Die Renaissance der Serie A: Warum Italiens Oberhaus wieder erblüht ist
Inter und AC Mailand im Halbfinale der Champions League, zudem internationale Finals für den AS Rom und Florenz - italienische Vereine waren in den europäischen Wettbeweerben 2023 so erfolgreich wie lange nicht.
Ein Zufall? Wohl kaum. In den letzten Jahren als "Serie B Europas" beschimpft, befindet sich der Vereinsfußball der Südeuropäer in der Saison 2022/23 im Aufwind. Und das, obwohl es eigentlich gar nicht danach aussah.
2021 erlebte die Liga ein historisches Tief. In einem einzigen Transferfenster verlor man mit Romelu Lukaku, Gigi Donnarumma, Cristian Romero, Achraf Hakimi und Aushängeschild Cristiano Ronaldo einige seiner besten und wertvollsten Spieler. Eine Folge von jahrelangem Missmanagement auf den Ebenen Infrastruktur, Reinvestition von TV-Geldern und Marketing. Doch wie kam nun die große Wende?
Von überteuerten Star-Käufen zu klugen Investitionen
"Es sind noch sechs Teams dabei, das ist ein großer Schritt für die Serie A. Jetzt müssen wir alle weitermachen, denn je weiter wir kommen, desto besser ist es für unser Land", zeigte sich Inter-Coach Simone Inzaghi nach dem Champions-League-Achtelfinale begeistert. Vor allem Inter und Stadtrivale Milan galten als das Sinnbild des italienischen Fußballs der letzten Jahre. Finanziert durch ausländische Investoren, hatten Investitionen in überteuerte Spieler, um mit der Konkurrenz aus England und Spanien mithalten zu können, allem insbesondere den glorreichen AC Mailand ins bedeutungslose Mittelfeld der Liga katapultiert.
Doch die unfreiwillige Trendwende hin zum Kauf von jüngeren Talenten könnte sich nun auszahlen: Khvicha Kvaratskhelia wechselte im Sommer 2022 für 11,5 Millionen Euro von Dinamo Tsibilisi zum SSC Neapel, Rafael Leao 2019 für knapp 30 Millionen Euro von Lille zu Milan, Lautaro Martinez 2018 vom argentinischen Racing Club für 25 Millionen Euro zu Inter - alles vergleichsweise geringe Summen.
Sie alle haben gemeinsam, dass sie beim Kauf noch keine absoluten Topstars waren, aber 2023 nicht nur die Serie A, sondern ganz Europa verzaubern - und ihren Marktwert bereits um ein Vielfaches steigern konnten.
Serie A bedeutet: ausgeglichene Spitzengruppe
Da dieser Taktik nicht nur Inter, Milan und Neapel, sondern auch Lazio, AS Rom, Juve und Atalanta Bergamo nachgehen, hat sich in Italien in den letzten Jahren eine höchst konkurrenzfähige Spitzengruppe entwickelt. Klar, in der vergagenen Saison war Napoli das Maß aller Dinge und zog an der Tabellenspitze seine einsamen Kreise. Das war vor der Saison aber nicht unbedingt so zu erwarten - und wird sich auch in den kommenden Spielzeiten wieder ändern. Zwischen Platz 2 und 7 lagen in der abgelaufenen Saison dagegen nur Nuancen.
Die finanzielle Kaufkraft, die dank in- und ausländischer Investoren nach wie vor da ist, sorgt dafür, dass sich die Topteams hier und da nach wie vor auch teure Transfers leisten können, wie beispielsweise der Juve-Kauf von Dusan Vlahovic für über 80 Millionen Euro im Winter 2021/22 zeigt. So hat sich eine gesunde Balance aus Star-Käufen und dem Erwerben von gut gescouteten Jungtalenten, oft aus Südamerika, dem Balkan oder Afrika, entwickelt.
Taktische Innovation gibt zusätzlichen Schub
Ein weiterer Faktor ist die taktische Innovation und Entwicklung des italienischen Fußballs. Italienische Trainer waren schon immer für ihren taktischen Scharfsinn bekannt. Und das hat sich nicht geändert. Mit Massimiliano Allegri, Jose Mourinho, Gian Piero Gasperini, Luciano Spalletti, Maurizio Sarri und eben Inzaghi tummelt sich auch aktuell wieder Trainertalent in der Serie A, dass es durchaus mit der Premier League aufnehmen kann.
In den frühen zweitausender Jahren hatten sich die meisten italienischen Klubs im Zweifel stets auf die berüchtigte Defensive verlassen - ein ausgelaufenes Modell, dass sowohl Vereins- als auch Nationalmannschafts-Fußball des viermaligen Weltmeisters bereits seit 2006 in Richtung Aus bugsierte. In den letzten Jahren hat man sich dagegen wieder mehr auf den Offensivfußball konzentriert und ist bereit, Risiken einzugehen. Dies hat zu spannenderen und unvorhersehbaren Spielen geführt, was wiederum den Wettbewerb in der Liga erhöht hat.
Zum Beweis: Zählt man ab der Saison 1950/51, ist die Saison 2020/21 die Spielzeit mit den meisten Toren pro Spiel (3,061), gefolgt von den Saisons 2019/20 (3,037) und 2016/17 (2,955). Zum Vergleich: Zwischen 2006 und 2012 kam man im Schnitt nur einmal (2009/2010 mit 2,611) auf mehr als 2,6 Tore pro Spiel.
Abschließende Bemerkung
Natürlich sind dies alles nur Trends und Teilfaktoren. Niemand kann mit Sicherheit vorhersehen, dass ein junges Talent für wenig Geld aus Georgien einschlägt, wie es Kvaratskhelia in der aktuellen Saison tat. Generell scheint es aber, dass der italienische Vereinsfußball in den letzten Jahren einer Modernisierung unterlaufen ist - und dass man sich mit den dadurch gewonnen Ressourcen wieder auf sein Talent für fußballerisches Know-how besonnen hat, anstatt sie weniger wählerisch zu verbraten.
Fakt ist: 2023 stellt Italien mit Neapel, Milan, Inter und Juve vier Traditionsklubs, die an einem guten Tag jeden schlagen können - alleine das sollte Liebhaber des italienischen Fußballs schon glücklich stimmen.