Darts-WM Vorschau Tag 8: Debüts für Anderson und Wade - Kann Hempel Humphries fordern?
Nachmittags-Session
Krzysztof Ratajski v. Danny Jansen
Wie viele mitteleuropäische Spieler kommt auch der Pole Krzysztof Ratajski ursprünglich aus dem E-Dart-Bereich. Nach vielen Erfolgen im Soft-Tip (unter anderem Europameister 2005 und 2008) wechselte Ratajski über die BDO zur PDC, bei der er sich ab Mitte der 2010er-Jahre zu einem Top20-Spieler entwickelte. Im Moment steht er einen Platz hinter dieser Marke, da das Jahr 2022 nicht das beste des "Polish Eagle" war. Keine Teilnahmen in den weiterführenden Runden bei Majors konnte sich der 45-Jährige erspielen, bis er im November bei den Players Championship Finals antrat und dort immerhin ins Achtelfinale kam. Möglicherweise ein kleiner Strohhalm, an den sich der WM-Viertelfinalist von 2021 klammern kann. Damals scheiterte er in der Runde der letzten Acht an Stephen Bunting, auch in diesem Jahr will Ratajski weit kommen.
In der zweiten Runde wartet zunächst der Niederländer Danny Jansen. In seinem Erstrundenmatch am Montag gegen den phillipinischen Qualifikanten Paolo Nebrida vergab der 20-Jährige jede Menge Matchdarts, gewann das einseitige Spiel letztlich aber komplett ungefährdet mit 3:0. Seine Effizienz wird "The Mullet" gegen den routinierten Ratajski verbessern müssen, wenn der wegen seiner Haarpracht bereits jetzt zum Publikumsliebling aufgestiegene Mann aus Holten in der Nähe von Enschede in die dritte Runde einziehen will. Sollte er das schaffe, kann das ein Spiel mit Überraschungspotenzial sein.
Ryan Searle v. Adam Gawlas
Innerhalb von sechs Tagen spielten Ryan Searle und Adam Gawlas im Mai zweimal gegeneinander. Bei den Czech Darts Open und beim European Darts Grand Prix gab es je einen Sieg für beide Spieler, dementsprechend wachsam sollte der 35-jährige Engländer die Zweitrundenaufgabe angehen. "Heavy Metal" hat ein gutes Jahr 2022 hinter sich, in dem er beim European Championship, beim Masters und bei den UK Open das Achtelfinale erreichte. Die Nummer 14 der Welt spielt mit einem Average von fast 96 Punkten einen hohen Standard, der ihn nach einigen Jahren der Inkonstanz fest auf der PDC-Tour etabliert hat. Der in Somerset geborene Engländer berichtete vor einigen Jahren in einem Interview von starker Sehschwäche, die nach einem Wurf oft zu Unsicherheit führt, ob er das gewünschte Feld getroffen hat oder nicht. Trotzdem weigert er sich hartnäckig, eine Brille zu tragen. Der Erfolg gibt ihm Recht: Im vergangenen Jahr ging es bei der Weltmeisterschaft bis ins Achtelfinale, dort war der spätere Sieger Peter Wright eine Nummer zu groß. Dieses Mal will er es besser machen und in die Runde der letzten Acht.
Hohe Ansprüche an sich selbst hat auch Adam Gawlas, der als aktuell größtes tschechisches Darts-Talent nach London gereist ist. Der 20-Jährige hat in der ersten Runde ein Duell der Generationen für sich entschieden und den 35 Jahre älteren Richie Burnett mit 3:2 bezwungen. "Flawlas" musste an seine Grenzen gehen und wirkte zwischenzeitlich unsicher, überkam aber schwächere Phasen und zeigte im entscheidenden fünften Satz Nervenstärke und letztlich einen der besten Averages der kompletten ersten WM-Runde. Mit diesen Attributen muss er auch gegen Searle überzeugen, der aufgrund der internationalen Erfahrung und des Average (Gawlas liegt mit 88 Punkten pro Aufnahme im Schnitt circa acht Zähler hinter Searle) als Favorit ins Spiel geht.
