Vorschau: "Lasst es uns wuppen!" - EM-Startschuss für Sommermärchen 2.0 in München
Das Objekt der Begierde hat Nagelsmann in der "Fußball Arena München" am Freitag (ab 21 Uhr live im ZDF und in der Flashscore-Audioreportage) direkt vor der Nase: Franz Beckenbauers Witwe Heidi, Bernard Dietz und Jürgen Klinsmann tragen den Henri-Delaunay-Pokal zum Platz, "Erbe" Ilkay Gündogan soll den Pott am Traumziel Berlin am 14. Juli als vierter DFB-Kapitän in den Nachthimmel stemmen. "Wenn wir an einem Turnier teilnehmen, sollten wir es auch gewinnen wollen", sagt Nagelsmann. Die größten Favoriten mögen Frankreich oder England sein, doch sein Herz sage: "Wir, Deutschland!"
Zum Match-Center: Deutschland vs. Schottland
"Lasst es uns wuppen"
DFB-Präsident Bernd Neuendorf prophezeit beim "Leuchtturmprojekt" des Verbandes "viele magische Momente". Wie von Zauberhand will Nagelsmann mit einer verzückenden Elf voller "Anpacker" zu einer "Rückkehr des Optimismus in unserem Land" beitragen. Turnierdirektor Philipp Lahm wünscht sich wie beim Original-Sommermärchen 2006 wieder "mehr Solidarität und einen größeren Zusammenhalt" in diesem von Pandemie und politischen Problemen durchgerüttelten Land.
Vor 18 Jahren gab der damalige Linksverteidiger Lahm mit seinem Traumtor gegen Costa Rica (4:2) den Startschuss für einen sensationellen Sommer, Nagelsmann sieht die Zeit für neue Helden gekommen. "Nicht nur Europa, sondern die ganze Welt", schaue zu, sagt er über das "große Privileg" Heim-EM und fordert: "Lasst es uns wuppen!"
Vor dem Start hat der mit 36 Jahren jüngste deutsche Turniertrainer, der nach der Nachnominierung von Emre Can die mit 28,5 Jahren älteste Mannschaft im Wettbewerb coacht, noch Tipps von seinen Vorgängern Klinsmann, Joachim Löw und Hansi Flick sowie von Nationalcoaches anderer Sportarten eingeholt. Ihr wichtigster Hinweis: "Ich soll einen eigenen Weg gehen."
Achse auf dem Feld steht
Das tut er. Seit den mitreißenden März-Länderspielen sind alle Rollen in seinem Team klar verteilt, die Startelf gegen die vom Bundestrainer als echtes "Brett" eingeschätzten Schotten ist seit Monaten bekannt. Daran ändern auch die dürftigen Vorbereitungsspiele, die jüngsten Patzer von Torwart Manuel Neuer oder die Zweifel an der körperlichen Verfassung von Kapitän Gündogan nichts.
Die Achse mit Neuer, Abwehrchef Antonio Rüdiger, Mittelfeld-Boss Toni Kroos, Gündogan und Spitze Kai Havertz steht. Rückkehrer Kroos soll alles zusammenhalten und das deutsche Spiel bei seiner Abschiedsvorstellung mit der Aura des sechsmaligen Champions-League-Siegers lenken. Seit er sich zum Comeback entschieden habe, habe er den Titel "im Kopf", sagt er, die DFB-Elf sei "in der Lage, jeden zu schlagen".
Störende Debatten wurden im idyllischen Turnierquartier von Herzogenaurach rechtzeitig abgebügelt oder klug moderiert. Deshalb glaubt niemand an eine Fortsetzung der Pleiten-Serie bei Turnieren oder die vierte Auftaktniederlage nacheinander.
Schottland und München sollen vielmehr "eine Initialzündung sein" und "die Fesseln lösen", wie Routinier Thomas Müller sagt. Ein gelungener Auftakt wie 2006, weiß Gündogan, "kann uns durch das Turnier tragen. Die Verantwortung liegt bei uns." Nagelsmann fordert deshalb von seiner Mannschaft, sie müsse die Fans sofort "mitnehmen" auf die Titelreise und "mit attraktivem Fußball begeistern".
Kimmich warnt vor Rückfall
Andernfalls, schwant Joshua Kimmich, "ist der Druck und der Gedanke an die vergangenen Turniere sofort wieder da". Doch Nagelsmann wähnt sich und seine Stars gewappnet, von "Druck" oder gar "Angst" will der selbstbewusste Coach nichts hören. Falls doch was schiefgeht, hat er alternative Abläufe im Köcher, die er mit dem Code-Wort "Notfallplan" aktivieren kann.
Die Schotten, weiß Nagelsmann, kämen - unterstützt von den Tausenden sanges- und trinkfreudigen Mitgliedern ihrer "Tartan Army" - viel "über die Emotionalität". Obwohl der Gegner "sehr kompakt" verteidige, erwarte seine Mannschaft kein "kick and rush", Schottland sei "fußballerisch sehr gut".
