Erste Generalprobe: Deutschland vor Start der Heim-EM gegen kämpferische Ukraine
Die unliebsamen Störgeräusche waren vor der Begegnung am Montag (20.45 Uhr/ARD) im Nürnberger Max-Morlock-Stadion somit unüberhörbar. Eine repräsentative Umfrage für die WDR-Sendung "Sport Inside" hatte für Wirbel gesorgt. Jeder Fünfte (21 Prozent) gab dabei an, dass er es besser fände, wenn wieder mehr weiße Spieler in der Nationalmannschaft spielen würden. Zudem sagten 17 Prozent der Befragten, dass sie es schade fänden, dass der DFB-Kapitän Ilkay Gündogan türkische Wurzeln habe.
Nagelsmann nannte die Fragestellungen "einen Wahnsinn". Eine Fußballmannschaft könne schließlich "Vorbild sein, wie man verschiedene Kulturen und Hautfarben vereint und an einem gemeinschaftlichen Ziel arbeitet".
Co-Kapitän Joshua Kimmich hatte das heikle Thema schon tags zuvor souverän abmoderiert und klare Kante gegen Rassismus gezeigt. "Wer im Fußball aufgewachsen ist", betonte Kimmich, "der weiß, dass das absoluter Quatsch ist".
Zum Match-Center: Deutschland vs. Ukraine
Zuvor hatte eine repräsentative Umfrage für die WDR-Sendung "Sport Inside" für Wirbel gesorgt. Jeder Fünfte (21 Prozent) gab dabei an, dass er es besser fände, wenn wieder mehr weiße Spieler in der Nationalmannschaft spielen würden. Zudem sagten 17 Prozent der Befragten, dass sie es schade fänden, dass der DFB-Kapitän Ilkay Gündogan türkische Wurzeln habe. "Wer im Fußball aufgewachsen ist, der weiß, dass das absoluter Quatsch ist", sagte Kimmich.
In der Mannschaft sei die Umfrage kein Thema gewesen, versicherte der Rechtsverteidiger. Dort drehte sich am Samstagabend beim gemeinsamen Public Viewing alles um die Königsklasse. Nagelsmann und seine Stars jubelten im "Home Ground" beim Partner adidas mit den strahlenden Siegern Toni Kroos und Antonio Rüdiger, sie litten aber auch mit den unglücklichen Verlierern Niclas Füllkrug und Nico Schlotterbeck.
Den Schwung aus den März-Spielen mitnehmen
"Wir wollen die Dinge, die wir im März angestoßen haben, fortführen", sagte der Bundestrainer. Wie bei den mitreißenden Siegen in Frankreich (2:0) und gegen die Niederlande (2:1) soll seine Elf "Fußball zeigen, der Spaß macht".
Schon im Trainingslager im Weimarer Land und nach der Ankunft in Herzogenaurach sogen die Nationalspieler die gute Stimmung und den Trubel bei verschiedenen Aktionen regelrecht auf. "Die Fans betreiben Aufwand, das muss zurückgezahlt werden. Am Ende versuchen wir, das immer mit einem guten Ergebnis zu paaren", sagte Nagelsmann.
Der 36-Jährige kann gegen den EM-Teilnehmer Ukraine nach 550 Tagen wieder auf seine Nummer eins Manuel Neuer setzen. Zuletzt stand der langjährige Kapitän beim WM-Desaster 2022 in Katar im deutschen Tor. Neuer gebe einem "auf dem Platz ein unglaublich gutes Gefühl", betonte Kimmich.
Der Schlussmann hob noch einmal die Bedeutung des Spiels am Montag und der EM-Generalprobe am Freitag in Mönchengladbach gegen Griechenland hervor. "Das ist eine letzte Wasserstandsmeldung. Wenn wir positive Ergebnisse abliefern, lässt sich das erste EM-Spiel auch ein bisschen einfacher gestalten", sagte Neuer.
Im Training ging es ordentlich zur Sache, auch wenn Nagelsmann sich auf eine Startelf nahezu festgelegt hat. "Der Konkurrenzkampf ist trotzdem groß genug. Die Qualität ist sehr hoch", sagte Robert Andrich vom Doublesieger Bayer Leverkusen.
Einen Fokus legte Nagelsmann auf die offensiven Standards. "Es ist eine Stärke und kann Spiele entscheiden", erklärte Jonathan Tah. Auch das sahen Nagelsmann und seine Spieler beim Champions-League-Finale.
Mutige Ukraine kämpft für die Kämpfer
Oleksandr Zinchenko ließ keinerlei Zweifel aufkommen an der EM-Mission der Ukraine. "Durch solche Turniere", sagte der Star des FC Arsenal nach der Ankunft in Deutschland, "können wir unseren Fans und unserem Militär, das unser Land verteidigt, viel Freude schenken." Die Siege der "Gelb-Blauen" sollen die zerrissene Heimat für einige wenige glückliche Augenblicke ablenken vom zermürbenden Kriegsalltag - gerne schon beim Testspiel gegen die deutsche Nationalmannschaft in Nürnberg.
