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Vorschau: Gebeutelte Türken müssen sich gegen die feiernden Niederländer beweisen

Flashscore
Gebeutelte Türken müssen sich gegen die feiernden Niederländer beweisen
Gebeutelte Türken müssen sich gegen die feiernden Niederländer beweisenProfimedia
Wenige Tage nach dem Jubel-Skandal um Demiral, müssen die stark ersatzgeschwächten Türken gegen die groß aufspielende Niederlande antreten. Oranje konnte im Achtelfinale gegen mutige Rumänen überzeugen, doch das war im Verlauf des Turniers nicht immer so. Zudem steh das Spiel am Samstagabend in Berlin unter besonderen Umständen und wurde von der Polizei als Hochrisikospiel eingestuft.

Wenig drehte sich in den letzten Tagen bei der Türkei um den Sport. Das Drama um die Jubeleinlage von Demiral bestimmt die Gemütslage. Ob die Party von Oranje auch gegen die Türkei fortsetzt oder ob die türkischen Fans Samstagnacht die Straßen in Berlin übernehmen werden, ist nur schwer zu sagen. Denn die Emotionalität kann die Türkei hemmen oder potentiell auch beflügeln. Ein Mann, welcher der Niederlande helfen möchte, die Kontrolle über das Spiel zu bewahren ist Kapitän Van Dijk, der in diesem Turnier auch schon viel Kritik einstecken musste.

Die Vorschau zu Niederlande vs. Türkei.
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Virgil van Dijk: Vom Buhmann zum Anführer

Nach schwacher Vorrunde wurde Virgil van Dijk in den Niederlanden schon zum Buhmann. In der K.-o.-Runde könnte der Anführer doch noch die erhoffte Schlüsselrolle einnehmen.

Virgil van Dijk reckte beide Daumen nach oben und stellte mit breitem Grinsen seinen "Nachwuchs" vor. "Er ist mein Sohn", sagte er mit breitem Grinsen und zeigte in Richtung Xavi Simons. Der Anführer der niederländischen Nationalmannschaft hat sein Lachen rechtzeitig, für die heiße EM-Phase wiedergefunden, soll mit der zurückgewonnenen Leichtigkeit doch noch zum Schlüsselfaktor für den zweiten Titel nach 1988 werden.

Zum Match-Center: Niederlande vs. Türkei

Und das, nachdem ihm in den Wochen in Deutschland zwischenzeitlich so gar nicht zum Scherzen zumute war. In der Heimat wurde ausgerechnet der Kapitän nach der enttäuschenden Vorrunde als Sündenbock dargestellt. Rafael van der Vaart hatte dem Abwehrchef beim 2:3 zum Abschluss der Gruppenphase gegen Österreich "eine beschämende Leistung" attestiert. "Ich möchte etwas Leidenschaft sehen! Da muss etwas Gift drin sein", motzte der ehemalige HSV-Profi.

"Vielleicht haben wir uns selbst überschätzt"

Das Auftreten van Dijks sei "eine Schande" und eines Kapitäns nicht würdig. Der Kritisierte reagierte daraufhin keineswegs beleidigt, ging vielmehr hart mit sich selbst ins Gericht. "Ich bin nicht blöd. Ich weiß auch, dass ich es besser machen kann und besser sein sollte", betonte der 32-Jährige, der seinen Worten Taten folgen ließ. Schon beim 3:0 im Achtelfinale gegen Rumänien war der Profi des FC Liverpool wieder wie gewohnt die schier unüberwindliche Mauer in der Defensive.

Es soll die Wende im Turnier gewesen sein. Auch beim zu erwartenden Auswärtsspiel in Berlin gegen die Türkei trägt van Dijk am Samstag (21.00 Uhr/RTL und live in der Flashscore-Audioreportage) eine große Last. Denn der Gegner glänzte bei der EM bislang vor allem mit Kopfballstärke nach Standards, van Dijk wird sich für den Halbfinaleinzug mit seinen 1,95 Meter als Turm in diese Duelle reinwerfen müssen. Verantwortung übernimmt er ja ohnehin gerne.

