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Die DFB-Elf in der Analyse: Kein Top-Favorit, aber alles möglich

Die DFB-Elf in der Analyse: Kein Top-Favorit, aber alles möglich
Die DFB-Elf in der Analyse: Kein Top-Favorit, aber alles möglichProfimedia
Zählt Deutschland zu den WM-Favoriten? Angeführt von Kapitän Manuel Neuer und einem Block aus Bayern-Spielern stehen Bundestrainer Hansi Flick jede Menge gute Spieler zur Verfügung. Baustellen vorne wie hinten stellen die Ansprüche des DFB aber in Frage. Unsere Analyse der deutschen Mannschaft:

Dem Selbstverständnis nach ist Deutschland immer Kandidat auf den Titelgewinn. Zwischen 2002 und 2014 stand die DFB-Auswahl stets zumindest im Semifinale, in Brasilien folgte die Krönung einer unfassbar erfolgreichen Dekade. Wunderkind Götze erzielte per Knie das entscheidende Tor im Finale gegen Argentinien.

Die über viele Jahre gewissenhaft einstudierte und von den Sportfreunden Stiller gerne zu Liedtexten umgearbeitete Aufzählung "1954, 1974, 1990" bekam endlich Zuwachs.

Deutschland und die WM: Das schien einfach zu passen. Die deutschen Adler seien eine Turniermannschaft, bringe zuverlässig immer dann Leistung, wenn es besonders darauf ankommt. Die WM 2018 in Russland und die wegen Covid auf 2021 verschobene Europameisterschaft kratzten an dieser Überzeugung.

Nach einer Auftaktniederlage gegen Mexiko raffte sich die Mannschaft 2018 nicht mehr wirklich zusammen. Die damals von Weltmeistermacher Jogi Löw trainierte Truppe schied 2018 bereits in der Gruppenphase aus. Premiere beim 19. Turnier - bislang hatte man die Vorrunde immer überstanden. Bei der EM verlor man im Achtelfinale gegen England 0:2. 

In Katar soll die Negativspirale gestoppt werden. Ausgerechnet in Katar. Kaum woanders ist die Wüsten-WM so umstritten wie in der deutschen Fanszene. Die Diskussion um die Menschenrechtssituation bestimmt den öffentlichen Diskurs. In deutschen Stadien sind regelmäßig Boykott-Banner zu sehen. Keine Fußballsendung kommt um das Thema herum.

Vor wenigen Wochen rief Uli Hoeneß beim Doppelpass auf Sport1 an. Eine Sendung, die in Deutschland als Institution gilt. Der mächtige Ex-Bayern-Boss bezog klar Stellung, behauptete, erst durch die WM würden sich die Zustände im Scheichstaat verbessern. Eine Aussage, die wohl leicht zu widerlegen wäre. 

Schwächen

Flick muss einige verletzungsbedingte Ausfälle verkraften. Allen voran jenen von Marco Reus. Der Unglücksrabe der Nation konnte bereits in Brasilien nicht dabei sein. Damals wie heute streikte das Sprunggelenk. Besonders bitter für Flick, der den vielleicht talentiertesten deutschen Spieler seiner Generation als zentrale Anspielstation in der Offensive zu installieren versuchte. Reus brachte die nötige Klasse mit um den Ball sauber und ohne große Zimperlichkeit rasch nach vorne zu transportieren.

Auch Timo Werner nahm ursprünglich eine wichtige Rolle ein. Flick versuchte, den ehemaligen Chelsea-Legionär als Einserstürmer aufzubauen. Werner fügte sich gut in das neue System ein, war sowohl für das Kombinationsspiel gegen eng verteidigende Gegner, als auch für schnelle Umschaltsituationen gut zu gebrauchen.

Alleine an der Chancenverwertung haperte es noch. Weshalb auch der eher einem klassischen Mittelstürmer Lukas Nmecha häufig als Back-up fungierte. Kurz vor Turnierbeginn verletzten sich beide Stürmer schwer.

Weder Niclas Füllkrug noch Youssoufa Moukoko durften bis dato ein Spiel im deutschen A-Team absolvieren. Trotzdem bekommen beide einen Platz im Flieger nach Katar zugesichert. Füllkrug spielte mit Werder Bremen letztes Jahr noch in der 2. Bundesliga, in der neuen Spielzeit verzückte er die höchste Spielklasse mit zehn Treffern. 

Wird erst in Katar volljährig: Youssoufa Moukoko
Wird erst in Katar volljährig: Youssoufa MoukokoAFP

Keiner der beiden konnte bislang viel internationale Erfahrung sammeln. Das Sturmzentrum gilt dementsprechend als Schwachstelle, genau wie die Position des Rechtsverteidigers.

