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Federico Bernardeschi im exklusiven Interview: "Juve ist vielen ein Ärgernis"

Bernardeschi für Juve in Aktion, gegen seinen Ex-Verein Florenz
Bernardeschi für Juve in Aktion, gegen seinen Ex-Verein FlorenzProfimedia
Er absolvierte 39 Länderspiele für die Squadra Azzurra, stand in 206 Serie-A-Begegnungen für Juventus und Fiorentina auf dem Platz, kostete den Turinern einst 40 Millionen Euro Ablöse und sorgt mittlerweile in der MLS für Treffer am laufenden Fließband. Vor dem Duell seiner beiden Ex-Vereine am Sonntag um 18 Uhr unterhielt sich Federico Bernardeschi im exklusiven Interview mit Flashscore über erzürnte Fans, sein Engagement in der MLS und den Bilanzskandal bei Juve. Ob der einstige Serienmeister ein Sündenbock sei? "Nun ja. Juve ist vielen ein Ärgernis, weil sie immer gewonnen haben."

Der Sonnenschein in Kalifornien hat mit seinem Alltag nichts zu tun. Im kanadischen Toronto sieht sich der 28-jährige ehemalige Nationalspieler Federico Bernardeschi üblicherweise eher mit Frost und Eis konfrontiert. Anlässlich der Vorbereitung auf die kommende MLS-Spielzeit bezogen Bernardeschi und seine Teamkollegen Quartier im rund  170 Kilometer von Los Angeles entfernten Palm Springs. Er genießt das angenehme Wetter an der US-amerikanischen Westküste. Eine schöne Abwechslung insbesondere für jene Spieler, die aus der Heimat das im Vergleich zu Kanada wesentlich mildere, mediterrane Klima gewohnt sind. Neben Bernardeschi stehen auch Lorenzo Insigne (31) und Domenico Criscito (34) im Kader des FC Toronto, zusammen kommt das Trio auf 119 Länderspiele für Italien.      

Bernardeschi genießt den Sonnenschein in Kalifornien
Bernardeschi genießt den Sonnenschein in KalifornienInstagram Bernardeschi

Wie Insigne feierte Bernardeschi seinen größten Erfolg bei der 2021 ausgetragenen Europameisterschaft. Unter Trainer Roberto Mancini sicherte sich die Squadra Azzurra sensationell den Titel. Im Juli 2022 wechselten beide ablösefrei aus der Serie A nach Kanada, das große Ziel ist der Titel in der MLS. Sebastian Giovinco — Fans des italienischen Fußballs bestens bekannt — wurden diesem Vorsatz bereits 2017 gerecht. Italiener beim FC Toronto haben eine gewisse Tradition.

Federico Bernardeschi möchte seinen Wechsel nach Nordamerika nicht als vorzeitiges Karriereende verstanden wissen. Im Gegenteil, nach der verpassten WM-Qualifikation zuletzt ist der Hunger auf Erfolge mit der Nationalmannschaft nur größer geworden. Ob er in Zukunft zum Team zurückkehren möchte? "Auf jeden Fall", so 'Berna', während er durch die Gänge jenes Hotels schlendert, in dem seine Mannschaft untergebracht ist, "Ich hoffe immer noch, mal bei einer Weltmeisterschaft dabei zu sein."

Längst ist er zum Hoffnungsträger bei den Fans in Kanada geworden. Am Geschehen im Verein beteiligt er sich mit Leidenschaft und Siegeswille. Nach jedem Spiel verbreitete er dieselbe Anfeuerung über die Sozialen Medien: "Come on FC! Well done". Was anfangs der Sprachbarriere und Bernardeschis schlechtem Englisch geschuldet war, entwickelte sich zum neuen Vereinsmotto. "Ich war gerade erst in Toronto angekommen, mein Englisch war nicht gut. Als ich später bemerkt habe, wie sich mein Jubel viral verbreitete, habe ich beschlossen, damit zu spielen. Ich habe versucht, auch ein wenig selbstironisch zu sein."

Seit Juli 2022 spielt Bernardeschi für Toronto in der MLS
Seit Juli 2022 spielt Bernardeschi für Toronto in der MLSProfimedia

Bernardeschi genießt sein neues Leben, fernab von den großen Emotionen in Italien und Europa allgemein. Er scheint zu sich selbst gefunden zu haben. Einen neuen Weg gefunden zu haben, Fußball und den Sport allgemein zu erleben. In den Vereinigten Staaten und in Kanada sei der Umgang mit Profisportlern völlig anders als auf dem alten Kontinent. "Mich hat von Anfang an, diese Freude am Sport begeistert. Wir werden anders wahrgenommen. Es ist nicht so ernst, eher wie eine große Party. Die Menschen gehen ins Stadion, weil sie Spaß haben wollen, um ihre Mannschaft anzufeuern und gemeinsam zu jubeln und zu leiden. Nach dem Spiel ist alles vorbei."