"Als Kapitän sind alle Augen auf dich gerichtet, aber daran habe ich mich gewöhnt, mittlerweile genieße ich es sogar", betonte der Abwehrhüne. Nach der Gruppenphase setzte er eine Krisensitzung unter den Spielern an. "Vielleicht haben wir uns selbst überschätzt", monierte er: "Es musste viel gesagt werden und wir mussten viel analysieren. Es war nicht die Taktik, bei der etwas schiefgelaufen ist. Es war vor allem der Siegeswille, also haben wir darüber gesprochen - und zwar mit harten Worten."

Diese haben gefruchtet. Dass er bei der Kritik sich selbst nie ausspart, macht Eindruck bei den Kollegen. So stand gegen Rumänien ein neues, ebenso kämpferisches wie spielfreudiges Oranje auf dem Rasen. Geht der Trend so weiter, wird van Dijk auch seinen Chefkritiker Rafael van der Vaart verstummen lassen und weiter mit "Ziehsohn" Simons bei Instagram seine Späße machen. 

Jubel-Skandal um Demiral

Der türkische Fußball-Nationalspieler Merih Demiral ist von der UEFA für das Zeigen des Wolfsgrußes für zwei Spiele gesperrt worden. Damit verpasst der Verteidiger, der im Achtelfinale gegen Österreich (2:1) die beiden türkischen Tore erzielt hatte, das Viertelfinale gegen die Niederlande in Berlin. Sollte sich die Türkei durchsetzen, müsste Demiral auch im Halbfinale zuschauen.

Die UEFA hatte in der Folge des Eklats eine Untersuchung aufgrund eines "mutmaßlich unangemessenen Verhaltens" eingeleitet. Die Geste hatte zu diplomatischen Verwicklungen geführt. Ankara hatte nach Kritik der Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) den deutschen Botschafter vorgeladen, am Donnerstag bestellte das Auswärtige Amt den türkischen Abgesandten ein.

Letzten Spiele Niederlande vs. Türkei
Letzten Spiele Niederlande vs. TürkeiFlashscore

Der Wolfsgruß ist ein Handzeichen und Symbol der türkischen rechtsextremen und ultranationalistischen Organisation "Graue Wölfe". Weder die Organisation noch der Gruß ist in Deutschland verboten. Die "Grauen Wölfe" stehen allerdings unter der Beobachtung des Bundesamtes für Verfassungsschutz.

Demiral (26) hatte jegliche "versteckte Botschaft" hinter seiner Geste verneint. "Wie ich gefeiert habe, hat etwas mit meiner türkischen Identität zu tun", sagte er nach dem Spiel gegen Österreich. "Wir sind alle Türken, ich bin sehr stolz darauf, Türke zu sein, und das ist der Sinn dieser Geste. Ich wollte einfach nur demonstrieren, wie sehr ich mich freue und wie stolz ich bin", so Demiral. Er hoffe, dass es "noch mehr Gelegenheiten gibt, diese Geste zu zeigen". Bei dieser EM wird es dazu vorerst nicht mehr kommen.

Montella auf den Spuren Terims

Vincenzo Montella folgte auf Stefan Kuntz und verbreitete Aufbruchstimmung. Nun kann der Italiener die Türkei zu einem der besten EM-Ergebnisse führen.

Der leidenschaftliche Auftritt gegen Ralf Rangnicks Österreicher im EM-Achtelfinale (2:1) lässt die Türkei hoffen. Mit einem weiteren Sieg wäre die zweite Halbfinal-Teilnahme nach 2008 perfekt. Mittendrin in der Euphorie: Montella.

Nach dem Einzug ins Viertelfinale wurde er schon in einem Atemzug mit dem früheren Erfolgstrainer Fatih Terim genannt, unter dem die Türkei vor 16 Jahren beim Turnier in der Schweiz und Österreich ihr bislang bestes EM-Ergebnis gefeiert hatte. Er fühle sich sehr geehrt, sagte Montella, in dessen Vita sich noch mehr Gemeinsamkeiten mit dem türkischen Coach finden lassen. Wie Terim trainierte er einst die Serie-A-Klubs AC Florenz und AC Mailand und jetzt, sagte Montella, "bin ich beim türkischen Nationalteam, wo er Fußballgeschichte geschrieben hat".