Seit der einstige Kapitän Phillip Lahm nach dem Finale in Rio de Janeiro seine Karriere beendete, konnte sich kein Spieler nachhaltig für die vakante Position empfehlen. Joshua Kimmich ist als Zweikämpfer keineswegs herausragend und daher im Mittelfeld besser aufgehoben.

Jonas Hofmann bekleidete den Posten mit Überzeugung, bei Gladbach agiert er aber ausschließlich als offensiver Flügel. Mit Dortmunds Niklas Süle wird wohl ein gelernter Innenverteidiger die Problemstelle übernehmen.

Eine weitere Option ist Thilo Kehrer. Er bringt eine gewisse Grundschnelligkeit mit, verfügt am Ball über ordentliche Fähigkeiten und ist ein überdurchschnittlich guter Zweikämpfer. Er ist in der Viererkette auf allen Positionen einsetzbar. Ein guter Ergänzungsspieler also für Flicks präferierte Spielweise.

Eine letztgültige Lösung dürfte Flick aber noch nicht gefunden haben. Wie auch die umstrittene Nominierung von Lukas Klostermann beweist. Der Leipziger Abwehrspieler absolvierte in der laufenden Spielzeit nur zwei Pflichtspiele. Mehr nicht. Zwei Einsätze, die außerdem lange her sind. Am 07. August spulte er gegen den VfB Stuttgart die vollen 90 Minuten ab.

Danach führte eine Verletzung am Syndesmoseband zu einem monatelangen Ausfall. Auch kurz vor der WM saß er bei Leipzig nur auf der Bank. Mit nach Katar darf er trotzdem.

Stärken

Die altbackene Herangehensweise des Schwaben Löw sollte vom als moderner geltenden Flick geändert werden. Mit Spannung wurde sein Debüt in Liechtenstein im September 2021 erwartet. Würde er mit Dreier- oder Viererkette spielen lassen? Auf welche Spieler wird Flick setzen, wie möchte er die Problemstellen in der Abwehr und im Sturmzentrum beheben?

Das Spiel endete mit einem glanzlosen 2:0-Sieg. Das winzige Liechtenstein stellte Deutschland vor echte Probleme. Lichtblick in einer durchwachsenen Begegnung war der neue Hoffnungsträger Jamal Musiala

Unter Bayern-Coach Nagelsmann entwickelte sich Musiala glänzend
Unter Bayern-Coach Nagelsmann entwickelte sich Musiala glänzendAFP

Musiala ist erst 19 Jahre alt, ist aber seit Wochen bei Bayern einer der wichtigsten Spieler. Er kurbelt Angriff um Angriff an, ist trickreich am Ball, hat ein gutes Auge für seine Mitspieler und weiß auch, wo das Tor steht. 

Außerdem ist er wichtiger Bestandteil des Bayern-Blocks. Die Eingespieltheit in gewissen Mannschaftsteilen ist einzigartig. Die dynamische Spielweise von Serge Gnabry oder Leroy Sané ergänzt sich bestens mit Kimmichs überragenden weiten Bällen und der starken Präsenz von Leon Goretzka.

Last but not least: Mario Götze ist wieder dabei! Die Geschichte des Finaltorschützen ist bekannt. Der vermeintliche Karriere-Rückschritt, der Wechsel zu PSV Eindhoven, erwies sich als goldrichtig. Der 30-Jährige wird wohl zu einigen Einsatzminuten kommen. Und dient dem DFB-Teams nebenbei als wahrer Talisman.

Am Ende des Tages dürfte trotzdem der Bayern-Block mit Goretzka, Kimmich oder Man Citys İlkay Gündoğan den Vorzug erhalten.

Nirgends anders hat der Bundestrainer eine derart breite Auswahl wie im zentralen Mittelfeld. Der Konkurrenzkampf könnte die etlichen Starspieler zu Höchstleistungen antreiben.

Die bevorzugte Startelf

Neuer - Kehrer, Süle, Rüdiger, Raum - Kimmich, Goretzka - Gnabry, Musiala, Sané - Havertz

Hansi Flick setzt gerne auf ein Hybridsystem. In seinen bislang 15 Spielen als Bundestrainer wurde zwischen einem 4-2-3-1 und 3-2-4-1 situativ hin- und hergewechselt. Die Außenverteidiger nahmen eine wichtige Rolle in den Gedankenspielen des Bundestrainers ein.

Im eigenen Ballbesitz orientierte sich einer der Außenverteidiger klar nach vorne, während der andere sich zu den Innenverteidigern gesellte.

Den sich auf die letzte Linie fallen lassenden Spieler stellte dabei meistens Thilo Kehrer. Der ehemalige PSG-Spieler steht seit August bei West Ham unter Vertrag. Obwohl Kehrer kein Weltklasse-Spieler ist, hat Hansi Flick großen Gefallen an ihm gefunden und ihm fast immer das Vertrauen geschenkt.

