Bundesliga Recap: Bayern ballert sich Frust von der Seele – Hertha ohne Hoffnung
1. FC Köln vs. Hertha BSC 5:2
Das Wichtigste zuerst: Die Hertha ist nahezu sicher abgestiegen. Denn der Bessermacher hat wieder zugeschlagen. Es ist faszinierend, wie es Steffen Baumgart immer wieder gelingt, durchschnittliche Talente herausragende Dinge machen zu lassen. Baumgarts neuestes Vorzeigeprodukt: Davie Selke.
Schon in der Vorwoche hatte er mit einem Doppelpack überzeugt. Gegen seinen Ex-Verein – der ihn im Winter trotz laufenden Vertrags kostenlos nach Köln hat ziehen lassen – erzielte er schon in Minute 8 sein fünftes Saisontor für den FC. Natürlich per Kopf.
Pal Dardai musste in diesem Moment den selbigen schütteln. Weil er vielleicht über seine eigene Prophezeiung nachdachte: "Ich wünsche ihm, dass er gesund bleibt, gegen uns spielt, er soll sogar ein Tor schießen. Aber wir gewinnen 2:1. Dann können wir schön ein Bier trinken."
Das mit der Gesundheit ist so eine Sache. Beim Treffer riskierte Selke viel, sein Schädel krachte mit jenem von Uremovic zusammen. Schon nach 25 Minuten musste Kölns Goalgetter vom Feld, Steffen Tigges wurde eingewechselt. Dass es nicht zum gemeinsamen Bier gekommen ist, hatte letztlich nur wenig mit Selkes Kopfschmerzen zu tun. Sondern mit Pal Dardais mieser Laune.
5:2 hieß der Endstand. Nicht für die Hertha, für die es um alles geht – sondern für den FC, für den es um nicht mehr viel geht. Außer vielleicht die eigene Ehre. Eine 5:2-Niederlage, die alle Ambitionen jäh beendete. Die den Abstieg der Alten Dame wohl endgültig besiegelte. Denn Bochum und Stuttgart sollten noch am selben Spieltag jeweils punkten.
Dabei sah es zwischenzeitlich so gut aus. Ein staubtrockener Abschluss von Lucas Tousart, einer von Stevan Jovetic. 2:1 nach 33 Minuten. Doch Dardais Prophezeiung sollte sich nicht erfüllen. Schon vor der Halbzeitpause stellte Köln auf 3:2. Nach dem Seitenwechsel legte der FC zwei Treffer nach.
Die Hertha spielte nicht Fußball, sie kämpfte Fußball. Man war bemüht, mehr nicht. Auf höchstem Niveau ist das unzureichend. Die alte Ausrede gilt nicht mehr. Die alte Ausrede, dass es nicht an mangelnder Qualität, sondern mangelnder Mentalität liege.
Die Hertha war schlicht und einfach chancenlos. Sie war zu langsam, zu schwerfällig, zu einfallslos. Dardai steht ein Kader zur Verfügung, in den dekorativ herausragende Individualisten eingestreut wurden, wie Schokostreusel auf eine Torte, die zwar schön anzusehen ist, aber nicht mit Genuss verschlungen werden kann.
Gegen das herausragende Kölner Kollektiv war das einfach zu wenig. Timo Hübers hat sich zu einem der besten Innenverteidiger der Liga entwickelt. Er traf am Freitag doppelt. Florian Kainz ist ein herausragender Flanken- und Vorlagengeber. Und wem ist das zu verdanken: natürlich ihm, dem Bessermacher – Steffen Baumgart!
Bayern München vs. Schalke 04 6:0
Thomas Reis hatte eine Vision: Er wollte seiner Mannschaft eine mutige Spielweise einimpfen. Von kleinen Rückschlägen dürfe man sich nicht verunsichern lassen – idealerweise, indem man die verunsicherten Bayern mit einem frühen Treffer in Schockstarre versetzt.
Es folgt eine denkwürdige Blamage. Seit nunmehr 25 Pflichtspielen konnte Schalke nicht mehr gegen die Münchner gewinnen. Den zahlreichen Diskussionen um Thomas Müller schob Tuchel einen Riegel vor: Nach zwei Kurzeinsätzen zuletzt durfte sich der Raumdeuter endlich wieder von Anfang an beweisen.
Müller zahlte das Vertrauen zurück, riss die Partie sofort an sich, In der 21. Minute sorgte er für das hochverdiente 1:0 für den FCB. Viele Kommandos, kluge Pässe, eiskalt im Abschluss – der dominante Auftritt von Müller wirkte offensichtlich ansteckend.
