Social-Media-Experte Mario Leo: “Phil Foden könnte bei der EM 2024 für Furore sorgen“
Im Exklusiv-Interview mit Flashscore spricht Leo über seine Arbeit mit großen Fußballverbänden, beleuchtet die Top-Social-Media-Profile der EM-Stars und geht auf potenzielle Gefahren der digitalen Welt für die jüngere Fußballer-Generation ein. Der 53-jährige Experte gewährt einen detaillierten Einblick in den Einfluss der sozialen Medien auf den Sport und bietet wenige Wochen vor Beginn des Turniers eine einzigartige, datenbasierte Perspektive.
Flashscore: Mario, die EM 2024 steht vor der Tür. Als Deutscher fieberst du dem Großereignis im eigenen Land sicher schon seit geraumer Zeit entgegen. Bei aller Professionalität, die man als Daten-Experte benötigt: wieviel Vorfreude und Emotion stecken schon in dir?
Mario Leo: Meine Vorfreude ist riesig. Veranstalter zu sein, so ein großes Turnier im eigenen Land zu haben, ist etwas Besonderes. Deutschland ist sehr gut im Organisieren von Großveranstaltungen. Es wird ein tolles Event mit vollen Arenen und großartigem Sport. Um ehrlich zu sein, an manchen Tagen habe ich schon Gänsehaut, wenn ich an das Eröffnungsspiel denke. Große Vorfreude.
Mit der UEFA, dem DFB und dem österreichischen Fußball-Bund beliefert ihr drei, bei der EM involvierte, Organisationen. Mit welchen Anfragen kommen diese vor, aber auch während und nach diesem Großevent auf dich und dein Team zu?
Vor dem Turnier sind wir sehr in Planungsthemen involviert. Welcher Content, welche Formate funktionieren aktuell auf Social Media? Was wünscht sich die Zielgruppe? Bei der UEFA und beim DFB begleiten wir auch Matchtags-Prozesse. Wir screenen beispielsweise rassistische Postings auf Facebook und Instagram, um in der Krisenkommunikation sicher und zielgerichtet agieren und reagieren zu können. Im Nachgang widmen wir uns der Analyse. Welche Auswirkungen hatte zum Beispiel ein überraschender Sieg von Österreich gegen Frankreich. Im Grunde wollen die Verbände Marketing- und Sponsoringwerte evaluieren, um für die nächsten Spiele und Turniere zu lernen, und etwaige Adaptierungen der eigenen medialen Performance vornehmen zu können.
Dann lass uns doch gleich tiefer in die Daten eintauchen. Welche europäischen Fußball-Nationalverbände sind euren Analysen zufolge führend?
Da muss man unterscheiden. Auf der einen Seite gibt es die großen Nationen, die über große Follower-Zahlen verfügen, beispielsweise England, Frankreich, Deutschland und Spanien, aber auch Portugal mit Cristiano Ronaldo. Auf der anderen Seite gibt es emotional begeisternde Verbände wie Polen und Schottland, die unfassbar hohe Interaktionsraten haben. Reaktion und Interaktion werden immer wichtiger, deshalb muss man auch diese Verbände loben und zur absoluten Spitze zählen. Generell ist der Fußball ein Social-Media-Vorreiter, das zieht sich durch bis in kleine Nationen wie Gibraltar und San Marino.
Du hast kleinere Verbände genannt, die auf Social Media erfolgreich sind und tolle Zahlen generieren. Was genau ist deren Erfolgsrezept, um neben den Social Media Profilen der großen Verbände nicht unterzugehen?
Primär liegt es am Interesse der Gesellschaft für den Fußball. In Ländern wie Polen und Rumänien ist der Nationalstolz sehr ausgeprägt, in anderen Nationen weniger. Fußball ist aber auch die populärste Sportart der Welt und schlägt deshalb in der digitalen Welt immer große Wellen. Social Media ist ein großer Sensibilisator, der diverse Meinungsströme multipliziert. Besonders im Zusammenspiel mit Großevents sind soziale Plattformen ein Kanal, auf dem Freude kommuniziert, aber auch Frust entladen wird. Ein spätes Gegentor in der Nachspielzeit kann einen möglichen Gewinn bei Sportwetten zunichte machen. Dieser Frust entlädt sich dann gegenüber dem Verband und den Spielern. Hier ist es wichtig, in der Kommunikation die richtigen Schritte zu setzen, um dem Frust keine allzu große Bildfläche zu geben. Aber um auf die Frage zurückzukommen: Kleinere Verbände haben vor allem dann gute Chancen aufzufallen, wenn sie kreativ und authentisch sind. Einblicke ins Teamcamp, vielleicht auch ein bisschen ins Privatleben der Spieler. Und es liegt ein Stück weit auch an den Vorbildern. Belgien hat es geschafft, weltweit anerkannte Fußballer zu entwickeln – Courtois, De Bruyne, Lukako. Wenn diese Spieler eng in die Kommunikation des Verbandes eingebunden sind, können alle Beteiligten – Spieler, Verband, Fans und Sponsoren – enorm davon profitieren. In Belgien ist auch etwas anderes bemerkenswert.