Hochgelobt und scharf kritisiert - Montella hat beide Extreme in seinen knapp zehn Monaten als türkischer Trainer bereits erlebt. Wie schnell die Stimmung kippen kann, musste er auch bei der EM erfahren, sah sich nach der späten Einwechslung des türkischen Toptalents Arda Güler beim 0:3 gegen Portugal gar Mobbing-Vorwürfen ausgesetzt. Diesen stellte sich der Verband TFF jedoch entgegen.

Im vergangenen Herbst hatten sich die Verantwortlichen für den Weg mit Montella entschieden, Stefan Kuntz musste mitten in der EM-Qualifikation nach einer 2:4-Testspielniederlage gegen Japan gehen. Es habe mehr Mut und einen neuen Impuls gebraucht, erklärte der ehemalige Bundesligaprofi Hamit Altintop, heute TFF-Vorstandsmitglied, dem Nachrichtenportal t-online nach der Entlassung des früheren U21-DFB-Trainers. Der Zeitpunkt sei ein Risiko gewesen, aber man sei das "Wagnis eingegangen"

Der Verband dürfte sich bestätigt fühlen, das EM-Ticket hatte die Türkei auch mit dem neuen Mann an der Seitenlinie nach Siegen gegen den WM-Dritten Kroatien (1:0) und Lettland (4:0) gelöst. Auch wenn er selbst seine Erfolge als Spieler mit 141 Toren in der Serie A, einem Meistertitel und einem Pokalsieg mit der AS Rom in Italien feierte, kennt er den türkischen Fußball bestens. Vor drei Jahren hatte es Montella nach Trainerstationen in Rom, Mailand, Sevilla und Florenz zu Adana Demirspor in die Türkei gezogen, nun könnte er seine Wahlheimat ins Halbfinale führen.

An ein "universelles Erfolgsrezept" glaube er dabei nicht, erklärte er in einem UEFA-Interview. Als Trainer müsse man stets die Qualitäten der Spieler fördern, "statt seinen eigenen Plan auf Biegen und Brechen zu verfolgen". Das scheint bisher aufzugehen. 

Team-News: Montella muss kreativ werden

Vor allem die Sperren in der türkischen Mannschaft werden ein wenig Improvisation erfordern. Mit Kökcü und Yüksek fallen zwei der absoluten Stammkräfte aus. Im zentralen Mittelfeld wird Calhanoglu nach abgesessener Sperre wieder zurückkehren. Abzuwarten bleibt, ob Montella wie schon gegen Österreich beide Jung-Stars von Anfang an bringt. Das ausbaufähige Defensivverhalten der beiden könnte ausschlaggebend sein, einen von beiden auf der Bank zu lassen. 

Bei der Niederlande erwarten wir keine großen Änderungen. Sowohl die Abwehr als auch das Mittelfeld wirkt sehr stabil und eingespielt. Lediglich auf dem rechten Flügel könnte es zu einer Änderung kommen. Bergwijn legte zwar eine mehr als ordentliche Leistung in der ersten Hälfte gegen Rumänien ab, doch mit seinem Doppelpack könnte Malen die Nase vorne haben. 

Voraussichtliche Aufstellungen:

Niederlande (4-2-3-1): Verbruggen – Dumfries, de Vrij, Van Dijk, Ake – Reijnders, Schouten, Simons – Malen, Gakpo, Depay

Türkei (4-2-3-1): Günok – Müldür, Kadioglu, Ayhan, Bardakcı – Çalhanoğlu, Özcan – Güler, Yazıcı, Yildiz – Yılmaz 

Flashscore-Prognose: Niederlande bewahrt den kühleren Kopf

In einem sehr hitzigen Umfeld in Berlin wird es am Ende auch darauf ankommen, wer den nötigen Überblick bewahrt und sich nicht aus der Ruhe bringen lassen wird. Die Fans und das ganze Drama um den Jubel von Demiral könnte zu viel Ablenkung für die türkische Mannschaft sein. Auch wenn die Emotionalität sich am Ende als Stärke der Türken entpuppen könnte, glauben wir an eine 2:1-Führung, welche die Niederlande während der Schlussoffensive der Türken in einen 3:1-Sieg ummünzen können.