AO: US-Duell zwischen Shelton und Paul - Marschiert der "Joker" ins Halbfinale?
ATP
Ben Shelton (89) v. Tommy Paul (35) - 4:30 Uhr
Wer vor Beginn der Australian Open das Viertelfinale zwischen Ben Shelton und Tommy Paul getippt hätte, der wäre jetzt vermutlich sehr reich. Das inner-amerikanische Duell ist interessanterweise das erste Aufeinandertreffen der beiden, auch wenn sie beide auf den Hartplätzen der USA aufgewachsen sind. Dementsprechend ähnlich sind sie sich auch im Spielstil: Klares, schnörkelloses Grundlinienspiel und einen krachenden Aufschlag. Es wird interessant sein, zu sehen, welcher Spieler es als erstes mit den Nerven zu tun bekommt, denn für beide ist diese Stufe eines Grand Slam-Turniers Neuland.
Ben Shelton ist mit seinen 20 Jahren das Küken im diesjährigen Viertelfinale, logischerweise ist die Viertelfinalteilnahme schon jetzt der mit Abstand größte Erfolg seiner bisherigen Karriere. Den lässt er sich auch nicht dadurch kleinreden, dass er bisher auf noch keinen Top 50-Spieler getroffen ist. Dafür hat er bereits Erfahrung mit US-Amerikanern: Im Achtelfinale hat er seinen Landsmann J.J. Wolf geschlagen, die Nummer 57 der Welt. Shelton wird sich wie immer auf seinen Aufschlag verlassen müssen, um gegen den erfahreneren Tommy Paul eine Chance zu haben.
Dieser kommt immerhin mit der Empfehlung einer Achtelfinalteilnahme in Wimbledon im vergangenen Jahr ins Spiel. Auch für ihn wird der Anlass aber besonders sein, hat er doch gegen einen für ein AO-Viertelfinale sehr niedrig gerankten Gegner die realistische Chance, ins Halbfinale einzuziehen. Paul scheint im Vergleich mit Shelton auch der etwas variablere Spieler zu sein, der sein solides Grundlinientennis hin und wieder mit Angriffen am Netz oder Stoppbällen garniert. Möglicherweise könnte das im Spiel zweier ähnlicher Kontrahenten am Ende den Unterschied ausmachen.
Andrey Rublev (6) v. Novak Djokovic (5) - 9:30 Uhr
Wenn bei einem Grand Slam die Nummer sechs der Welt auf die Nummer fünf trifft, sollte man eigentlich von einem ausgeglichenen, engen Match ausgehen können. In diesem Jahr stellt sich die Lage etwas anders dar. Novak Djokovic musste sich nach Corona-Abwesenheit in den letzten Monaten wieder zurück an die Weltspitze kämpfen, "nur" Platz fünf täuscht daher über das Leistungsniveaudes Serben hinweg. Auf der anderen Seite hatten wohl nicht viele einen so guten Lauf von Andrey Rublev auf dem Schirm. Der Russe hatte alle Vorbereitungsspiele in Adelaide verloren, außerdem mit Dominic Thiem ein durchaus undankbares Los in der ersten Runde in Melbourne gezogen.
Doch Rublev setzte sich durch und erlebte in den vergangene Tagen selbst mit, wie er von Spiel zu Spiel besser wurde. Im Achtelfinale gegen Holger Rune stand der 25-Jährige dann haarscharf vor dem Aus, als er im entscheidenden Match-Tiebreak im fünften Satz bereits mit 0:5 zurücklag. Doch Rublev stand wieder auf, kam zurück und sicherte sich das siebte Grand Slam-Viertelfinale seiner Karriere. Bisher wirkte die Runde der letzten Acht wie eine Schallmauer für den beliebten Russen, denn bei jedem der bisherigen sechs Versuche schied er in genau dieser Runde aus.
