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EM 1992: Wie ein Krieg die vielleicht beste Mannschaft der Geschichte auseinanderriss

Svend Bertil Frandsen/Heik Kölsch
Robert Prosinecki (l.) war einer der Stars der jugoslawischen Mannschaft bei der WM 1990
Robert Prosinecki (l.) war einer der Stars der jugoslawischen Mannschaft bei der WM 1990Profimedia
Wenn man an die EM 1992 denkt, so denkt man an einen sensationellen Sieg eines Underdogs. Was viele nicht mehr wissen: Der dänische Triumph wurde auf den Flammen einer jugoslawischen Fußballdynastie geboren, die zerfiel, als die politischen und ethnischen Spannungen im Balkankonflikt explodierten.

EM 1992: Jugoslawien wird disqualifiziert

Ende Mai 1992 traf beim dänischen Fußballverband ein Fax des Europäischen Fußballverbands UEFA ein, in dem den Skandinaviern mitgeteilt wurde, dass Dänemark Jugoslawien bei der Europameisterschaft ersetzen würde, da die Mannschaft vom Balkan aufgrund von Sanktionen der UNO als Teilnehmer disqualifiziert worden war.

Jugoslawien stand damals an der Schwelle zu einem Jahrzehnt mit einer "Goldenen Generation" von Spielern. Aufgrund des Konflikts auf dem Balkan spielten sie allerdings nie wirklich in einer einheitlichen Nationalmannschaft zusammen. Diese Generation umfasste Spieler wie Sinisa Mihajlovic, Davor Suker, Predrag Mijatovic, Robert Prosinecki, Vladimir Jugovic, Zvonomir Boban, Dejan Savicevic, Alen Boksic, Dragan Stojkovic und Darko Pancev.

Dänemark wird Europameister - im Balkan bricht der Krieg aus

Etwa einen Monat später wurde Dänemark Europameister, nachdem es mit einer Mannschaft, die zuvor bereits in die Sommerpause geschickt worden war, den Großteil des europäischen Fußballs in Aufruhr versetzt hatte.

Doch während Dänemark etwa einen Monat später bei der Europameisterschaft in Schweden den größten Sport-Triumph der Landesgeschichte feierte, war der Tod von Präsident Josip Broz Tito 1980 der erste Schritt zum Balkankrieg, in dem ethnische und religiöse Spannungen Jugoslawien auseinander rissen und schließlich sieben neue Nationen schufen: Serbien, Kroatien, Mazedonien, Bosnien und Herzegowina, Slowenien, Montenegro und Kosovo.

Dragan Stojkovic ist derzeit Trainer der serbischen Nationalmannschaft
Dragan Stojkovic ist derzeit Trainer der serbischen NationalmannschaftProfimedia

Sie führten zu einer menschlichen Tragödie, bei der Tausende von Menschen in schrecklichen Kämpfen und Massakern ihr Leben verloren, und beraubten die Fußballwelt gleichzeitig einer der furchterregendsten Mannschaften der Geschichte. Einer Mannschaft, die dem späteren dänischen Europameister auf jeder Position haushoch überlegen gewesen wäre.

1987: Jugoslawien gewinnt U20-WM in Chile

Der Grundstein für eine in der Theorie "Goldenen Generation" wurde bereits 1987 gelegt, als Jugoslawien die FIFA U20-Weltmeisterschaft in Chile gewann. Vor dem Turnier gab es keinerlei Erwartungen an das Team. Einer Reihe von Schlüsselspielern wie Sinisa Mihajlovic, Vladimir Jugovic und Alen Boksic wurde sogar nahegelegt, es sei sinnvoller, zu Hause zu bleiben und in der jugoslawischen Liga zu spielen. Roter Stern Belgrad wollte Robert Prosinecki sogar während des Turniers für ein wichtiges Pokalspiel nach Hause holen. Doch die FIFA lehnte ab, und er entwickelte sich in der Folge zu einem der besten Spieler des Turniers.

Prosinecki wurde von Spielern wie Zvonimir Boban, Davor Suker, Robert Jarni und Predrag Mijatovic unterstützt, die unter anderem Brasilien in die Knie zwangen, bevor man Deutschland im Finale im Elfmeterschießen besiegen konnte.

