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Ein Hauch von Tiki-Taka: Bayer Leverkusen ist deutscher Meister

Micha Pesseg
Die Fans von Bayer 04 vor dem entscheidenden Heimspiel gegen Werder Bremen.
Die Fans von Bayer 04 vor dem entscheidenden Heimspiel gegen Werder Bremen.Profimedia
Nach einem furiosen 5:0-Sieg gegen Werder Bremen ist es offiziell: Bayer 04 Leverkusen ist zum ersten Mal deutscher Meister. Nach elf Jahren durchgängiger Dominanz durch den FC Bayern München ist das ein absoluter Meilenstein für den gesamten deutschen Fußball. Xabi Alonso und sein Team haben noch einiges vor - und könnten den modernen Fußball revolutionieren. Ein Kommentar von Micha Pesseg.

Als Xabi Alonso im Oktober 2022 sein erstes Spiel als Bundesliga-Trainer coachte, blickte ganz Fußball-Deutschland auf die BayArena in Leverkusen. Das passiert nicht oft.

Denn Bayer 04 ist keiner der großen Traditionsvereine, ist nicht Borussia Dortmund, Schalke 04 oder Eintracht Frankfurt. Bayer 04 lockte nie abertausende Fans ins Stadion und stand nie für ein großes Medieninteresse. Und doch war er plötzlich hier, der Weltmeister von 2010. Der legendäre Spielmacher, Xabi Alonso. Er stand an der Seitenlinie, im maßgeschneiderten Pullover, strahlte Ruhe und Zuversicht aus. Innerhalb weniger Monate stellte er die deutsche Bundesliga völlig auf den Kopf.

Xabi Alonso (M.) und seine Mannschaft jubeln über die erste Meisterschaft in der Vereinshistorie.
Xabi Alonso (M.) und seine Mannschaft jubeln über die erste Meisterschaft in der Vereinshistorie.Profimedia

Elf Jahre Dominanz durch den FC Bayern. Jedes Jahr dieselbe Meisterfeier. Der Marienplatz in München, Thomas Müller in Lederhosen, kaltes Weizenbier und immer wieder diesselbe Gravur auf dem silbernen Meisterteller. Keinerlei Spannung, keine Abwechslung. Nur die große Frage, wer dieses Jahr zum Vizemeister wird.

Bayer 04 hat dem deutschen Fußball ein großes Geschenk gemacht und bewiesen, dass Wunder möglich sind, dass der FC Bayern nicht unbesiegbar ist. Er kann durch geballte Fachkompetenz, eine mutige Spielidee und starkes Scouting zum Fall gebracht werden.

Zum Match-Center: Leverkusen vs. Bremen

Alonso: Star einer neuen Trainergeneration

Der größte Teil des Lobes gebührt Xabi Alonso und seinem Betreuerstab. Wer Leverkusens Entwicklung in den vergangenen Monaten auch nur am Rande mitverfolgen durfte, ahnt, welch große Zukunft dem 42-jährigen Basken bevorsteht. 

Etliche Videos von den Leverkusener Trainingseinheiten untermauern diesen Eindruck. Xabi Alonso ist Teil einer neuen Trainergeneration, die nicht nur über großes taktisches Fachwissen, sondern auch über enorm viel praktische Erfahrung verfügt. Ähnliche Voraussetzungen bringen etwa auch Thiago Motta (FC Bologna) oder Ruben Amorim (Sporting Lissabon) mit.

Diese Erfahrung verschafft den Trainern von Haus aus großen Respekt. Jeder weiß, wer Xabi Alonso ist. Wenn er über den Ball streicht und ansatzlos Pässe wie aus dem Lehrbuch spielt, geraten auch altgediente Bundesliga-Profis ins Staunen.  

Bayer Leverkusen hat die Meisterprüfung gegen Weder Bremen bestanden.
Bayer Leverkusen hat die Meisterprüfung gegen Weder Bremen bestanden.AFP

Doch Xabi Alonso ist nicht nur deshalb ein großartiger Trainer, weil er ein großartiger Spieler war. Er interpretiert seine Rolle als Coach auf eine völlig neue Weise. Mit weniger Show als Mourinho, weniger Einschüchterungsversuchen als Sir Alex Ferguson, weniger Unnahbarkeit als Pep Guardiola.

Seine Menschenführung ist einzigartig, kombiniert emotionales Verständnis mit hoher Leistungsbereitschaft. So holt man junge, skeptische Spieler auf seine Seite - und auch jene, die im Regelfall nur auf der Ersatzbank sitzen. Auch die gute interne Stimmung war im Titelkampf entscheidend.

