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Diskussionen nach unattraktiven EM-Halbfinals: "Fußball auf dem absteigenden Ast"?

Aktualisiert
Viele der K.O.-Spiele bei der EM konnten die Fans nicht vom Hocker reißen.
Viele der K.O.-Spiele bei der EM konnten die Fans nicht vom Hocker reißen.Profimedia
Ein 16-Jähriger schießt Spanien ins EM-Endspiel, England zieht durch einen Treffer in der 90. Minute gegen die Niederlande nach. Randgeschichten und statistische Auffälligkeiten boten die EM-Halbfinals genug, doch auch ein anderer Eindruck lässt sich nicht wegdiskutieren: Es fielen nicht nur einige Tore, sondern bei vielen Fans auch die Augen zu.

Wie konnten wir mitfiebern bei vielen Spielen der Gruppenphase: Auf dem Papier unattraktivere Spiele wie Türkei gegen Georgien oder Kroatien gegen Albanien entpuppten sich als wahre Achterbahnfahrten, bei denen beide Teams von Minute eins ihr Herz auf die Tribünen und durch die Fernsehbildschirme übertrugen. Rassige Zweikämpfe, direktes Spiel nach vorne und viele Torchancen waren die Folge, die Zuschauer jubelten.

Doch je länger das Turnier voranschritt, desto seltener wurden diese fast archaischen Momente des Fan-Glücks. Immer mehr nominelle Spitzenmannschaften zeigten das, was sie seit Jahren gelernt haben und was uns viele Fußballexperten wortgewandt als ständigen Fortschritt verkaufen: Geordnetes Spiel aus der Defensive, Pressingresistenz und eine Fehlerquote, die bei den Top-Teams gegen null tendiert.

Dass die Mannschaften genau das seit vielen Jahren trainieren und die Spieler zu Spitzenathleten ausgebildet sind, ist zweifellos. Doch nimmt die Fokussierung auf taktische Brillanz und strategisches Denken das aus dem Fußball, weshalb die meisten Zuschauer einschalten: das Aufregende, das Attraktive, das Unvorhersehbare.

Frankreich und England sind die besten Beispiele: Während die Grande Nation in vier der letzten fünf Turniere das Halbfinale erreichte und damit eine der erfolgreichsten Fußballnationen überhaupt ist, sind die unterhaltsamen Spiele des Teams um Superstar Kylian Mbappe Mangelware. Lange Zeit hatten sie nicht ein einziges Tor aus dem Spiel geschossen, bevor Randal Kolo Muani gegen Spanien zumindest diesen Bann brach.

England überspannt den Bogen

In der englischen Delegation empörte man sich indes darüber, dass Ex-Profi Gary Lineker den Auftritt der Three Lions gegen Dänemark als "Scheiße" bezeichnete. Wie auch die Belgier wurde man trotz erfolgreicher Ergebnisse ausgepfiffen, Trainer Gareth Southgate wurde von einigen Unbelehrbaren gar mit Plastikbechern beworfen.

Auch wenn letztere Form des Protests zu weit geht, wird doch ein Spannungsfeld zwischen Mannschaft und Anhängern deutlich. Die Zielsetzung von Spielern und Trainerteam ist fast ausschließlich auf das Ergebnis ausgerichtet. Die zahlenden Fans hingegen investieren teilweise vierstellige Beträge, um Declan Rice und seinen englischen Mittelfeldkollegen 90 Minuten beim Querpässe spielen zuschauen zu dürfen. Das frustriert.

Auch abseits der kontinentalen Grenzen wird die Entwicklung des Fußballs sehr kritisch wahrgenommen. Einer der unbestritten visionärsten Geister dieses Sports, Uruguays Nationaltrainer Marcelo Bielsa, hat vor einigen Tagen in einer Pressekonferenz anlässlich des Spiels seiner Mannschaft bei der Copa America ein bemerkenswertes Statement abgegeben. 

"Ich habe keinen Zweifel daran, dass der Fußball auf dem absteigenden Ast ist", sagte er. "Immer mehr Menschen sehen sich Fußball an, aber er verliert an Attraktivität, weil wir das vernachlässigen, was dieses Spiel zum beliebtesten Sport der Welt gemacht hat. Die Art und Weise, wie wir jetzt spielen, schützt das Spektakel nicht. Das begünstigt das Geschäft, denn für die Unternehmen ist es vorrangig, dass so viele Menschen wie möglich zuschauen. Ich glaube aber, dass dies ein Ende haben wird."

Oder kurz gesagt: Der Zweck darf nicht alle Mittel heiligen, denn sonst verliert der Fußball seine Seele.