Baumjohann exklusiv: “Brasilien ist der klare WM-Favorit”
Alexander, wie ist die WM-Stimmung in Down Under? Verfolgen die Australier das Turnier?
“Das Turnier wird auf jeden Fall verfolgt. Natürlich ist Fußball immer noch nicht Sportart Nummer eins in Australien, aber bei einer WM sitzt schon jeder vor dem Fernseher. Australien hat sich für die letzten fünf Weltmeisterschaften qualifiziert, auch wenn es eine Überraschung war, dass man sich in den Playoffs gegen Peru durchsetzen konnte. Die Anstoßzeiten sind natürlich eine Herausforderung. Die ersten Spiele beginnen 21 Uhr, dann null Uhr, drei Uhr Nachts sowie sechs Uhr am Morgen. Es ist auch schade, dass man nicht zum Public Viewing rausgehen, etwas trinken und sich ein Spiel anschauen kann. Aber die meisten Australier haben sich die erste Partie gegen Frankreich angeschaut. Daher würde ich schon sagen, dass das Land in WM-Stimmung ist.”
Hat Australien trotz der 1:4-Niederlage gegen Weltmeister Frankreich noch eine gute Chance, ins Achtelfinale einzuziehen?
“Gute Chance, würde ich nicht sagen. Es war auch jedem vorher bewusst, dass man klarer Außenseiter ist. Man war froh, Frankreich im ersten Spiel zu haben. Frankreich schien dann noch nicht in Topform zu sein. Ich fand die ersten 15 Minuten von Australien echt gut und Frankreich erschreckend schwach. Das Tor kam aber zu früh und wenn du als klarer Außenseiter zu früh triffst und anschließend versuchst, den Rest des Spiels zu verteidigen, dann ist es oft eine Frage der Zeit, bis du ein Gegentor bekommst. Frankreich hat Australien die Grenzen aufgezeigt. Aber im Fußball weißt du nie. Es sind noch zwei Spiele. Wenn Australien das nächste Spiel gewinnen sollte oder mindestens einen Punkt holt, ist noch alles drin. An Saudi-Arabien hat man gesehen, was möglich ist. Die Chance für Australien bleibt aber weiterhin gering. Ich glaube, dass hier niemand sauer oder traurig ist, wenn sich das Team nicht fürs Achtelfinale qualifiziert.”
Du hast bei dieser Weltmeisterschaft gleich drei heiße Eisen im Feuer. Du bist in Deutschland geboren, hast aber auch in Brasilien und Australien gekickt und gelebt. Wie schätzt du die beiden Schwergewichte, Deutschland und Brasilien, bei der WM ein?
“Deutschland ist zum ersten Mal seit längerer Zeit nicht im engsten Favoritenkreis. Für mich ist Brasilien ganz klarer Favorit. Die Generation um Neymar ist eine der stärksten brasilianischen Nationalmannschaften und auch eine der konstantesten der letzten 15 bis 20 Jahre. Ich bin fest davon überzeugt, dass Neymar der WM seinen Stempel aufdrücken und bester Spieler des Turniers sowie Torschützenkönig werden wird. Mit Deutschland muss man natürlich immer rechnen, ähnlich wie mit Spanien. Das sind echte Turniermannschaften, auch wenn Deutschland vor vier Jahren nicht überzeugen konnte. Die DFB-Elf hat natürlich den einen oder anderen Weltklassespieler dabei, wie Jamal Musiala, Kai Havertz und Leroy Sané, der leider ausfällt. Hinzu kommen einige Erfahrene wie Manuel Neuer, die die WM schon einmal gewonnen haben. Deutschland wird keine Probleme haben, in der Gruppenphase weiterzukommen. Mich würde es freuen, wenn Brasilien und Deutschland beide weit kommen.”
Deine Frau ist Brasilianerin. Was macht ihr, wenn beide Länder aufeinander treffen?
“Das war 2014 schon so, als Deutschland Brasilien 7:1 geschlagen hat. Ich muss auch sagen, ich bin kein Nationalmannschafts-Fanatiker. Ich hege eher Sympathien für guten Fußball und für Mannschaften, in denen Jungs spielen, mit denen ich eng befreundet bin. Das ist bei Deutschland natürlich Manuel Neuer und das war bei Brasilien damals Dante, der Trauzeuge meiner Hochzeit war. Es ist aber nicht so, dass wir zu Hause sitzen – meine Frau im Brasilien-Trikot, ich im Deutschland-Trikot – und uns gegenseitig die Köpfe einschlagen (lacht). Wir würden uns freuen, wenn beide weit kommen.”
Du hast einige ehemalige Teamkollegen angesprochen. Wem drückst du bei der WM besonders die Daumen?
“Mit Manuel habe ich in der Jugend zusammen gespielt, wir sind zusammen zur Schule gegangen, waren bei Schalke und in der U-Nationalmannschaft aktiv. Wir sind immer noch im Kontakt. Es wird wahrscheinlich seine letzte WM sein. Aber er hat den Titel ja schon gewonnen. Da würde ich eher sagen, ich gönne es jemandem wie Messi. Das einzige, was ihm noch fehlt, ist der WM-Titel.”
Du bereitest dich derzeit auf die Karriere nach der Karriere vor. Könntest du dir auch eine Zukunft für einen Verband und eine Nationalmannschaft vorstellen?
“Ich hab es noch nicht offiziell verkündet, aber meine Karriere als Spieler ist schon beendet. Im letzten Jahr hab ich meinen Vertrag bei Sydney FC nicht verlängert. Nachdem ich jetzt ein Jahr raus bin, ist klar, dass da wahrscheinlich nicht mehr so viel Interessantes kommen wird. Von daher arbeite ich schon länger daran, meine Karriere nach der aktiven Karriere aktiv vorzubereiten und sehe mich auf jeden Fall im Management-Bereich. Ich habe International Sports Management studiert und ein Zertifikat im Football Management bei der UEFA Academy abgeschlossen. Verein ist das, was mich mehr reizen würde. Ich bin im engen Kontakt mit meinem Ex-Club, Sydney FC. In Australien gibt es die traditionelle Position des Sportdirektors aber bislang nicht. Die Strukturen sind vergleichbar mit England und sie sind gerade dabei die Funktion zu kreieren. Ich bin aber auch ambitioniert zu sagen, irgendwann möchte ich zurück auf die große Fußballbühne und dann ist auch Deutschland mittelfristig wieder ein Ziel.”
Dein Jugendverein Schalke 04 sucht derzeit ebenfalls nach einem Sportdirektor. Verfolgst du die Knappen weiterhin?
“Schalke ist mein Herzensverein und es wäre ein Traum, irgendwann mal für Schalke zu arbeiten. Derzeit ist es aber zu früh. Ich würde mir wünschen, dass Schalke die richtige Entscheidung trifft und jemanden auf dieser Position findet, der in der Vergangenheit bewiesen hat, dass er Expertise mitbringt und den Verein gut kennt. Für mich ist die optimale Lösung für Schalke Horst Heldt. Meiner Meinung nach hat er in der Vergangenheit bei all seinen Stationen sehr gute Arbeit geleistet und mir fällt aktuell kein Kandidat ein, der Schalke und das Umfeld besser kennt als er."
Alexander, vielen Dank für das Gespräch!