Mensur Suljovic v. Mike De Decker
"The Gentle" und die Weltmeisterschaften. So richtig will es bisher noch nicht passen, dass Mensur Suljovic trotz vieler Siege auf der Pro Tour sowie Halbfinal- und Finalteilnahmen bei Majors bei der WM einfach nicht zu überzeugen weiß. Bis heute ist er nie weiter als ins Achtelfinale gekommen - so auch zuletzt 2018, wo er glatt mit 0:4 gegen Dimitri van den Bergh verlor. Die große Bühne im Alexandra Palace scheint Suljovic zu hemmen und auch das laufende Kalenderjahr gibt nicht unbedingt Anlass zu großen Erwartungen: Der für Österreich spielende Serbe hat aufgrund schwacher Leistungen auf der Tour nicht alle Majors gespielt, zuletzt schied er bei den Players Championship Finals bereits in Runde eins mit 2:6 gegen James Wade aus. Hoffnung kann Suljovic daraus schöpfen, dass er in seiner langen Karriere bereits viele Widerstände überwunden hat. Ein Beispiel ist die Dartitis, die Dartspieler am richtigen Abwurf hindert. Der 50-Jährige passte seinen Stil so an, dass er die Blockade lösen und wieder auf Top-Niveau spielen konnte. Nicht unvorstellbar daher, dass bei ihm auch irgendwann der WM-Knoten platzt.
Vielleicht ja schon bei dieser Ausgabe gegen den Belgier Mike De Decker. In der ersten Runde setzte sich der Youngster in einem niveauarmen Spiel mit 3:1 gegen den Kanadier Jeff Smith durch und buchte das Ticket für Runde zwei. "The Real Deal", der den hohen Erwartungen bisher noch nicht komplett gerecht werden konnte, zehrt von einer guten Pro Tour Saison. Gegen den routinierten Suljovic konnte der 27-Jährige bislang nur eins von sechs Spielen gewinnen, das aber immerhin zuletzt im April 2021 beim Players Championship. Geht man nach den Weltranglistenpositionen und der Erfahrung, sollte Suljovic dieses Match gewinnen, doch die Vorzeichen lassen uns ein ausgeglichenes Spiel mit offenem Ausgang erwarten.
Dirk van Duijvenbode v. Karel Sedlacek
Dirk van Duijvenbode ist in letzten zu einer festen Größe im PDC-Zirkus aufgestiegen. Der mit 30 Jahren immer noch junge Niederländer hat sich in seinem Land als Nummer zwei hinter Michael van Gerwen etabliert und setzt dabei auf ähnliche Mittel wie "Mighty Mike". Auch "DvD" setzt auf Power, unbändigen Willen und darauf, sich auf der Bühne immer wieder selbst zu pushen. Den Anfang macht da schon der Walk-On, der bei ihm von heftiger Hardstyle-Musik begleitet wird. Am Oche angekommen holt er gerne mal die imaginäre Kettensäge oder den Presslufthammer raus, um seiner Motivation Ausdruck zu verleihen. Auch sportlich hat der Mann aus Katwijk aan Zee an der Nordseeküste einiges zu bieten: Bei den World Series of Darts Finals kam er in diesem Jahr bis ins Finale, dazu gab es Halbfinalteilnahmen beim European Championship und beim World Cup of Darts. Auch bei der Weltmeisterschaft hat van Duijvenbode schon seine Sporen verdient: 2021 ging es mit einem tollen Run und siegen gegen Rob Cross und Glenn Durrant ins Viertelfinale, wo gegen Gary Anderson Endstation war. In diesem Jahr will die Nummer 15 der Order of Merit wieder angreifen.
In der ersten Runde sieht er sich bei diesem Vorhaben dem Tschechen Karel Sedlacek gegenüber. Der Mann aus Bohdasin im Norden seines Landes bezwang in der ersten Runde Raymond Smith glatt mit 3:0 und machte dabei mit starken Zahlen auf sich aufmerksam: Ein Average von 99 Punkten pro Aufnahme und eine Doppelquote von 60 Prozent sind Statistiken, die auch Dirk van Duijvenbode Probleme bereiten können. Bei seiner ersten WM-Teilnahme überhaupt wirkt Sedlacek alles andere als nervös, was uns ein spannendes Spiel zum Abschluss der Nachmittags-Session verspricht.