Die Ernte der Früchte der vielleicht talentiertesten Generation, die der moderne Fußball je gesehen hat, konnte jedoch nie eingefahren werden. Mehmet Bazdarevic, einer der Torschützen der jugoslawischen Mannschaft, die 1990 in Parken Dänemark mit 2:0 besiegte, erinnert sich an die Zusammensetzung der Mannschaft: "Vier Spieler, die an diesem Tag spielten, kamen aus Kroatien, vier von uns aus Bosnien, dann waren da noch Predrag Spasic aus Serbien, Pancev aus Mazedonien und Srecko Katanec aus Slowenien. Obwohl Dänemark eine gute Mannschaft war, waren wir viel besser als sie."

 

 Karatetritt gegen Polizisten: Der gefeierte Boban

Eine besonders interessante Personalie ist die von Zvonimir Boban, der von 2016 bis 2019 als stellvertretender FIFA-Generalsekretär fungierte. Der Kroate spielte eine zentrale Rolle in den politischen Spannungen, die die Vorgeschichte des Balkankonflikts bildeten.

Einen Monat vor der Weltmeisterschaft 1990 waren die politischen Fronten durch den späteren serbischen Kriegsverbrecher Slobodan Milosevic und den kroatischen Nationalisten Franjo Tudjman tief gespalten. Der Konflikt entfachte die Flamme, die die Emotionen in einem Spiel zwischen Bobans Dinamo Zagreb und dem Erzrivalen vom serbischen Verein Roter Stern Belgrad zum Kochen bringen sollte.

Neben Unruhen, Platzstürmen und Massenschlägereien im Stadion machte vor allem ein Karatetritt des damals 21-jährigen Bobans gegen einen serbischen Polizisten, der seiner Meinung nach die kroatischen Zuschauer schlecht behandelt hatte, Schlagzeilen.

Der niederländische Autor Erik Brouwer, der den Vorfall detailliert beschrieben hat, sagte später: "Viele Kroaten haben das Gefühl, dass mit diesem Tritt ihre Nation geboren wurde". Im folgenden Jahr explodierte das Pulverfass, als Slowenien und Kroatien ihre Unabhängigkeit erklärten.

Roter Stern an der Spitze Europas

Kurz zuvor hatte Jugoslawien einen seiner größten Triumphe in der Sportgeschichte errungen, als Roter Stern in Bari eines der langweiligsten Endspiele der Geschichte des Europapokals der Landesmeister nach Elfmeterschießen gegen Olympique Marseille gewann, in der Größen wie Chris Waddle, Jean Pierre Papin und Basile Boli spielten.

Doch als die ersten Raketen auf den Balkan niedergingen, war das Starensemble von Roter Stern über ganz Europa verstreut, Spieler wie Prosinecki, Mihajlovic und Savicevic feierten große persönliche Erfolge bei Vereinen wie Real Madrid, AS Roma und AC Mailand.

Kroatien als Musterbeispiel

Die Überreste der jugoslawischen Nationalmannschaft zerfielen in eine Reihe von neuen unabhängigen Nationen. An der Weltmeisterschaft 1994 nahm keine Mannschaft aus dem Balkan teil. Die EM 1996 und die Weltmeisterschaft 1998 zeigten jedoch, wie stark die Jugoslawen hätten sein können, als vor allem Kroatien mir herausragenden Leistungen glänzte: 1996 war für Prosinecki, Suker und Co. noch im Viertelfinale Schluss, nachdem man trotz großer Überlegenheit unglücklich am späteren Europameister Deutschland gescheitert war.

1998 revanchierte man sich dann bei der Weltmeisterschaft, als man der DFB-Elf beim 3:0-Sieg, abermals im Viertelfinale, nicht den Hauch einer Chance ließ, und mit dem späteren Gewinn der Bronze-Medaille historisches für das eigene Land erreichte. Eine Bronze-Medaille mit bitterem Beigeschmack: Denn auch im Halbfinale gegen den späteren Weltmeister Frankreich war man das überlegene Team.

Was wäre als Einheit möglich gewesen?

Heute blickt der ehemalige bosnische Trainer Faruk Hadzibegic, einer der Stars der Mannschaft, die sich für die EM 1992 qualifizierte, auf die Zeit zurück, als ein vereintes jugoslawisches Team bereit war, den europäischen Fußball in Flammen aufgehen zu lassen: "Ich kann Ihnen eines sagen: Wenn wir alle zusammengeblieben wären, wenn wir dieses Turnier unter normalen Umständen gespielt hätten, wenn wir eine Chance gehabt hätten, mitzumachen, dann hätten wir die Europameisterschaft 1992 gewonnen."

Es wäre der Beginn einer Dynastie gewesen, die den Fußball über Jahre hinweg hätte prägen können ...