Umso mehr gelte es, Andy Robertson vom FC Liverpool und Co. "Stress" zu machen. "Es muss weh tun, gegen uns zu spielen", verlangt der Bundestrainer. Tugenden wie Kampfgeist und Widerstandskraft sollen das Publikum mitreißen und "die Emotionen wecken, die wir brauchen".
Bilanz: Deutschland der klare Favorit
Erst einmal hat eine DFB-Auswahl ihr erstes Spiel bei einer EM-Endrunde verloren, dies allerdings vor drei Jahren ebenfalls in München durch ein Eigentor von Mats Hummels gegen Frankreich. Die starke Bilanz in 13 Auftaktspielen seit 1972: Sieben Siege, fünf Unentschieden, eine Niederlage.
Deutschland trifft zum 18. Mal auf Schottland. Die Bilanz ist mit acht Siegen, fünf Unentschieden und vier Niederlagen positiv. Die bislang letzte Begegnung gewann die DFB-Auswahl im Rahmen der EM-Qualifikation im September 2015 in Glasgow 3:2. Deutschland entschied auch die bisherigen Turnier-Duelle bei der WM 1986 (2:1) und der EM 1992 (2:0) für sich.
Die Turnierteilnahmen der Schotten waren zudem nicht gerade von Erfolg gekrönt. Acht Mal qualifizierten sich die "Bravehearts" für Welt- und drei Mal für Europameisterschaften - die Vorrunde überstand Schottland dabei noch nie.
Team-News: Schotten ohne ihren Topstürmer
Deutschland geht ohne große Verletzungssorgen in das Auftaktspiel. Einzig das kurzfristige EM-Aus von Aleksandar Pavlovic schmerzt. Emre Can wurde dafür nachnominiert. Toni Kroos soll im Mittelfeld die Fäden ziehen, bevor er im Sommer in den Ruhestand geht. Jamal Musiala, Illkay Gündogan und Florian Wirtz werden hinter der Sturmspitze Kai Havertz erwartet.
Schottland muss verletzungsbedingt auf QPR-Topstürmer Lyndon Dykes verzichten. Lawrence Shankland von den Hearts oder Che Adams von Southampton könnten diesen in der Startelf ersetzen. Coach Clarke setzt zudem auf die schottischen Premier-League-Stars John McGinn, Scott McTominay und Andy Robertson. Der Liverpooler Verteidiger war dem Training am Montag nur vorsichtshalber ferngeblieben.
Voraussichtliche Aufstellungen
Deutschland: Neuer/Bayern München (38 Jahre/119 Länderspiele) - Kimmich/Bayern München (29/86), Tah/Bayer Leverkusen (28/25), Rüdiger/Real Madrid (31/69), Mittelstädt/VfB Stuttgart (27/4) - Andrich/Bayer Leverkusen (29/5), Kroos/Real Madrid (34/109) - Musiala/Bayern München (21/29), Gündogan/FC Barcelona (33/77), Wirtz/Bayer Leverkusen (21/18) - Havertz/FC Arsenal (25/46). - Trainer: Nagelsmann
Schottland: Gunn/Norwich City (28/10) - Porteous/FC Watford (25/11), Hendry/Al-Ettifaq (29/31), Tierney/Real Sociedad (27/45) - Ralston/Celtic Glasgow (25/9), Robertson/FC Liverpool (30/71) - McGinn/Aston Villa (29/66), McTominay/Manchester United (27/49), McGregor/Celtic Glasgow (31/60), Christie/AFC Bournemouth (29/49) - Adams/FC Southampton (27/30) - Trainer: Clarke
Schiedsrichter: Clement Turpin (Frankreich)
Flashscore-Prognose: Die Deutsche Party beginnt
Nach zwei verpatzten Turnier in Folge und den großen Erwartungen im eigenen Land liegt der Druck ganz klar auf Deutschland. Die Schotten können dagegen befreit aufspielen und haben nichts zu verlieren. Die beiden Generalproben gegen Ukaine (0:0) und Griechenland (2:1) liefen für das DFB-Team eher mäßig, allerdings hat sich auch Schottland mit einem knappen 2:0-Sieg über Gibraltar und einem 2:2-Remis gegen Finnland nicht gerade mit Ruhm bekleckert.
Nach den starken Länderspielen im März mit Siegen gegen Frankreich und die Niederlande sind Hoffnung und Optimismus jedoch groß, dass sich die Mannschaft von Julian Nagelsmann mit dem Startpfiff am Freitag in einen Rausch spielt - und die erste Hürde Schottland problemlos aus dem Weg räumt.
Wir gehen genau davon und einer typisch druckvollen und offensiv überfallartigen Anfangsphase Deutschlands aus, in der man früh für klare Verhältnisse sorgt. Am Ende sollte dies für einen nie gefährdeten Auftaktsieg reichen - Tipp: 3:0 für Deutschland.