Am Montag, erst recht aber bei der Endrunde, sollen die Fußballer der Welt zeigen, wie zäh, ja unüberwindbar ihr Land ist. Ganz so, wie es Volodymyr Zelenskyy nach dem Play-off-Triumph über Island (2:1) hervorgehoben hatte. "Wann immer Ukrainer in Schwierigkeiten stecken", schrieb der Staatspräsident damals im Netz, "geben sie nicht auf, sondern kämpfen weiter, bis sie gewinnen." Egal ob auf dem Rasen oder in den Schützengräben von Bachmut bis Cherson.
Einen Tag nach Selenskyjs Tweet schlugen in Charkiw zum ersten Mal nach zwei Jahren russische Bomben ein, auch in Kiew gab es Explosionen. Der Montag mit dem Länderspiel gegen EM-Gastgeber Deutschland ist der 830. Kriegstag. Seine "Jungs", weiß Nationalcoach Sergiy Rebrov, spielen "besonders für die Menschen, die weiterhin jeden Tag unser Land vor dem Feind verteidigen müssen".
Kein anderes der 24 Teams bei der EM trägt eine solche Last auf seinen Schultern wie die "goldene Generation" der Ukraine. Nicht wenige Experten sehen in der Elf mit Torwart Andriy Lunin von Real Madrid, Zinchenko, Play-off-Held Mykhaylo Mudryk (FC Chelsea) und Spaniens Torschützenkönig Artem Dovbyk (FC Girona) die beste ukrainische Nationalmannschaft der Geschichte. Stärker noch als jenes Team, das bei der WM 2006 erst im Viertelfinale am späteren Weltmeister Italien scheiterte, oder die Auswahl, die vor drei Jahren bei der EM in der Runde der letzten Acht gegen "Vize" England ausschied.
Ihre Stars sind über ganz Europa verstreut, die Mannschaft ist heimatlos. Seine "Heimspiele" bestreitet der Weltranglisten-22. seit Frühjahr 2022 auswärts. Die ukrainische Liga läuft wieder, aber oft vor gespensterhafter Kulisse. Viele Ultras kämpfen an der Front, auch einige bekannte Ex-Kicker. Igor Belanov, einst "Europas Fußballer des Jahres" und erster sowjetischer Bundesliga-Profi, zeigte sich im Netz mit Sturmgewehr im Kreise der Kameraden.
Auch Zinchenko signalisierte seine Bereitschaft. "Wenn ich nicht für meine Tochter und meine Familie da wäre, wäre ich dort", sagte er über den Krieg.
Stattdessen "kämpft" er bei der EM. "Die ganze Welt wird auf dieses Turnier schauen", sagte er im März: "Es ist eine unglaubliche Gelegenheit zu zeigen, wie gut wir sind und wie gut es ist, Ukrainer zu sein."
Team-News: Nagelsmann noch ohne CL-Finalisten
Julian Nagelsmann kann im ersten von zwei Länderspielen vor der Heim-EM noch nicht auf seine geplante Turnier-Mannschaft setzen. Der Bundestrainer muss gegen die Ukraine am Montag in Nürnberg auf Toni Kroos und Antonio Rüdiger von Champions-League-Sieger Real Madrid verzichten. Beide Profis sind für das Eröffnungsspiel gegen Schottland am 14. Juni in München gesetzt.
Ansonsten plant Nagelsmann mit der Elf, die auch gegen die Schotten auflaufen soll. Im Tor, bekräftigte er, werde der frühere Kapitän Manuel Neuer stehen. Die Position von Abwehrchef Rüdiger im Zentrum nimmt laut Nagelsmann der Stuttgarter Waldemar Anton ein.
"Wir wollen die Rollen auch bei den Testspielen durchziehen, das war der Sinn der Rollengespräche", sagte Nagelsmann am Sonntag. Zumal habe seine Mannschaft "in der Konstellation erst zweimal gespielt, wir brauchen noch Rhythmus und wollen versuchen, die gewonnene Stabilität weiter auszubauen."
Angesprochen auf die Vertreter für Kroos und Rüdiger sagte Nagelsmann: "Die, die am nächsten dran sind, spielen für die, die nicht da sind."
Niclas Füllkrug und Nico Schlotterbeck von Borussia Dortmund stehen nach dem Endspiel in der Königsklasse ebenfalls noch nicht zur Verfügung. Sie sollen wie Kroos und Rüdiger erst am Dienstag ins EM-Quartier nach Herzogenaurach reisen.
Leroy Sane ist noch gesperrt, auch der zuletzt angeschlagene David Raum dürfte kein Thema sein. Torhüter Marc-Andre ter Stegen wird am Spieltag erwartet und steht für das Duell mit dem Weltranglisten-22. ebenfalls nicht zur Verfügung.
Die voraussichtlichen Aufstellungen:
Deutschland: Neuer - Kimmich, Tah, Anton, Mittelstädt - Andrich, Groß - Musiala, Gündogan, Wirtz - Havertz
Ukraine: Bushchan - Konoplya, Zabarnyi, Matvienko, Mykhaylichenko - Zinchenko, Brazhko, Sudakov - Malinovskyi, Mudryk - Dovbyk