CL-Vorschau: Inter auf dem Weg ins Finale – Erzrivale Milan hofft auf ein Wunder
Als Spieler hinkte Simone Inzaghi seinem großen Bruder Filippo immer ein Stückchen hinterher. Pippo, das war der legendäre, laut Sir Alex Ferguson im Abseits geborene Mittelstürmer.
Der 2006 mit Italien Weltmeister wurde. Der im Champions-League-Finale 2007 das entscheidende Tor erzielte. Der mit Milan dreimal italienischer Meister wurde. Der, den man weltweit kannte und schätzte.
Bruder Simone war es stets gewohnt, in Pippos Schatten zu stehen. Die insgesamt sieben mit Lazio errungenen Trophäen stehen in keinem Verhältnis zu den 14 Trophäen von Filippo.
Simone Inzaghi: Nicht unumstritten – aber erfolgreich
Nach dem jeweiligen Wechsel an die Seitenlinie hat sich die Lage aber geändert. Simone Inzaghi schickt sich an, Inter Mailand erstmals seit 2010 wieder ins Finale der europäischen Königsklasse zu führen. Der große Bruder hingegen verdingt sich in der Serie B, als Cheftrainer von Reggina Calcio.
Der 47-jährige Simone ist bei den Nerazzurri trotz wiederkehrenden Erfolgs nicht unumstritten. In der Liga steht man zurzeit auf dem dritten Platz, scheiterte aber letztlich klar an der Scudetto-Mission. Was ihm einige mächtige Vereinsfunktionäre übel nahmen.
Sie wollen mit Silberware versöhnt werden. Und die könnte Inzaghi tatsächlich noch an Land ziehen. Im Idealfall sogar in doppelter Ausführung.
Im Finale der Coppa Italia steht man bereits. Nach dem 2:0-Sieg im Halbfinal-Hinspiel gegen Erzrivale Milan stehen die Chancen gut, dieses auch in der Champions League zu erreichen.
Im Hinspiel ging Inzaghis Plan perfekt auf
Die Schlüssel zum völlig verdienten Erfolg vergangene Woche waren eine stabile Defensive, ein von Inzaghi bis in sämtliche Einzelheiten ausgeklügelter Matchplan und zahlreiche, dutzendfach einstudierte Offensivmechanismen. Im Grunde übernahm er das von Vorgänger Antonio Conte 3-1-4-2 – um es in den großen Spielen aber situativ an den Gegner anzupassen.
Inter machte am Mittwoch das Zentrum dicht und schnürte Spielmacher Brahim Diaz fast die gesamten 90 Minuten hinweg vom Geschehen ab. Henrikh Mkhitaryan und Hakan Calhanoglu – aus ihrer Zeit in Deutschland eher als Virtuosen am Ball, denn Defensivkünstler bekannt – schafften es durch kluge Positionierung, die wiederkehrenden Zuspiele auf Diaz abzufangen.
Klappte das ausnahmsweise nicht, rückte der vergleichsweise flinke Matteo Darmian rechtzeitig aus der Abwehrkette heraus, um Milans Spielmacher schon bei der Ballannahme zu stören.
Milan ließ sich nach dem frühen 2:0-Rückstand oft zu viel Zeit mit den eigenen Angriffen. Mutlos wählten die Rossoneri komplizierte Umwege, versuchten immer wieder, über die Außenbahnen zum Erfolg zu kommen. Vergebens.
Dass sich Sandro Tonali im Laufe des Spiels häufiger im Angriffsdrittel positionierte, um den Fokus von Diaz wegzulenken, nutzte selten etwas. Auch, dass sich Stoßstürmer Olivier Giroud bisweilen fallen ließ, um die Zuspiele auf ihn direkt hinter Inters Abwehrkette zu leiten – durchschauten Francesco Acerbi und seine Teamkameraden sofort.
Erst in der 30. Minute kam Milan gefährlich vors Tor. Kapitän Davide Calabria opferte sich auf, ging weite Wege und überraschte mit einem Tiefenlauf. Sein Abschluss mit der Hacke verpasste das Tor von André Onana nur knapp. Für derartige Momente sorgte die Mannschaft von Stefano Pioli im Hinspiel viel zu selten.
