Julian Nagelsmann "im Auftrag" der Nation: "Man sollte träumen"
"Man sollte schon davon träumen und sich bei dem einen oder anderen Tagtraum mal vorstellen, wie es ist, im Finale zu sein oder vielleicht das Ding sogar zu gewinnen", sagt Nagelsmann vor dem Eröffnungsspiel der Heim-EM am Freitag (21.00 Uhr/ZDF und MagentaTV) gegen das "Brett" Schottland. Ausgerechnet in München wird der 36-Jährige auf die größte Fußball-Bühne Europas steigen. Dort kann er beweisen, dass er mehr ist als das "Trainertalent", das der FC Bayern vor 16 Monaten vom Hof jagte.
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Nagelsmann kann das Land befeuern
Sportdirektor Rudi Völler sieht ihn als "Taktikfuchs", dessen Leidenschaft die Spieler "anstecken und mitreißen kann. Er brennt für die Nationalmannschaft und für den Erfolg." Dieses Feuer hat sich bei den Erweckungserlebnissen im März auch auf die Fans übertragen, jetzt soll es nach dem Willen des Bundestrainers "zu einer Rückkehr des Optimismus" im krisengeplagten Land führen.
Ein Flächenbrand der guten Laune, "das wäre ganz schön groß", sagt Nagelsmann. Unter einem Sommermärchen 2.0 macht er es nicht. Wer geglaubt hatte, das Aus in München hätte an seinem Selbstvertrauen genagt, sieht sich getäuscht. Für Nagelsmann ist keine Aufgabe zu groß, kein Gegner zu stark. Dass kein deutscher Trainer vor einem Turnier weniger Länderspiele hatte, schert ihn nicht. Er ist vollauf überzeugt: von seiner Mannschaft, von sich selbst.
Was sich verändert hat: Nagelsmann ist nach innen kommunikativer geworden, auch geduldiger. Geleitet wird er noch immer von seinem Credo, dass "große Dinge nur entstehen, wenn man bereit ist, ins Risiko zu gehen". Wie bei der Rückholaktion mit Toni Kroos. Wie bei der Entscheidung, zugunsten seiner "Rollen-Spieler" einen Mats Hummels zu Hause zu lassen. Oder bei der Frage, ob der wacklige Manuel Neuer und der überspielte Ilkay Gündogan wirklich gegen die Schotten beginnen sollten.
"Als Trainer", sagt Nagelsmann, "war ich nie angstgetrieben. Angst sollte man haben, wenn es um Existenzielles geht." Im wahren Leben, nicht auf dem Platz. Dort schaltet der Daten-Nerd bei engen Entscheidungen den Kopf auch mal aus. Man müsse "den Mut haben, auf sein Herz und seinen Bauch zu hören", sagt er.
Ohne viel "Druck" Europameister werden
Von "Druck" will Nagelsmann nicht reden - Heim-EM hin oder her. Fußball solle unterhalten, die Fans und den Trainer am Spielfeldrand. "Wenn es Spaß macht, dann ist der Druck schon deutlich kleiner."
Seiner Mannschaft hat er eingebläut, den Mut zu haben, "Fehler zu machen". Kroos und Co. sollen eine "typisch deutsche Mentalität" verkörpern: "Wir stehen auf, wir packen es an!" Wie die 96er, deren "Widerstandsgeist" ihm imponiert haben. Wer so "unbeugsam" auftrete, könne es auch mit Schotten aufnehmen, die "deutlich besser sind, als man es von außen erwarten würde".
Apropos außen: Nagelsmann ist "bewusst", dass er bei 84 Millionen Bundestrainern im Brennglas steht. Er sieht sich und seine Stars als "Botschafter im Dienste und im Auftrag" der Nation. Von seinen Vorgängern Joachim Löw und Hansi Flick hat er sich Tipps geholt, "Papa-Figur" Völler gibt ihm "die nötige Ruhe". Und im Zweifel hört er eben auf sein Herz.
Was sagt es über den kommenden Europameister? "Das Herz sagt: Wir, Deutschland."