Nach etlichen lustlosen Auftritten waren die Bayern wieder die Bayern: kompromisslos vor dem gegnerischen Tor, erbarmungslos gegen überforderte Schalker, dominant und konsequent bei eigenem Ballbesitz. Joshua Kimmich per Elfmeter, Serge Gnabry mit einem Doppelpack, Youngster Mathys Tel als Joker und schließlich der starke Noussair Mazraoui sorgten für die weiteren Treffer.
Bestätigt man diese starke Form, ist es recht egal, was Borussia Dortmund auf den anderen Plätzen anstellt – dann ist der 33. Meistertitel nur noch eine Frage der Zeit.
S04-Trainer Thomas Reis war sichtlich geschockt. Lediglich Torhüter Alexander Schwolow überzeugte – was bei sechs Gegentoren nach einem schlechten Witz klingt. Marius Bülter wird im wichtigen Heimspiel gegen Frankfurt aufgrund einer Gelbsperre fehlen, die Tordifferenz hat sich drastisch verschlechtert.
Grund genug für Sportvorstand Peter Knäbel, die sich schon auf dem Weg zum Bus befindlichen Spieler per WhatsApp-Nachricht noch einmal in die Kabine zu zitieren. Bei der spontanen Vollversammlung machte Knäbel der Mannschaft ein weiteres Mal klar, worum es für Schalke an den verbleibenden zwei Spieltagen geht. Um den Klassenerhalt, ums nackte Überleben.
Borussia Dortmund vs. Borussia Mönchengladbach 5:2
Was wäre, wenn Sebastien Haller die ganze Saison über fit gewesen wäre? Wäre Borussia Dortmund dann schon deutscher Meister? Es ist ein verlockendes, aber sinnloses Gedankenspiel. Besonders verlockend ist es nach Hallers Traumgala gegen Mönchengladbach.
Schon zur Halbzeit führte Dortmund 4:0. Haller war an vier Treffern direkt oder indirekt beteiligt. Dem 1:0 durch den formstarken Donyell Malen – sieben Treffer in den letzten acht Bundesliga-Spielen sprechen für sich –ging ein Schussversuch des Franzosen voraus. Dem Elfmeter zum 2:0 – verwandelt von Jude Bellingham – ging ein Foul an Haller voraus. Die nächsten beiden Tore erzielte der Mittelstürmer höchstpersönlich.
Wobei besonders das 3:0 ein Beweis für seine schier grenzenlose Spielintelligenz war: zunächst eine wunderschöne Kombination über Julian Brandt und Malen, dann der Ball zur Mitte – und Haller schnippt den Ball mit der Hacke elegant ins lange Eck. Ein Traumtor.
Im zweiten Durchgang ließ Dortmund sichtlich nach, lud Gladbach zu einigen gefährlichen Aktionen ein. Das 4:1 und das 4:2 waren die logische Folge. Giovanni Reyna sorgte schließlich mit seinem bereits fünften Jokertor im Kalenderjahr 2023 für den Endstand.
Somit bleibt das Titelrennen eng, Dortmund lauert weiterhin auf einen Ausrutscher des FC Bayern. Im eigenen Stadion ist man beinahe unbezwingbar, am Samstag feierte man bereits den 14. Heimsieg in dieser Spielzeit. Die im Westfalenstadion regelmäßig offenbarte Spielfreude sollte man unbedingt zum Auswärtsspiel kommendes Wochenende in Augsburg mitnehmen. Gelingt bei den Fuggerstädtern kein Sieg, könnte das Titelrennen schon bald entschieden sein.
Bei Mönchengladbach ist unterdessen Feuer am Dach. Erneut scheiterte man am Unterfangen, den zweiten Sieg in Folge zu feiern. Einer akzeptablen Leistung gegen Bochum folgte eine über weite Strecken blamable Leistung in Dortmund.
Daniel Farke ließ sich zu erbarmungsloser Kritik an der eigenen Mannschaft hinreißen. Nach einigen seltsamen, teils ungerechtfertigten Lobeshymnen in den vergangenen Wochen ein bemerkenswerter Stilbruch. Der von der Fanszene als Hinweis auf einen baldigen Abgang Farkes gewertet wird. Schon bald könnte er durch den aktuellen U23-Trainer Eugen Polanski ersetzt werden.