Eben eine völlig andere Mentalität als in Italien. "Um einen Vergleich zu liefern: Man geht ins Kino, sieht sich einen Film an. Am Ende des Films sagt man, das hat mir gefallen, das hat mir nicht gefallen. Aber es ist nicht so, dass man die ganze Woche darüber redet. Das ist gut so, wir Europäer können da — meiner Meinung nach — noch hinzulernen." Während Fußball und Sport allgemein in Italien ein wahres Kulturphänomen darstellen, die Fans eine intensive Beziehung mit ihren Vereinen eingehen, ist der Umgang in Nordamerika wesentlich entspannter. Ein interessanter Gesichtspunkt. Die extreme Leidenschaft in Italien artet oft in Besessenheit aus: "In solchen Fällen ist es dann eine Art Krankheit, die nicht gut ist. Bedingungslose Leidenschaft, ja, das schon — das ist hingegen ein hervorragendes Gefühl."

Wenn Bernardeschi über den italienischen Fußball spricht, ist eine Portion Wehmut deutlich zu spüren. Der Alltag eines italienischen Fußballers sei von Exzessen und Obsessionen bestimmt. Die Verehrung durch die Kurve ist schnell entzogen, viele Fußballer legten einen ebenso raschen Aufstieg wie Fall hin. Der Ruhm ist verlockend, hat aber seine Schattenseiten. Bernardeschi weiß das bestens. Für seinen Jugendverein AC Florenz bestritt er 93 Erstligaspiele, machte mit 35 Scorerpunkten, feiner Technik und einem intelligenten Spielstil auf sich aufmerksam. Er war einer der Leistungsträger bei den Viola. Als er die Toskana zugunsten eines hochdotierten Angebots Richtung Juventus verließ, wandelte sich die Vergötterung in Hass um. Die Fans der Fiorentina bezeichneten ihn als Verräter und schimpften auf ihn, scheuten sich teils nicht, ihn persönlich zu beleidigen.

Bernardeschi in einem Ligaspiel für die Fiorentina
Bernardeschi in einem Ligaspiel für die FiorentinaProfimedia

Es war das Jahr 2017, Juve war bereit, 40 Millionen Euro Ablöse zu bezahlen. Bernardeschi fühlte sich durch die Schimpftiraden immer mehr unter Druck gesetzt. Er legte ein ärztliches Attest vor, um nicht am Trainingslager seines Vereins teilnehmen zu müssen. Die Vereinsanhänger quittierten es mit Spruchbändern, öffentlichen Angriffen: "Am Anfang war es etwas schwierig, am Ende nichts Besonderes. Die Fans beurteilen solche Wechsel oft, ohne in Wirklichkeit zu wissen, was eigentlich für Dinge am Laufen sind", so der einstige Fio-Spielmacher. Vollkommen abwegig war der Wechsel in den Piemont nicht. Bernardeschis Familie stammt aus der Gegend.

Ob seinem Wechsel etwas zugrunde liegt, von dem wir alle nichts wissen — etwas, das nie ans Licht kam? "Dann werde ich es den Leuten eines Tages sagen", zischt Bernardeschi etwas aufgeregt, aber mit einem leichten Lächeln. Zwar gibt er sich betont lässig, wenn es um seinen Wechsel geht, wirklich losgelassen dürfte ihn die Aufregung aber noch nicht haben: "Diejenigen, die mich kennen, wissen, wie ich es wirklich erlebt habe. Ich kann sagen, dass ich eine sehr zurückhaltende Persönlichkeit besitze, die es mir erlaubt hat, wegen solcher Dinge nicht in Schwierigkeiten zu geraten."

Der neuen Herausforderung im Juve-Trikot begegnete er mit großem Einsatzwillen. Das erste Mal, als er in der alten Heimat auf dem Platz stand, musste er einige Respektlosigkeiten über sich ergehen lassen. Er antwortete auf seine Art, erzielte per Freistoß das 1:0 für die Bianconeri, ging am Ende als Sieger vom Platz: "Das war ein sehr emotionales Erlebnis. Es war wunderschön, weil es eine dieser Partien war, in denen man sich vollkommen lebendig und mit Adrenalin vollgepumpt fühlt." Die meisten Spieler bevorzugen es, nach Treffern gegen den Ex-Klub zu schweigen, Bernardeschi jubelte hingegen ausgelassen. Wieso er das gemacht habe? Wieder reagiert er mit Verweisen auf ominöse Zwischenfälle: "Es gibt Dinge, die einem einfach nicht von der Seele genommen werden können. Ich bin ein Mensch, der gerne die Wahrheit sagt. Eines Tages werde ich über diese internen Vorfälle sprechen. Im Fußball passieren tausende Dinge, die ein Außenstehender nicht sehen kann. Und es gibt tausend Dinge, die man wissen müsste, um sich ein klares Bild von der Situation zu machen."

