Vollgas oder Rückspiegel? Die halbe Bundesliga darf auf Europa schielen

Niko Kovac weiß gar nicht, wohin er schauen soll. Nach oben, in Richtung Europa? Nach unten, zu den Abstiegsplätzen? "Wir sehen zwar die Eintracht vor uns, müssen aber auch in den Rückspiegel blicken. Es ist eine trügerische Geschichte", sagt der Trainer des VfL Wolfsburg über die ungewöhnliche Tabelle der Fußball-Bundesliga. Denn wie Kovac geht es derzeit der halben Liga.

Schaut man nur auf die Zahlen, darf sogar der Tabellen-15. VfL Bochum von Europa träumen. Nur fünf Punkte liegt der VfL hinter Rang sieben, in die andere Richtung sind es dagegen acht Zähler bis zum 16. Platz. Nicht nur Kevin Stöger fragt sich, ob das Glas nun halbvoll oder halbleer ist. "Letzte Woche waren wir die Helden, heute haben wir einen auf die Fresse bekommen", sagte der Kapitän nach dem jüngsten 2:5 in Gladbach, nur wenige Tage nach dem Sieg über die Bayern.

Engstes Mittelfeld seit 1995

Möglich macht das Auf und Ab die ungewöhnliche Konstellation zwischen dem siebten und dem 15. Platz. So eng wie aktuell lag das Mittelfeld der Tabelle seit Einführung der Drei-Punkte-Regel nach 23 Spieltagen noch nie beisammen. Vor einem Jahr betrug der Abstand 20 Punkte - jetzt nur fünf.

Hinzu kommt, dass in diesem Jahr sogar der achte Rang für das internationale Geschäft reichen könnte. Grund: Wegen der Aufstockung der Champions League zur Saison 2024/25 winkt ein fünftes Königsklassen-Ticket. Dafür müsste die Bundesliga in der laufenden Saison im Europacup aber zu den zwei besten Ligen zählen.

Aktuell liegt die Bundesliga hinter Italien auf Rang zwei, dennoch sieht es eher schlecht aus. Der Statistik-Dienstleister Opta taxiert die deutschen Chancen auf nur 22,1 Prozent - vor allem, weil die aktuell drittplatzierte englische Premier League (81,9 Prozent) noch mit einem Team mehr im Europapokal vertreten ist.

Alle jagen Tabellenplatz sieben

Das Augenmerk der halben Liga gilt daher Platz sieben, der aktuell ein weiteres Kuriosum der Tabelle liefert. Denn ab Hoffenheim weisen alle zwölf Klubs eine negative Tordifferenz auf, auch das ist zu einem so späten Zeitpunkt der Saison eine Bundesliga-Premiere. Noch bizarrer ging es nur 1993/94 zu, als der MSV Duisburg nach 22 Spieltagen mit einer negativen Tordifferenz (29:30) sogar Tabellenführer war.

Davon ist der aktuelle Spitzenreiter Bayer Leverkusen (59:16) weit entfernt, die Überlegenheit der Werkself ist jedoch ebenso wie die Schwäche der letzten drei Mannschaften aus Köln, Mainz und Darmstadt einer der wichtigsten Gründe für die breiteste Mitte der Bundesliga-Geschichte. Niko Kovac wird also erst einmal weiter in alle Richtungen schauen müssen.