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Stuttgart, Union und Co.: Wie der Europa-Traum der langfristigen Entwicklung schadet

Claas Becker
Großer Einsatz, wenig Zählbares: Der VfB Stuttgart kann noch nicht an die Vorsaison anknüpfen.
Großer Einsatz, wenig Zählbares: Der VfB Stuttgart kann noch nicht an die Vorsaison anknüpfen.Jurgen Fromme / firo Sportphoto / DPPI via AFP
Saisonziele sehen bei jedem Verein unterschiedlich aus. Während Aufsteiger in der Regel mit dem Klassenerhalt zufrieden gestellt sind, wäre eine Saison des FC Bayern ohne Kampfansage an den Titel in der Fußball-Bundesliga kaum vorstellbar. Für einen Großteil der Teams klingt das Saisonziel jedoch sehr ähnlich: Europäischer Fußball. Doch während man noch in der Euphorie steckt, nagt bereits die Dreifachbelastung an den Beinen der Spieler. Was folgt, ist immer wieder ein direkter Absturz zurück ins Niemandsland der Tabelle – oder gar noch tiefer.

Das neueste Beispiel der Überraschungsmannschaften kommt aus Stuttgart. Der VfB hat den wohl rasantesten Vormarsch der jüngsten deutschen Fußballgeschichte hinter sich. Nach dem Wiederaufstieg 2020 brauchten die Schwaben etwas Anlaufzeit, doch unter Sebastian Hoeneß entwickelte man sich innerhalb einer Saison vom Abstiegskandidaten zum Vizemeister. Nach 15 Jahren kehrte der VfB in die Champions League zurück.

Stuttgart agierte vorausschauend und baute den Kader für die neue Dreifachbelastung auf. Neben den drei schmerzhaften Abgängen von Hiroki Ito (Bayern München), Waldemar Anton und Serhou Guirassy (beide Borussia Dortmund) trennte man sich von nicht weiter benötigten Altlasten. Es begann der Großeinkauf: Zwölf Profis wurden verpflichtet, drei weitere ausgeliehen und insgesamt 75,5 Millionen Euro (Quelle: transfermarkt.de) investiert.

In der Champions League wurde man dann schon vor dem 1. Spieltag vor eine große Herausforderung gestellt. Nur 25 Spieler dürfen bei der UEFA gemeldet werden, während Jugendspieler über die B-Liste ergänzend dazukommen. Die Folge: Neuzugänge wie Nick Woltemade, Justin Diehl oder auch Ramon Hendriks konnten nicht registriert werden. Doch auch in der Liga und dem DFB-Pokal bekommt das Trio kaum Einsatzminuten.

Erste Körper streiken

So wird die Belastung, trotz eines eigentlich großen Kaders, dennoch auf wenige Schultern verteilt. Was folgt, sind die klassischen Gebrechen eines jeden Kaders: Verletzungen. Während man im Vergleich zu Champions-League-Konkurrent Borussia Dortmund noch verschont blieb, hat man dennoch die ersten schmerzhaften Ausfälle zu beklagen.

Dan-Axel Zagadou spielt nach einem Außenbandriss im Knie im September wohl erst im neuen Jahr wieder Fußball. Zuletzt zog sich Jamie Leweling eine Muskelverletzung im Oberschenkel zu, könnte aber noch im Dezember zurückkehren. Zuletzt musste Deniz Undav in der Champions League gegen Atalanta Bergamo ausgewechselt werden.

Hoeneß steht vor der Herausforderung zwischen Qualität und Frische in seiner Startelf. Vor dem Spiel gegen Holstein Kiel sprach er davon, "ein Gerüst, aber auch Frische auf den Platz zu bringen". Sollte es zu Rotation kommen, werden also wohl nie alle Vielspieler eine Pause erhalten. Leidtragende sind Stammspieler wie Kapitän Atakan Karazor, Nebenmann Angelo Stiller oder die Stürmer Deniz Undav und Ermedin Demirovic, die bisher in jedem Spiel auf dem Platz standen.

Auch das Quartett Jeff Chabot, Maximilian Mittelstädt, Enzo Millot und Jamie Leweling stand bereits über 1000 Minuten auf dem Feld. "In erster Linie möchte ich eine Mannschaft auf den Platz schicken, mit der die Wahrscheinlichkeit so hoch wie möglich ist, den Heimsieg einzufahren", sagte Hoeneß jüngst zu seinen Aufstellungen.