Und zwar?
Die Flamen und Wallonen sind sich in vielen Themen uneins, aber im Fußball – wenn es darum geht, das eigene Nationalteam zu unterstützen – sind sie verbunden. Das ist ziemlich einzigartig in Europa, aber schön zu sehen, welche Wirkung der Fußball, gepaart mit guter Kommunikation, haben kann.
Result Sports hat bereits bei vergangenen Fußball-Großereignissen umfangreiche Daten-Analysen erstellt. Habt ihr damals auch die Auswirkung des sportlichen Erfolges in eure Bewertungen miteinfließen lassen? Wenn ja, welche Erkenntnisse gibt es beim Zusammenspiel zwischen dem sportlichen und dem digitalen Erfolg?
Ja, wir haben dieses Thema erst im Jänner beim Afrika Cup beobachtet. Es gibt immer wieder Überraschungseffekte, die durch besondere Ergebnisse und Ereignisse geprägt. Social Media ist zwar durchaus planbar, aber diese kurzfristigen Effekte – Europa- und Weltmeisterschaften sind hier perfekte Beispiele – passieren regelmäßig. Wenn Michael Gregoritsch im ersten Gruppenspiel gegen Frankreich einen Hattrick erzielt, suchen zig Millionen User nach seinem Social Media Profil. Ein großer Teil dieser Menschen wird ihm dann auch als Follower erhalten bleiben. Mit ein bisschen Glück wird er dann auch für ein paar Tage auf Google Trends geführt. Ein anderes Beispiel sind Transfers: David Alaba hatte kurz vor seinem Transfer von Bayern München zu Real Madrid rund 2 Millionen Follower auf Instagram. Wenige Tage nach dem Transfer waren es 6 Millionen. Heute, rund drei Jahre nach diesem Vereinswechsel, folgen ihm 15 Millionen Menschen. Da sieht man auch, welchen immensen Stellenwert Real Madrid im Vergleich zu anderen Topklubs hat. Real spielt hier nochmal in einer ganz anderen Liga.
Apropos Real Madrid: Du hast Juventus Turin beim Transfer von Cristiano Ronaldo von Real Madrid zur Alten Dame in puncto digitalem Potenzial beraten. Diese Erfahrungen hast du 2020 in deinem Buch „Kaufen Sie Ronaldo“ dokumentiert. CR7 bestreitet wohl sein letztes großes Turnier für den ehemaligen Europameister Portugal. Aber ist er auf Social Media auch noch die Nummer 1?
Ja, er ist mit Abstand die Nummer 1. Er ist der erste Sportler, der auf seinen Profilen mehr als 900 Millionen Menschen an seinem Leben teilhaben lässt. Kylian Mbappe ist auf Platz unter allen Spielern, die an der EURO teilnehmen. Toni Kroos hat mit 80 Millionen Follower schon einen respektablen Abstand. Interessant ist auch, dass mit Ronaldo, Kroos, Luka Modric, Robert Lewandowski, Marco Reus, Thomas Müller und Pepe gleich sieben Spieler jenseits der 30 Jahre in den Top-10 vertreten sind. Auch hier geht es wieder um Vorbildfunktionen und Success Stories, nach denen Menschen auf Social Media suchen.
Welchen Spielern traust du bei der EURO 2024, sowohl sportlich als auch digital, den Durchbruch zu? Bei wem siehst du besonders hohes Potenzial, die Follower- und Interaktionszahlen in die Höhe zu schrauben?
Für Furore – sowohl am Spielfeld, als auch auf Social Media - könnte Phil Foden sorgen, der erst vor wenigen Tagen zum besten Spieler der Premier League gewählt wurde und ein wichtiger Bestandteil der Three Lions bei der EURO 2024 sein wird. Aktuell befindet er sich auf Platz 20 im Social Media Ranking der EURO-Teilnehmer. Da ist definitiv noch Luft nach oben und ich bin mir ziemlich sicher, dass wir bei ihm eine tolle Entwicklung seiner Kanäle sehen werden. Als englischer Nationalspieler kann er auch von der medialen Strahlkraft der Three Lions enorm profitieren. Im etwas kleineren Rahmen hat auch Deutschlands Aleksandar Pavlovic riesiges Potenzial, seinem Namen und seiner Marke in den sozialen Medien einen Push zu geben. Selbiges gilt für den Serben Lazar Samardzic. Wichtig ist, dass der Spieler die Fähigkeiten besitzt, den Unterschied auszumachen. Ein Spieler, der sich brav ins Kollektiv einfügt, wird kaum auf Social Media durch die Decke gehen. Als Unterschiedsspieler ist das Potenzial auf eine starke mediale Präsenz wesentlich größer.