Union Berlin vs. SC Freiburg 4:2
Sechs Volltreffer zwischen Union und Freiburg? Damit konnte man nun wirklich nicht rechnen. Beide Mannschaften sind grundsätzlich für ihre starken Defensivreihen bekannt. Was der Hauptgrund ist, wieso wenige Spieltage vor Saisonende beide noch um einen Startplatz für die UEFA Champions League kämpfen.
Bei bester Stimmung an der Alten Försterei geriet Freiburg ein ums andere Mal ins Zittern: Selten kamen die Breisgauer in die entscheidenden Zweikämpfe, schon nach 38 Minuten führten die Eisernen mit 3:0.
Sheraldo Becker machte ein herausragendes Spiel. Immer wieder wurde er von seinen Mitspielern gesucht, immer wieder zündete Becker den Turbo, um dann in den entscheidenden Momenten eiskalte Nerven zu beweisen. Zwei eigene Treffer und zwei Vorlagen – eine enorm starke Ausbeute.
Das 1:0 durch Kevin Behrens bereitete er vor, beim 2:0 profitierte er von einem sehenswerten Steilpass des weit aufgerückten Abwehrchefs Robin Knoche. Nur zwei Minuten danach sorgte Becker für das 3:0 – weil SC-Torhüter Mark Flekken an dessen platzierten Flachschuss etwas hilflos vorbei segelte.
3:0 zur Halbzeit? Die Mannschaft von Christian Streich war gewillt, diesen Rückstand mit einer heroischen Leistung noch aufzuholen.
Der defensiv häufig überforderte Manuel Gulde verkürzte nach – natürlich – Eckball von Vincenzo Grifo auf 3:1. Eben jener Grifo hatte im Hinspiel drei Treffer erzielt und durfte in der 70. Minute zum Strafstoß antreten. Er versuchte es im Stile von Antonin Panenka. Was nur knapp gut ging.
Den Comeback-Ambitionen der Freiburger wurde zehn Minuten später ein jähes Ende gesetzt. Sheraldo Becker legte quer auf den kurz zuvor eingewechselten Aissa Laidouni. Der Tunesier blieb cool, erzielte sein erstes Tor in der deutschen Bundesliga und sorgte für den 4:2-Endstand.
In der Schlussphase sollten die Gäste noch einige vielversprechende Chancen vergeben. Nun droht Freiburg – wie schon im Vorjahr – die große Chance Champions League zu verspielen. Ganz im Gegensatz zu Union Berlin.
RB Leipzig vs. Werder Bremen 2:1
Was wäre ein Bundesliga-Wochenende ohne VAR-Diskussion? Irgendwie langweilig, oder? Dass Leipzig im Heimspiel gegen Bremen eine große Aufholjagd benötigte, um den vierten Pflichtspielsieg hintereinander zu feiern – lag zu einem nicht geringen Teil an einer pingeligen und fragwürdigen Entscheidung im Kölner Keller.
Christopher Nkunku soll vor dem vermeintlichen 1:0 in der 66. Minute ein Foul begangen haben – so zumindest die Ansicht des Videoschiedsrichters. Die Frage sei erlaubt: War dieser kleine Rempler genug, um von einer gravierenden Fehlentscheidung von Schiedsrichter Badstübner zu sprechen? Wurde dafür der Videobeweis im deutschen Profifußball eingeführt?
RB Leipzig hatte den Schock noch nicht richtig verdaut, da ging Bremen bereits in Führung: Ein schöner Treffer von Leonardo Bittencourt, nach Vorlage von Jens Stage (70.).
Es brauchte zwei beeindruckende Zuspiele von Christopher Nkunku, einen technisch blitzsauberen Kopfball von Willi Orban (87.) und einen eiskalten Abschluss von Dominik Szoboszlai (90.+6), um RB einen angesichts der spielerischen Dominanz verdienten Heimsieg zu sichern. In Ungarn dürfte sich die Anzahl verkaufter RB-Trikots übers Wochenende zumindest verdoppelt haben.
RB eroberte vorläufig den dritten Tabellenplatz von Union zurück. Werder hingegen kassierte die dritte Niederlage in Folge.
Bei den Hanseaten hat sich angesichts des überraschenden Abstiegs vor zwei Jahren ein hartnäckiger Aberglaube eingenistet. Noch sei man nicht gerettet, trotz bereits 35 erreichter Zähler.
Hier also der dringend benötigte Balsam für die grün-weiße Seele: Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, damit Bremen überhaupt noch auf den Relegationsplatz abrutschen kann. Schalke, Stuttgart, Bochum und Augsburg müssten ihre ausstehenden Spiele allesamt gewinnen. Bremen aber die restlichen zwei Partien gegen Köln und Union haushoch verlieren.
