Flashscore Analyse und Prognose: Kann Bayer Leverkusen deutscher Meister?
Der Saisonstart von Bayer 04 Leverkusen - 35 Punkte aus den ersten 13 Spielen - ist historisch stark. Der FC Bayern München bleibt den Rheinländern dennoch auf den Fersen. Nach Verlustpunkten wären die Münchener sogar Tabellenführer, ihr Heimspiel gegen Union Berlin musste am Samstag wegen starken Schneefalls abgesagt werden. Echte Aussagekraft hat die Bundesliga-Tabelle allerdings erst nach dem 17. Spieltag, wenn die Hinrunde offiziell beendet ist.
Der erste Favorit auf den Titel ist und bleibt bis dahin der FC Bayern. Angeführt von Harry Kane eilt der deutsche Rekordmeister von Sieg zu Sieg. Trotzdem hat Leverkusen eine historische Chance, nach bisher fünf Vize-Meisterschaften erstmals den Bundesliga-Thron zu erklimmen. “Wir sind in einem guten Moment. Aber es sind noch viele Spiele zu spielen. Jeder Gegner ist sehr hart. Aber ich bin zufrieden mit der Idee und dem Engagement der Spieler. Sie haben Hunger, wir werden sehen”, analysierte Alonso seine Gefühlslage Ende Oktober.
STÄRKEN
Xabi Alonso: Von der Idee zum Erfolgsrezept
In erster Linie hat das Bayer 04 Trainer Xabi Alonso zu verdanken. Der Weltmeister von 2010 hat eine klare Spielidee. Ein Hauch Tiki-Taka, vermengt mit intelligentem Gegenpressing und viel individueller Qualität - Alonso hat seiner Mannschaft in den vergangenen Monaten eine völlig neue DNA eingeimpft.
Möglich wurde das durch die Hilfe von Simon Rolfes. Vorbildlich tütete der Geschäftsführer Sport im abgelaufenen Transferfenster einen Spitzendeal nach dem anderen ein. Spieler wie Granit Xhaka, Jonas Hofmann und Alejandro Grimaldo erwiesen sich als ideale Ergänzungen für einen ohnehin überdurchschnittlich guten Bundesliga-Kader. Dennoch machte B04 am Transfermarkt nur einen verhältnismäßig geringen Verlust von 12,1 Millionen Euro (laut transfermarkt.de).
Die von Xabi Alonso bevorzugte Startformation verwirklicht auf dem grünen Rasen die Ideale des 42-Jährigen. Meist positioniert sich seine Mannschaft einem 3-4-2-1. Jeder einzelne Spieler hat in diesem System ganz bestimmte Aufgaben. Die verteilte Verantwortung ist ebenso ein Schlüssel zum Erfolg wie das extrem saubere Passspiel. 87,3 Prozent der Zuspiele kommen beim Mitspieler an, das ist aktuell ligaweit Bestwert.
Am 4. Bundesliga-Spieltag bewies Leverkusen im Spitzenspiel in der Allianz-Arena gegen Bayern München auch eine gewisse Anpassungsfähigkeit. Bereits in der 7. Minute ging Bayern durch Harry Kane in Führung. Bayer 04 Leverkusen hatte große Schwierigkeiten, ehe Alonso um Minute 20 herum ein paar scheinbar geringfügige Anpassungen vornahm. Der Spanier verzichtete auf einen personellen Wechsel, trotzdem glich sein Team bereits in der 24. Minute aus und reiste schließlich mit einem 2:2-Unentschieden wieder nach Hause.
Durch seine Karriere als Weltklasse-Profi verfügt Alonso nicht über das nötige Fachwissen, um ein Konzept zu entwickeln - sondern auch über die nötige Autorität und Lebenserfahrung, um dieses seinen Spielern gewinnbringend zu vermitteln. In einem Interview mit DAZN erklärte Mittelfeldspieler Granit Xhaka: "Es gab eine Situation, in der wir weniger gut trainiert haben. Dann hat er uns zusammengenommen und hat gesagt: So geht das nicht weiter! Genau das hat uns vielleicht gefehlt. Wir müssen mit beiden Beinen am Boden bleiben und müssen sagen: ‘Okay, es reicht nicht, wenn wir sechs Tage gut trainieren und einen Tag weniger gut.’ Er will jeden Tag volle Konzentration und Leidenschaft.”