Ein brisantes Thema der letzten Jahre sind auch die psychischen Auswirkungen von Social Media auf junge Menschen, die im Umgang mit sozialen Medien noch nicht umfänglich geübt sind. Besonders der neuen Fußballer-Generation wird oft vorgeworfen, dass sie nach Matches in der Kabine sofort auf ihre Smartphones schauen. Wie ordnest du diese Entwicklung ein?
Ich würde hier nicht pauschalisieren. Auch wenn viele Spieler in der Kabine das Smartphone in der Hand haben, heißt es nicht, dass jeder auf Social Media unterwegs ist. Oft werden auch private Nachrichten und Glückwünsche beantwortet. Ich sehe aber ein anderes Problem.
Welches?
Social Media ist toll, wenn man Erfolg hat. Man bekommt viele Glückwünsche, alles ist wunderbar. Viel zu wenige Spieler machen sich jedoch ernsthafte Gedanken, wie sie Social Media nutzen können, wenn man nicht erfolgreich ist. Dieses Thema muss sehr sensibilisiert angegangen werden. Nicht nur bei Profis, schon viel früher in den Akademien und Nachwuchsteams. Sportlern wird bereits in der Jugend die Bildung der eigenen Marke in Aussicht gestellt, zum Profi schaffen es aber nur die Allerwenigsten. Dadurch wird über viele Jahre eine Erwartungshaltung aufgebaut, die die meisten Spieler nicht erfüllen werden. Die Fallhöhe ist brutal hoch. Medienschulung und Markenbildung müssen mit großer Vorsicht, aber konsequenter Nachhaltigkeit verfolgt werden, um den Spielern Werkzeuge mit auf den Weg zu geben, mit denen sie auch in schlechteren Phasen medial bestehen können.
Gibt es Fußballer, die bewusst versuchen, diesen potenziellen Gefahren und Herausforderungen entgegen zu steuern? Wenn ja, wie lässt sich das bewerkstelligen?
Die Kabine ist entscheidend. Es geht nicht darum, Social Media zu verbieten. Vielmehr geht es darum, rund um das Spiel, die Team-Gemeinschaft in den Vordergrund zu stellen. Warum soll es nicht möglich sein, dass der Kapitän 5 Stunden vor und nach dem Spiel, alle Smartphones einsammelt? Keine Ablenkungen, volle Konzentration aufs Spiel. Es gibt Studien, dass Ablenkungen und damit einhergehende Dopaminschübe die Fehlerquote beim Match beeinflussen können. Ich kann mich nur wiederholen: Sensibilisierung ist enorm wichtig.
Werfen wir noch einen Blick in die Zukunft: Welche Social Media Plattform wird die nächsten 5 Jahre dominieren?
Ich denke, dass die aktuell populären Plattformen auch in den nächsten drei bis fünf Jahren dominieren werden. Vor allem jene, die große Communities an sich binden. Wir haben in der Vergangenheit aber auch schon an Beispielen wie Google+ gesehen, dass einzelne Plattformen wieder verschwinden. Die verschwinden aber hauptsächlich wegen dem Geschäftsmodell. Deshalb glaube ich, dass beispielsweise Meta als Online-Bühne in den kommenden Jahren definitiv präsent sein wird. Rund 4 Milliarden Follower, verteilt über alle Meta-Plattformen, sind so eine starke Community, dass sie de facto nicht vom Markt zu verdrängen sind. Kurzum: Meta wird mit Facebook, Instagram, Threads etc. der Top-Player bleiben. Bei Tik Tok muss man abwarten. Die letzten vier, fünf Jahre waren sehr stark, aber das Wachstum stagniert momentan. Hinzu kommt, dass – ausgehend von den USA – jetzt auch in Europa Tik Tok sehr kritisch beäugt wird. Es gibt bereits große Studien, die untersuchen, welche Suchtgefahr von Social Media Plattformen, allen voran Tik Tok, ausgeht. Ich kann mir vorstellen, dass die EU eine Verordnung erlässt, die den Konsum von Tik Tok, aber auch anderer Social Media Plattformen, auf eine gewisse Stundenanzahl pro Tag beschränkt. Dies gilt es genau zu beobachten, um das Potenzial von Tik Tok genauer abschätzen zu können. Als dritten Player haben wir Google, das mit Youtube und der Suche wohl über das diverseste Portfolio verfügt. Amazon mit Twitch und Microsoft mit LinkedIn und Skype werden versuchen, die Phalanx der großen Drei zu durchbrechen. Aus heutiger Sicht ist das aber noch ein weiter Weg.