VfL Wolfsburg vs. TSG Hoffenheim 2:1
Wolfsburg-Trainer Niko Kovac vertraute überraschenderweise derselben Startelf wie bei der klaren 6:0-Niederlage vergangenen Sonntag in Dortmund. Beim knappen Heimsieg über Hoffenheim war man zwar weitestgehend die unterlegene Mannschaft – das Glück war den Wölfen aber hold.
Die erste gefährliche Aktion des Spiels gehörte Andrej Kramaric. Ein Schlenzer des TSG-Stürmers streifte die Querlatte (7.). In der 15. Minute allerdings fiel das 1:0 für den VfL: Ihlas Bebou agierte schläfrig, verlor Jakub Kaminski aus den Augen. Ohne Probleme köpfte jener eine Flanke von Ridle Baku direkt in die Maschen. Also ging Wolfsburg mit der ersten Chance des Spiels sogleich in Führung.
Hoffenheim blieb die spielbestimmende, auffälligere Mannschaft. Munas Dabbur fand schon in der zweiten Hälfte nach einem groben Fehler von Maximilian Arnold die große Chance auf den Ausgleich vor – der Israeli aber vergab kläglich. In der 75. Minute wiederum sorgte Lucas Waldschmidt nach feinem Zuspiel von Felix Nmecha für das 2:0.
Hoffenheim verpasste es, sich für eine insgesamt sehr couragierte Leistung zu belohnen. Erst in der Nachspielzeit sorgte ein Missverständnis zwischen Guilavogui und Casteels für den Anschlusstreffer. Erstgenannter bugsierte die Kugel für seinen Schlussmann unhaltbar ins eigene Netz.
Auf den Relegationsplatz hat die TSG nur noch zwei Punkte Vorsprung. Trotzdem dürfte der Klassenerhalt reine Formsache sein.
Punktet man aber in den zwei ausstehenden Begegnungen – zu Hause gegen Union Berlin und auswärts beim VfB Stuttgart – werden die Kraichgauer wohl auch im kommenden Jahr noch die Bundesliga mit ihrer Anwesenheit beehren.
Weitere Ergebnisse:
VfL Bochum vs. FC Augsburg 3:2
Eintracht Frankfurt vs. Mainz 05 3:0
VfB Stuttgart vs. Bayer Leverkusen 1:1
Spieler der Woche: Sheraldo Becker (Union)
Als erstem Spieler in dieser Bundesliga-Saison gelangen Sheraldo Becker vier Torbeteiligungen in einer Partie. Sein Tempo ist ohnehin atemberaubend – wenn dann noch, wie gegen den SC Freiburg, die Effizienz und das Timing passen, ist Becker unaufhaltsam.
In der bisherigen Bundesliga-Saison weist er bereits 18 Torbeteiligungen (11 Treffer, 7 Assists) auf. In Hinsicht auf die kommende Saison wird Union-Manager Oliver Ruhnert alles daran setzen müssen, ihn in Berlin-Köpenick zu halten.
Tor der Woche: Aurelio Buta (Frankfurt)
Was für ein Hammer, Marco van Basten erblasst vor Neid! Aurelio Buta machte nach weitem Zuspiel von Teamkollege Tuta alles richtig. Anstatt abzudrehen und auf nachkommende Mitspieler zu warten, versuchte es der Portugiese mit einem satten Volleyschuss.
Robin Zentner konnte das knapp unter die Latte flatternden Ding nicht mehr abwehren. Freund und Fein gerieten ob der Schönheit dieses Treffers ins Staunen. Buta erzielte das 2:0 und brachte die Eintracht im Heimspiel gegen Mainz auf Erfolgskurs.
Trainer der Woche: Thomas Tuchel (Bayern)
Endlich gelang es Thomas Tuchel, seiner Mannschaft zu einer sorgenfreien und selbstbewussten Leistung zu verhelfen. Schalke ist vielleicht nicht der allergrößte Gradmesser – doch auch die Gelsenkirchener müssen erst mal so gekonnt dominiert werden.
Tuchels Aufstellungspolitik zahlte sich aus. Er sah die Zeit für Thomas Müller gekommen und bot ihn als hängende Spitze auf. Das machte sich ebenso bezahlt wie das Vertrauen in Noussair Mazraoui. Der Marokkaner hatte Tuchel vor einigen Wochen noch scharf kritisiert – am Samstag blühte er auf und sorgte schließlich für den 6:0-Endstand.