Abend-Session
Gary Anderson v. Madars Razma
Es ist kurz vor Weihnachten, jetzt starten auch die ganz dicken Fische ins Turnier: Nach dem Auftakt des dreimaligen Weltmeisters Michael van Gerwen gestern präsentiert sich am Donnerstagabend Gary Anderson dem Londoner Publikum. "The Flying Scotsman" ist einer der erfolgreichsten Spieler des vergangenen Jahrzehnts und einer der profiliertesten Spieler auf der Tour. Der Weltmeister von 2015 und 2016 kann auf sieben Major-Siege und weit über 20 Turniersiege auf der Pro Tour zurückblicken, sein Name schallt wie Donnerhall durch die Dartshallen dieser Welt. Im vergangenen Jahr kam der Schotte bis ins Halbfinale der Weltmeisterschaft, scheiterte dort aber an seinem Landsmann Peter Wright. Insgesamt war diese Halbfinalteilnahme aber eher ein Ausreißer nach oben, denn in den letzten zwei Jahren zeigte die Formkurve des vierfachen Vaters klar nach unten. Im Jahr 2022 konnte Anderson keinen Turniersieg feiern, bei den Majors war fast immer früh Schluss. Um seine gute Weltranglistenposition nicht zu verlieren, muss Anderson an seine guten WM-Platzierungen anknüpfen. Und noch etwas sollte ihn motivieren: Am Donnerstag feiert Gary Anderson seinen 52. Geburtstag - ein guter Anlass also, um sich mit einem Einzug in die dritte Runde selber zu beschenken.
Kommt der Partycrasher aus Lettland? Madars Razma hat in Runde eins den Inder Prakash Jiwa mit 3:1 gezwungen, wurde dabei nicht immer voll gefordert. Der 34-Jährige, der im Baltikum Darius Labanauskas als Nummer eins abgelöst hat, steht sowohl in der Weltrangliste als auch im jährlichen Average weit unter seinem heutigen Gegner, doch die Form könnte für den Letten sprechen. Im Gegensatz zu Gary Anderson spielte "Razmatazz" ein gutes Kalenderjahr und konnte bei vielen Majors neue persönliche Bestleistungen aufstellen. Eine weitere persönliche Bestleistung wäre das Erreichen der dritten Runde bei einer Weltmeisterschaft. Trotz seiner guten Verfassung wäre ein Sieg von Madars Razma gegen Gary Anderson eine faustdicke Überraschung.
James Wade v. Jim Williams
Bereits vier Mal war James Wade im Halbfinale der Weltmeisterschaft. Bei allen vier Teilnahmen schied er in der Vorschlussrunde aus, zuletzt im vergangenen Jahr gegen Michael Smith. Der fehlende WM-Titel ist der einzige Makel in der sonst großen Karriere von James Wade. Als einer der besten Linkshänder aller Zeiten hat er so gut wie alle Majors gewonnen, zuletzt 2021 die UK Open. Der momentane Neunte der PDC Order of Merit will endlich den größten aller Titel erringen, doch seine persönliche Ausbeute im Jahr 2022 gibt nicht viel Anlass zur Hoffnung, dass der Durchbruch ausgerechnet bei dieser Ausgabe gelingen wird. Nur ein einziges Players Championship-Turnier konnte der 39-Jährige in den letzten zwölf Monaten gewinnen, in vielen Majors kam er nicht über die ersten Runden hinaus. Sollte er die zweite Runde überstehen, trifft Wade nach Weihnachten auf die deutsche Nummer eins Gabriel Clemens. Dafür vertraut er bei der Vorbereitung ganz auf die Kraft seiner Familie.
Bevor es dazu kommt, muss Wade aber erstmal an Jim Williams vorbei. Der 38-jährige Waliser scheint nicht unschlagbar für Wade, obwohl er sich in der ersten Runde gegen den polnischen Youngster Sebastian Bialecki durchsetzen konnte. In einem durchaus hochklassigen Duell musste Williams in den fünften Satz gehen, um das Spiel für sich zu entscheiden. Mit einem Average von über 90 Punkten pro Aufnahme bot er eine ordentliche Leistung, aber keine Werte, die James Wade Angst machen sollten. Für Williams wird es wichtig sein, seine starke Checkout-Quote von fast 50 Prozent aus dem Erstrundenmatch zu konservieren, um die wenigen Chancen gegen Wade zu nutzen. Wie so häufig in den Anfangsrunden dieser WM haben wir in diesem Spiel eine Situation "David gegen Goliath", doch aufgrund der unterschiedlichen Formkurven sind mit etwas Fantasie durchaus einige Sätze mehr oder vielleicht sogar eine Überraschung denkbar.