Am Ende wird es wohl eine Kombination vieler Gründe sein, die dem VfB Stuttgart zum Saisonstart zusetzen. Eine Niederlage gegen den FC Bayern (0:4) war wohl eingeplant, die Unentschieden gegen den 1. FSV Mainz 05 (3:3), dem VfL Wolfsburg (2:2) und der TSG Hoffenheim (1:1) eher nicht.

Der Saisonstart des VfB Stuttgart war alles andere als optimal.
Der Saisonstart des VfB Stuttgart war alles andere als optimal.Flashscore

So stand man nach nun neun Spieltagen noch nicht einmal auf einem Tabellenplatz, der auch in der kommenden Saison für europäischen Fußball sorgen würde. Das obere Tabellenmittelfeld täuscht im Bild zwar etwas, doch als Tabellenachter ist man einen Sieg von Platz 4 getrennt – und nur eine Niederlage von Platz 13.

Doch was passiert im Falle des Verpassens europäischen Fußballs? Häufig bekommen die ersten Spieler den Wunsch nach etwas größerem, sodass es zu Verkäufen kommt. Spieler kamen mit dem Wunsch nach Champions-League-Fußball zum Verein und wollen diesen nun wieder verlassen, wo es jenen nicht mehr gibt. Auch investiert man häufig über seine Verhältnisse, um auf dem neuen Level mithalten zu können – zumindest hat der VfB im Sommer finanziell nahezu ein Null-Geschäft machen können.

Erinnerungen an Union Berlin

Schaut man auf die Situation des VfB Stuttgarts, kommen sofort die Gedanken an Union Berlin hoch. Erst in der Saison 2022/2023 schaffte man nach langfristiger und kontinuierlicher Arbeit den Sprung in die Champions League – und stürzte gnadenlos ab. Nach zwei Siegen zum Saisonstart war man am 11. Spieltag plötzlich Tabellenletzter.

Es blieb ein langer Kampf gegen den Abstieg, doch am Ende profitierte der Hauptstadtklub von den noch schlechteren Saisons des 1. FC Köln und Darmstadt 98. Aufgrund des besseren Torverhältnisses rettete man sich am letzten Spieltag auf Tabellenplatz 15 und vermied den direkten Durchmarsch von der Champions League in die 2. Bundesliga.

Die Parallelen sind unverkennbar, denn auch die Eisernen hätten vor der Saison wohl kaum mit der Champions-League-Qualifikation gerechnet und nach dieser schließlich den Kader umgebaut. Der funktionierende Kern wurde mit ungewohnt namhaften Verpflichtungen von Robin Gosens, Kevin Volland oder auch Leonardo Bonucci ergänzt und ausgetauscht. Insgesamt gab man 38,25 Millionen Euro (Quelle: transfermarkt.de) aus und steht ein Jahr später wieder am Anfang seiner Reise.

Doch Union Berlin ist bei weitem nicht der erste Verein, dem dieses Schicksal ereilte. Eine Mannschaft, die dies gleich mehrmals erlebte, ist der VfL Wolfsburg. Auf die Meisterschaft 2009 sowie die Vizemeisterschaft 2015 folgten Tabellenplatz 8 und auf Platz 4 in 2021 folgte Platz 12.

Horror-Schicksal Schalke 04

Den schwersten Absturz erlebte aber wohl der FC Schalke 04. Die Königsblauen wurden 2018 Vizemeister und spielten plötzlich gegen Top-Teams wie Manchester City. Drei Jahre und sechs Trainerwechsel später stieg man 2021 in die 2. Bundesliga ab. Nach Wiederauf- und -abstieg wurde man in der Vorsaison 10. der 2. Bundesliga und muss in dieser Saison auch dort gegen den Abstieg in die 3. Liga kämpfen.

Schalke 04 kommt der 3. Liga immer näher.
Schalke 04 kommt der 3. Liga immer näher.Flashscore

Die Vergangenheit zeigt: Der VfB Stuttgart hat eine Riesenhürde zu nehmen, die bereits viele Teams hat straucheln oder gar stürzen lassen. Findet Sebastian Hoeneß eine Kaderbalance und kann gleichzeitig die Qualität seiner Mannschaft aufrechterhalten, ist durchaus auch eine andere Zukunft möglich. Das dachten sich in der Vergangenheit aber auch schon andere Vereine…

Claas Becker, Editor
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