routinier ersetzen können? Wird Kimmich, der solide Leistungen auf der Rechtsverteidigerposition gezeigt hat, wieder auf seine Lieblingsposition gezogen oder werden wir den Aufstieg eines der jungen Spieler wie Pavlovic von den Bayern oder Stiller von Stuttgart sehen?

Auch in der Offensive werden bis zur WM 2026 Fragen zu beantworten sein. In welcher Verfassung befindet sich Kapitän Gündogan in zwei Jahren? Spielt Havertz weiter im Angriff oder auf der "Zehn"? Im Sturm tummeln sich interessante Namen wie Maxi Beier von der TSG Hoffenheim. Auch Offensivtalente wie Gruda von Mainz 05 könnten sich in den nächsten Jahren weiter entwickeln. 

Der emotionale Wandel ist geschafft und die deutschen Fußballfans fiebern den nächsten Länderspielen nun wieder mit einer ganz anderen Erwartungshaltung entgegen. Das erste Spiel nach der EM findet am 07. September um 20:45 (MEZ) gegen Gruppengegner Ungarn im Rahmen der Nations League statt.