Im Tor ist Kapitän Manuel Neuer selbstverständlich gesetzt. Der an der Hüfte leicht lädierte Antonio Rüdiger konnte bei Real Madrid zwar den Österreicher Alaba noch immer nicht aus der Startelf drängen, dennoch steht der beim VfB Stuttgart ausgebildete Innenverteidiger für große körperliche Präsenz und liefert seit einigen Jahren konstant gute Leistungen.

Ob Nico Schlotterbeck zum Einsatz kommen wird hängt stark davon ab, ob das Trainerteam Süle eher in der Innenverteidung oder weiter außen sieht.

An vorderster Front erscheint der Einsatz von Havertz als falscher Neuner zurzeit als die sicherste Variante. Dass sich Füllkrug oder Moukoko in kürzester Zeit zu Kandidaten für die Stammelf mausern können, ist eher auszuschließen. Zumindest gegen Japan hat Kai Havertz bestimmt gute Einsatzchancen. 

Flicks schwierigste Entscheidung

Wer hinten links den Vorzug bekommt, ist schwer zu sagen. Robin Gosens wurde ausgebootet, worüber sich der Inter-Spieler nicht besonders gefreut hat. Statt ihm nachhaltig aufgedrängt hat sich bislang niemand. David Raum spielte vergangenes Jahr eine Fabelsaison für die TSG Hoffenheim. Er punktete mit Laufstärke und punktgenauen Flanken.

Nach seinem Wechsel zu RB Leipzig fand er aber nie wieder zu seiner Bestform zurück. Dennoch vertraute ihm Flick fast immer. Auch Freiburgs Kapitän Christian Günter fand seinen Weg ins WM-Aufgebot. Die Breisgauer Vereinslegende agiert sowohl in offensiven Aktionen als auch defensiven Aktionen oft überdurchschnittlich intelligent.

Der 29-Jährige kann zudem mit Turniererfahrung punkten. Bei der Europameisterschaft reiste er mit der Nationalmannschaft mit - zu einem Einsatz kam er damals aber nicht. Wie bereits weiter oben angesprochen könnte West Hams Thilo Kehrer im Notfall ebenso die Position bekleiden.

Die Aussichten

2024 wird zum ersten Mal seit dem Sommermärchen 2006 wieder eines der großen Fußballturniere in Deutschland stattfinden. Die Europameisterschaft findet ihren Weg in die Bundesrepublik. In Hinsicht darauf verzichtete Flick trotz Formstärke auf den alternden Weltmeister Mats Hummels (33) und nahm lieber Armel Bella-Kotchap (20) vom FC Southampton mit. 

In der Abwehr gilt Bella-Kotchap als Zukunftsversprechen
In der Abwehr gilt Bella-Kotchap als ZukunftsversprechenAFP

Welche Rolle das wichtige Heimturnier beim DFB einnimmt, kann von Außen betrachtet nur schwer gesagt werden. Was aber sicher sein dürfte: bei der Weltmeisterschaft gilt Deutschland nicht als erster Favorit.

Zu sehr befindet sich die Mannschaft noch in der Findungsphase, wie auch die schwachen Ergebnisse in der Nations League beweisen. Der einzige Erfolg gegen ein Spitzenteam war das 5:2 im Juni gegen Italien

Beim Auftaktspiel gegen Japan am 23. November ist ein Sieg Pflicht. Gelingt den Deutschen anders als in Russland 2018 der Start, könnte man mit Schwung in das schwierige Duell mit Herausforderer Spanien (27.11.) gehen.

Letzter Konkurrent in Gruppe E ist Costa Rica (01.12.). Das Achtelfinale ist für Deutschland Pflicht. Aus unserer Sicht erscheint das Halbfinale in Reichweite. Eine Finalteilnahme - oder gar der WM-Sieg - müsste aber schon als Überraschung gewertet werden.

Der komplette DFB-Kader:

Tor: Manuel Neuer (Bayern München), Marc-André Ter Stegen (FC Barcelona), Kevin Trapp (Eintracht Frankfurt)

Abwehr: Antonio Rüdiger (Real Madrid), Armel Bella-Kotchap (FC Southampton), Thilo Kehrer (West Ham), Matthias Ginter, Christian Günter (beide SC Freiburg), Lukas Klostermann, David Raum (beide RB Leipzig), Niklas Süle, Nico Schlotterbeck (alle Borussia Dortmund)

Mittelfeld: Ilkay Gündogan (Manchester City), Leon Goretzka, Joshua Kimmich, Thomas Müller, Jamal Musiala (alle Bayern München), Julian Brandt (Borussia Dortmund), Mario Götze (Eintracht Frankfurt), Jonas Hofmann (Borussia Mönchengladbach)

Angriff: Serge Gnabry, Leroy Sané (beide Bayern München), Kai Havertz (FC Chelsea), Karim Adeyemi, Youssoufa Moukoko (beide Borussia Dortmund), Niclas Füllkrug (Werder Bremen)