Milans Hoffnungen ruhen auf Rafael Leao
Milans Trainer hofft, dass die erwartete Rückkehr von Rafael Leao am Dienstag (21 Uhr, live auf Amazon Prime und in der Flashscore Audioreportage) für neuen Schwung sorgen wird. Doch einerseits ist der pfeilschnelle Portugiese für das Rückspiel noch fraglich. Andererseits wechseln sich beim 23-Jährigen Licht und Schatten immer noch häufig ab. An guten Tagen ist Leao unaufhaltsam – an schlechten Tagen eine Vorgabe.
Vieles spricht dafür, dass Inter am Dienstag zum zweiten Mal in der Vereinshistorie in ein CL-Finale einziehen wird. Milan sammelte am Wochenende kein zusätzliches Selbstvertrauen, als man Abstiegskandidat Spezia 2:0 unterlag.
Und Simone Inzaghi hat sich bestimmt schon längst die passende Strategie zurechtgelegt. Auch wenn er diese auf der Pressekonferenz vor dem Spiel nicht verraten wollte: "Ich habe eine Idee für eine Formation im Kopf. Aber ich werde das erst später endgültig entscheiden." Außerdem fügte er bedeutungsvoll hinzu: "Das ist eines der wichtigsten Spiele der Vereinsgeschichte. (...) Wir sind eine reife und ernste Mannschaft. Wir haben einen Vorteil, aber noch ist nichts erreicht."
Zum Match-Center: Inter vs. Milan
Teamnews: Saisonende für Ismael Bennacer
Milan-Coach Stefano Pioli ist absolut nicht zu beneiden. Ismael Bennacer zog sich im Hinspiel eine Knieverletzung zu, muss operiert werden und fällt voraussichtlich für rund drei Monate aus. Als Verbindungsspieler zwischen Offensive und Defensive wäre dem Algerier am Dienstag eine Schlüsselrolle zugedacht worden.
Zudem sind mit Rade Krunic (Muskelverletzung) und Junior Messias (Adduktoren) zwei potenzielle Stammkräfte fraglich. Melden sich die beiden nicht rechtzeitig fit, stellt sich Milan gezwungenermaßen wie von selbst auf.
Obwohl im Hinspiel nur selten gefährlich, wird Brahim Diaz auf der Zehn agieren. Die Doppelsechs bilden wohl Sandro Tonali und Tommaso Pobega. Was viel Passsicherheit, aber nicht unbedingt defensive Stabilität bedeutet. Auch Rafael Leao gilt noch als leichtes Fragezeichen.
Die Sorgenfalten von Simone Inzaghi sind deutlich kleiner. Er hat keine offensichtlichen Gründe, seine Aufstellung aus dem Hinspiel anzupassen. Vorstellbar ist jedenfalls, dass Marcelo Brozovic seinen Teamkollegen Hakan Calhanoglu aus der Startelf verdrängt – und dass Romelu Lukaku neben seinem Lieblings-Sturmpartner Lautaro Martinez seine körperliche Wucht ins Spiel bringen darf.
Voraussichtliche Aufstellungen:
Inter (3-1-4-2): Onana – Darmian, Acerbi, Bastoni – Brozovic – Dumfries, Barella, Mkhitaryan, Dimarco – Lukaku, Martinez
Milan (4-2-3-1): Maignan – Calabria, Kjaer, Tomori, Hernandez – Tonali, Pobega – Saelemaekers, Diaz, Leao – Giroud
Flashscore-Prognose: Inter schaukelt den Vorsprung nach Hause
Zu abgebrüht war die Leistung von Inter im Hinspiel, zu schwach ist die aktuelle Form von Milan – als dass die Mannschaft von Stefano Pioli den 2:0-Rückstand nach realistischem Ermessen noch aufholen könnte. Wir erwarten, dass Inter auch am Dienstag besonders clever agieren und das Rückspiel 2:1 gewinnen wird.