Transfermarkt: Chance zum Richtungswechsel
In der jüngeren Vergangenheit war Leverkusen vorrangig für wilden Angriffsfußball bekannt. Das Prunkstück der Werkself bildete die rechte Flügelzange mit den beiden Tempodribblern Moussa Diaby und Jeremie Frimpong. Diaby wechselte im Sommer für 55 Millionen Euro zu Aston Villa. Überraschenderweise wurde der Franzose nicht durch einen ähnlichen Spielertyp, sondern durch Jonas Hofmann ersetzt.
Diaby hält üblicherweise seine Position im rechten Angriffsdrittel, Hofmann ist deutlich umtriebiger. Zwar mangelt es dem deutschen Nationalspieler im Vergleich zu Diaby an Tempo - das gleicht er aber durch andere Fähigkeiten aus. Der 31-Jährige besticht durch hohe Spielintelligenz, große Passgenauigkeit und einen ausgeprägten defensiven Fleiß.
Xabi Alonso macht sich diese Stärken auf vielfältige Weise zunutze. Hofmann hat auf dem Spielfeld mehrere Aufgaben. Wahlweise deutet er Tiefenläufe an und bindet dadurch einen gegnerischen Abwehrspieler - oder er rückt ins Zentrum und schafft so auf der Außenbahn Platz für den pfeilschnellen Frimpong. Doch nicht nur sein Verhalten ohne Ball ist bemerkenswert. Auch mit der Kugel am Fuß bewirkt der ehemalige Gladbacher einiges. In bislang 13 Bundesliga-Einsätzen kommt er auf 12 Scorerpunkte (5 Tore, 7 Assists).
Eine weitere wichtige Ergänzung auf dem Transfermarkt war Alejandro Grimaldo. Jahrelang galt die linke Abwehrseite als Achillesferse der Werkself. Angelockt vom Charisma Alonsos, entschied sich Grimaldo im Sommer für einen ablösefreien Wechsel nach Leverkusen. Der ehemalige Benfica-Profi kassierte zwar ein üppiges Handgeld von 7 Millionen Euro - die Investition hat sich aber bereits gelohnt.
Im Vergleich zu Jeremie Frimpong deutlich mehr defensive Aufgaben. Gegen den Ball agiert er als klassischer Linksverteidiger, wodurch Bayers 3-4-2-1 in der Realformation eher einem 4-2-3-1 ähnelt. Situativ schaltet sich Grimaldo dennoch in die Offensive ein. Typischerweise startet er auf der linken Außenbahn einen überlappenden Lauf, wird von Spielmacher Florian Wirtz in die Tiefe geschickt und setzt anschließend seine Mitspieler durch eine punktgenaue Flanke in Szene.
Seine größte Waffe ist sei linker Fuß. Dreimal erzielte der Spanier bereits ein Tor aus der Distanz, zweimal verwandelte er einen direkten Freistoß. Der 28-Jährige fühlt sich am Rhein pudelwohl, was er in erster Linie seinem Landsmann Xabi Alonso zu verdanken hat: "Wenn man einen Coach von Xabis Niveau hat, wird man jeden Tag besser. Er redet viel mit mir und weiß, wie man Figuren perfekt platziert. Er zeigt mir, wie ich mich auf den Positionen, die ich spiele, wohlfühlen kann."
Granit Xhaka kam für 15 Millionen Euro vom FC Arsenal. Auf dem Platz zeichnet sich der Schweizer durch eine ruhige Ausstrahlung, viele Kommandos und ein präzises Passspiel aus. Neben dem Platz brilliert er durch seinen hohen Ehrgeiz und unbändigen Siegeswillen. Ein Element, das dem fünfmaligen deutschen Vizemeister in der Vergangenheit gefehlt hat. Nicht ohne Grund wird Xhaka von seinen Mitspielern gerne "Boss" genannt.
Dass man Xhaka an den Rhein lotsen konnte, freute die Verantwortlichen sehr. Schon im vergangenen Winter legten Simon Rolfes und Xabi Alonso bei der Kaderanalyse festgelegt, dass, "wenn wir Erfahrung holen, dann zusammen mit Qualität." In einem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung Mitte September stellte Rolfes fest: "Der Sechser ist eine Schlüsselposition, wenn du da Top-Qualität, Erfahrung, Persönlichkeit willst, ist die Liste nicht mehr sehr lang."