Bernardeschi zeichnet ein düsteres Bild des europäischen Profifußballs. Oft ginge es darum, sich selbst einen Vorteil zu verschaffen, zwischen Management, Vereinsebene und Spielerseite herrsche teils ein intensives Konkurrenzverhältnis. "Es gibt Milliarden von Dingen", die nicht für die Ohren Außenstehender bestimmt seien, von denen niemand wisse. Der kalifornische Sonnenschein ist nicht mehr zu spüren. Stattdessen ist man in den Hinterzimmern der Spitzenvereine angekommen. Auch der Bilanzskandal, welcher bei Juve kürzlich zu einem Abzug von 15 Punkten geführt hat, taucht allmählich als Gesprächsthema auf.   

Doch zunächst fokussiert sich Bernardeschi auf sportliche Belange. Das Duell am Sonntag (18 Uhr) — wenn die Fiorentina zu Gast bei Juve sein wird — ist auch das Aufeinandertreffen von Federico Chiesa und Dusan Vlahovic mit dem Ex-Verein aus der Toskana. Bernardeschi wird das Spiel trotz 13 Jahre violetter Vereinszugehörigkeit mit den Augen eines Juventus-Fans betrachten. "Ich bin Juve definitiv mehr verbunden", gibt er zu und erwartet ein interessantes Duell, "es wird ein gutes Spiel werden, weil Juve-Fiorentina immer ein tolles Spiel ist. Ich denke, die Bianconeri haben bessere Chancen, zu gewinnen." 

Bernardeschi und seine ehemaligen Teamkollegen bei Juve
Bernardeschi und seine ehemaligen Teamkollegen bei JuveInstagram Bernardeschi

Allmählich kommt Juve besser in die Spur, gegen Salernitana gelang zuletzt ein 3:0-Auswärtserfolg, fünf Tage zuvor warf man Lazio aus dem Pokal. Gerade noch rechtzeitig ist man in die Erfolgsspur zurückgekehrt, Massimiliano Allegri konnte das Ruder ein weiteres Mal herumreißen. Während man auf dem grünen Rasen wieder zur alten Form findet, läuft es am grünen Tisch deutlich schlechter. "Finanzielle Unregelmäßigkeiten" veranlassten die Liga zu drastischen Maßnahmen, mit 15 Punkten Abzug haben sich die Turiner endgültig aus dem Titelrennen verabschiedet. "In Anbetracht der schwierigen Lage, in welcher sich der gesamte Verein befindet — ist es ganz normal, dass meine ehemaligen Teamkollegen einen sportlichen Rückschlag erlitten haben. Das sind Menschen, keine Roboter. Ob man es will oder nicht, solche Dinge beeinflussen einen."

Die Bianconeri befinden sich auf der Suche nach dem rettenden Ufer. Zur Entscheidung durch die Sportjustiz hat sich Federico Bernardeschi eine eigene Meinung gebildet. Seiner Art gemäß, eine sehr eindeutige Meinung: "Es ist schwer zu verstehen, wieso nur eine Mannschaft bestraft, aber mehrere beschuldigt wurden. Da ist etwas nicht richtig abgelaufen." Was er damit meine? "Ich glaube, man sollte nicht nur die Spitze des Eisberges betrachten. Man muss auch andere Aspekte sehen." Glaube er, Juve diene dem System als eine Art Sündenbock? "Nun ja. Juve ist vielen ein Ärgernis, weil sie immer gewonnen haben."

Für Juve traf er achtmal in 134 Einsätzen
Für Juve traf er achtmal in 134 EinsätzenProfimedia

Die Probleme von Juventus könnten auch zu einem Problem für Bernardeschi selbst werden. Ihm droht eine Sperre von mindestens einem Monat. Eine alte Geschichte: während der Pandemiezeit 2019/20 soll die Zahlung der Gehälter aufgeschoben worden sein. Doch dem Richter zufolge habe die Vereinsführung die Gehaltskürzung nur vorgetäuscht, faktisch habe sie nicht stattgefunden. 

"Wir Fußballer haben damit wenig zu tun. Wenn es zu einem Ausschluss käme — würden wir das alle hinnehmen. Aber meiner Meinung nach ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein", so Bernardeschi, der von einer Mittäterschaft oder Schuld nichts wissen will, "Wir haben ein Gehalt gestrichen, einfach getan, was der Verein von uns verlangt hat. Mehr wussten wir nicht. Wir haben mitgemacht, um den Schwierigkeiten zu begegnen, die damals ganz Italien erfasst haben. Wir haben die Hand aufs Herz gelegt und uns gesagt, dass wir das schaffen können. Und wir haben es geschafft." 

Dann fügt er hinzu: "Das war eine große Geste unsererseits, um dem Unternehmen zu helfen. Um den Menschen zu helfen, die Gefahr liefen, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Uns wurde das vorgeschlagen, es stand uns frei, die Empfehlung anzunehmen oder nicht. Wir haben sie alles zusammen — als Team — akzeptiert, um ein Signal abzugeben. Eine Geste, die ich auch heute noch wiederholen würde. Mehr nicht. Was danach kam, betraf uns Spieler nicht."