Luke Humphries v. Florian Hempel
Mit gerade mal 27 Jahren hat sich Luke Humphries in der Weltspitze festgespielt. Der Mann aus Newbury in England hat alle Jugendstufen des PDC-Systems durchlaufen, sich mit vielen Titeln auf der Development Tour die nötigen Sporen verdient, um sich dann über die European Tour und die Pro Tour nach oben zu arbeiten. Inzwischen ist er auch bei den Majors immer ein Mitfavorit auf den Titel, so wie er es beispielsweise beim Grand Slam of Darts in diesem Jahr zeigte, als er ins Halbfinale kam. Auch wenn es für den ganz großen Major-Titel noch nicht gereicht hat, ist Humphries ein kompletter Spieler, der als Nummer sieben der Order of Merit ein konstant hohes Niveau spielt. Mit 97,5 Punkten pro Aufnahme hat der Engländer seinen besten Jahresdurchschnitt aller Zeiten gespielt, dieses Niveau sollte auch bei der Weltmeisterschaft zu einem guten Run reichen. Dieser könnte ihn in diesem Jahr sogar noch weiter führen als ins Viertelfinale, das er seit 2019 bereits dreimal erreicht hat.
Um die erste Hürde auf dem Weg dorthin zu überspringen, muss er eine Premiere schaffen. Noch nie haben Luke Humphries und Florian Hempel gegeneinander gespielt, der Deutsche könnte also mit dem Bonus des Unberechenbaren in das Duell gehen. Einige Infos hat das erste Spiel des Kölners bei dieser Weltmeisterschaft gegeben, in dem er Keegan Brown knapp bezwingen konnte. Die Nummer 58 der Order of Merit spielte eine für seine Verhältnisse gute Partie, lag mit einem Average von knapp 89 aber deutlich unter dem Niveau, das sein heutiger Gegner spielen kann. Der 32-jährige Deutsche wird darauf hoffen, dass er die guten Erfahrungen aus der letztjährigen zweiten WM-Runde mitnehmen kann, in der er den hoch favorisierten Belgier Dimitri van den Bergh ausschalten konnte. Ein Sieg gegen Luke Humphries wäre eine ähnlich große Überraschung.
Vincent van der Voort v. Cameron Menzies
Zum Abschluss der Abend-Session greift mit Vincent van der Voort ein weiterer Niederländer ins Turnier ein. Nach dem gestrigen Weiterkommen seines Landsmanns Michael van Gerwen will auch der routiniertere "Dutch Destroyer" in die dritte Runde einziehen. Der Mann aus Purmerend nördlich von Amsterdam kann auf einer fünfzehnjährige Profikarriere zurückblicken, in der die größten Erfolge die Finalteilnahme bei den UK Open 2007 und die Halbfinalteilnahme bei den Players Championship Finals 2014 waren. Wie bereits an den Daten zu erkennen liegt die große Zeit des 47-Jährigen schon etwas zurück, in den vergangenen Jahren gab es nur noch selten größere Erfolge bei Majors für Van der Voort. Im vergangenen Jahr musste der Niederländer bei der WM wegen eines positiven Corona-Tests passen, in diesem Jahr wird er auf Wiedergutmachung sinnen.
Sein Gegner in der zweiten Runde heißt Cameron Menzies. Der Schotte, den Van der Voort im Vorfeld der Partie als "albern mit brillanten Momenten" bezeichnete, besiegte in der ersten Runde den Brasilianer Diogo Portela. Auch wenn er bei diesem Spiel nicht seine beste Vorstellte zeigte, ist die Leistungsfähigkeit des Schotten in der Tat schwer einzuschätzen. Starke Auftritte wie der Sieg gegen Josh Rock bei den Players Championship Finals wechseln sich mit unerklärlichen Aussetzern wie der 1:6-Abreibung gegen Jelle Klaasen in der zweiten Runde der UK Open ab. Immerhin: Im direkten Duell bezwang Menzies den favorisierten Van der Voort in diesem Jahr im Februar beim Players Championship. Vielleicht ein gutes Omen für den 33-jährigen Lebensgefährten von Fallon Sherrock, der als leichter Außenseiter in das Duell mit dem Niederländer geht.