SCHWÄCHEN
Rotation: Viele Fragezeichen
Das Prinzip “Never change a winning team” hat in Leverkusen hohe Bedeutung. An 10 von bislang 13 Bundesliga-Spieltagen nutzte Xabi Alonso dieselbe Startelf. Zu Änderungen kam es nur in Ausnahmefällen. Für bewusste Rochaden nutzte Alonso bislang ausschließlich die Gruppenphase der Europa League.
Eine Herangehensweise, die aus verschiedenen Gründen problematisch ist. Manche Spieler könnten mit der Reservistenrolle auf Dauer unglücklich werden. Außerdem ist der Trainer mit seinem System überaus erfolgreich, es ist aber stark von den individuellen Fähigkeiten einzelner Protagonisten abhängig.
Die Bundesliga-Saison dauert 34 Spieltage. Verletzungen, Gelbsperren und Rote Karten können nicht dauerhaft vermieden werden. Spieler wie Adam Hlozek, Nathan Tella, Robert Andrich, Piero Hincapie oder Josip Stanisic verfügen über hohe Qualität. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie diese ansatzlos auf den Platz bringen können, ohne zuvor ausgiebig Spielpraxis gesammelt zu haben, ist aber extrem gering.
Ein zusätzlicher Risikofaktor ist der Afrika Cup im kommenden Januar. Vier Spieler werden Bayer 04 Leverkusen im Winter zwischenzeitlich fehlen. Mit Edmond Tapsoba (Burkina Faso), Odilon Kossounou (Elfenbeinküste) und Victor Boniface (Nigeria) sind davon auch drei aktuelle Stammkräfte betroffen.
Als Ersatz stehen Josip Stanisic, Piero Hincapie und Patrik Schick parat. Eine Punktlandung. Die Leverkusener müssen hoffen, in den kommenden Monaten vom Verletzungspech verschont zu bleiben. Möglicherweise muss Rolfes hier im kommenden Transferfenster noch einmal nachbessern.
FC Bayern: Mentaler Vorteil für Titelverteidiger
33 deutsche Meisterschaften feierte der FC Bayern München bereits. Auch Thomas Tuchel weiß, was es für eine Titelfeier benötigt, in seinem persönlichen Vitrinenschrank haben es sich bereits elf Trophäen gemütlich gemacht - darunter die UEFA Champions League 2020/21.
Das Saisonfinale vergangene Saison diente dem Naturgesetz “Am Ende gewinnen immer die Bayern” als unwiderlegbarer Beweis. Die Strahlkraft von Superstar Harry Kane impft den Münchenern zusätzliche Klasse und zusätzliches Selbstvertrauen ein.
Zwar ist der Spielstil des Titelverteidigers weniger ansehnlich als jener von Bayer 04 Leverkusen - auf Dauer verspricht er allerdings deutlich mehr Erfolg. Der FC Bayern kassierte in der bisherigen Bundesliga-Spielzeit die wenigsten Gegentore (9 in 12 Spielen) und kommt auf einen besseren xG-Wert als der aktuelle Spitzenreiter (37,9 gegenüber 31,5).
Eigentlich können sich die Münchener nur selbst besiegen. Heißt: Trotz einer herausragenden Saison ist Bayer 04 auf einen Ausrutscher der Konkurrenz angewiesen.
PROGNOSE
Die Rückkehr von Vizekusen
Ein bekanntes Sprichwort lautet: “Die Offensive gewinnt Spiele, die Defensive gewinnt Meisterschaften.” Bei Bayer 04 Leverkusen wird glänzender Fußball gespielt, mehr Stabilität strahlten aber die Münchener aus. Daher glaube ich, dass am Ende der FC Bayern München das Rennen macht - zum zwölften Mal in Folge.
Klar, sobald der Transfermarkt wieder öffnet, werden die Karten neu gemischt. Das kommt eher dem Rekordmeister zugute. An der Säbener Straße weiß man genau, wo die Schwachstellen des Kaders liegen (rechte Abwehrseite, defensives Mittelfeld). Durch den ehemaligen Salzburger Sportdirektor Christoph Freund verfügt man mittlerweile über genügend fachliches Know-how, um diese erfolgreich zu beheben.