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Taktik ist kein Selbstzweck 

Alonsos taktische Anweisungen erfüllen keinen Selbstzweck, sollen keine Spielphilosophie prägen oder die Fans ins Staunen versetzen - sondern sollen den Spielern helfen, die richtigen Entscheidungen zu treffen. 

Ein Meter zu weit links positioniert? Keine offene Körperstellung? Zu viel Abstand zum Mitspieler? Keine Absicherung in der Tiefe? Zu selten über die Schulter geblickt? Xabi Alonso weiß, welche Feinheiten und Kniffe nötig sind, um sich auf dem kaum überschaubaren und hektischen Spielfeld zurechtzufinden. Alonso wirft nicht mit Fachbegriffen um sich, sondern bietet seinen Spielern neue Lösungswege an, zeigt ihnen, wie sie bestmöglich an ihr Ziel kommen.

Talentierte, junge Spieler tendieren oft zu einer gewissen Ungeduld. Sie müssen für taktische Ideen erst begeistert werden. Der Drang, auf den Platz zu gehen und zu kicken, ohne sich über jeden einzelnen Schritt den Kopf zu zerbrechen, ist im Normalfall größer als der Glaube an Viererkette und Pressingauslöser.

Doch für Trainer wie Xabi Alonso ist Taktik nicht graue Theorie, kein gelbes Dreieck und keine irrwitzige Zahlenkombination - sondern ein nützliches Werkzeug, ein Hilfsangebot, das den Weg zum Erfolg eben soll.

Eine Szene, die eindrucksvoll illustriert, was Alonso als Trainer auszeichnet: Alejandro Grimaldo übt im Training Freistöße. Zuerst ein schrecklicher Versuch, ohne Probleme hält der Ersatztorhüter die Kugel fest. Alonso spricht kurz mit Grimaldo, macht drei kurze Handbewegungen. Grimaldo nickt. Dann schießt er den nächsten Freistoß. Diesmal eine wunderschöne Flugkurve, der Ball senkt sich genau in den Knick.

Jetzt kommt Europa

Dieser Trainer und diese Mannschaft haben nicht nur ein großes Kapitel in der deutschen Fußball-Geschichte geschrieben. Sie ist dazu in der Lage, auch den europäischen Fußball auf Jahre hinweg mitzugestalten. Dass Alonso kommendes Jahr erneut in Leverkusen auf der Trainerbank sitzen wird, bedeutet für Kaderplaner Simon Rolfes große Erleichterung.

Einen großen Umbruch wird es im Sommer nicht geben, bei den meisten Spielern dürften sich die Abwanderungsgedanken längst verflüchtigt haben. Wer die Gelegenheit hat, mit Xabi Alonso zusammenzuarbeiten, möchte diese Gelegenheit auch nutzen.

Nachdem West Ham am Donnerstag auf klägliche Weise 0:2 in Leverkusen verloren hatte, stellte Manager David Moyes fest, dass man gegen eine “Champions-League-Mannschaft” gespielt habe. Tatsächlich ist Bayer 04 dazu in der Lage, auch in der europäischen Königsklasse eine gewichtige Rolle zu spielen. Wer seit 42 Pflichtspielen ungeschlagen ist, muss sich auch vor Kalibern wie Manchester City und Real Madrid nicht fürchten.

Als ich ein kleiner Junge war und der FC Barcelona unter Pep Guardiola seine große Blütezeit erlebte, da dachte ich: So etwas siehst du nie wieder. Jeder Pass, jeder Spielzug, jedes Dribbling, alles war einfach perfekt. Ich saß staunend vor dem Fernseher, bekam den Mund nicht mehr zu. Mit Leverkusen geht es mir manchmal ähnlich. 

Wenn Florian Wirtz den Ball durch eine klitzekleine Lücke schiebt, Granit Xhaka einen Traumpass spielt und Jonathan Tah jeden Zweikampf gewinnt - dann bin ich von ganzem Herzen glücklich. Nicht, weil ich Leverkusen-Fan wäre - sondern weil ich Fußball-Fan bin. Weil ich hautnah miterleben darf, wie aus einem grauen, fast unbedeutenden Bundesligisten ein Team wird, von dem ich noch in 30, 40, 50 Jahren schwärmen werde.

Ein analysierender Kommentar von Micha Pesseg.
Ein analysierender Kommentar von Micha Pesseg.Flashscore