Die besten Karten hat er auch in diesem Jahr nicht, das liegt vor allem an seinem Gegner: Mit Novak Djokovic trifft er auf den neunmaligen Sieger des Turniers, zuletzt gewann er die Ausgaben 2019, 2020 und 2021. Nur die Corona-Regeln verhinderten die Teilnahme und möglicherweise den Sieg bei der letztjährigen Ausgabe. Der "Joker" ist beim ersten Grand Slam des Jahres aktuell unantastbar und kommt mit der unglaublichen Empfehlung von 25 Einzel-Siegen in Melbourne in Folge in dieses Viertelfinale. Zudem ist der Joker angekratzt: Denn sein heutiger Gegner Rublev war es, der Djokovic ausgerechnet beim Finale der Serbia Open 2022 besiegte - also beim Heimturnier des Serben.
WTA
Karolina Pliskova (31) v. Magda Linette (45) - 1:00 Uhr
Ohne Satzverlust kam Karolina Pliskova bisher durch die Australian Open 2023, dementsprechend ist die Tschechin auch im Viertelfinale gegen Magda Linette leicht favorisiert. Insgesamt ist es aber ein Duell ohne Beteiligung einer Top 30-Spielerin - ein Symbol für das geschlechterunabhängige Favoritensterben bei dieser Grand Slam-Ausgabe. Neunmal haben die beiden Spielerinnen auf WTA-Ebene bereits gegeneinander gespielt, sieben dieser Matches konnte Pliskova für sich entscheiden. Die Tschechin, der der große Grand Slam-Titel in ihrer Karriere bisher noch fehlt, wird fühlen, dass in diesem Jahr die realistische Chance auf den großen Wurf besteht.
In erster Linie hat sie das ihrem dominanten Spiel zu verdanken, das von sehr starken Aufschlägen (alleine zwölf Asse im Achtelfinale gegen die Chinesin Zhang) und einer kraftvollen Vorhand lebt. Die 30-Jährige scheint genau im richtigen Moment ihre Form wiedergefunden zu haben und hat den Vorteil, bereits große Matches gespielt zu haben. Alleine in Melbourne wäre der Einzug ins Halbfinale kein Neuland für die zweifache Grand Slam-Finalistin, 2019 stand sie bereits in der Vorschlussrunde, doch schied kurz vor dem ersehnten Ziel aus.
Ein klarer Vorteil gegenüber Magda Linette, deren Einzug ins Viertelfinale überhaupt das erste Mal darstellt, dass die Polin die zweite Woche bei einem Grand Slam erreicht hat. Nach Siegen über Mayar Sherif und Anett Kontaveit traf sie spätestens gegen die Russin Ekaterina Alexandrova auf eine sehr starke Gegnerin. Linette zeigte ihr bestes Tennis und hielt großem Druck stand - eine Fähigkeit, die sie auch gegen Pliskova brauchen wird. Richtig beeindruckend war dann aber ihre Leistung gegen die Französin Carolina Garcia, die zuvor Laura Siegemund ausgeschaltet hatte. Sie bezwang die Top 5-Spielerin in zwei Sätzen und steht somit das erste Mal in ihrer Karriere in einem Viertelfinale dieser Größenordnung. Es wird spannend zu sehen sein, ob sich bei der enthusiastischen Polin jetzt die Nerven einschalten.
Aryna Sabalenka (5) v. Donna Vekic (64) - 3:00 Uhr
Obwohl im Viertelfinale zwischen Aryna Sabalenka und Donna Vekic nominell die Weltranglisten-Nummer 5 auf die Nummer 64 trifft, stellt sich die Ausgangslage etwas weniger deutlich dar, wenn man sich den direkten Vergleich der beiden Kontrahentinnen anschaut. Überraschenderweise konnte die Kroatin fünf der sechs bisherigen Duelle für sich entscheiden, übrigens alle davon auf Hartplatz. Trotzdem sollte Sabalenka, die bisher noch keinen Satz im Turnier abgegeben hat, leichte Favoritin auf den Einzug ins Halbfinale sein.
Die 24-Jährige steht in diesem Jahr zum ersten Mal im Viertelfinale der Australian Open, was man durchaus auch im Spiel gegen die Schweizerin Belinda Bencic merken konnte. Wackelige Aufschlagspiele und einige Doppelfehler sorgten dafür, dass Sabalenka sich das Leben selber schwer machte. Ihre Stärken liegen eigentlich im Service: Kommt ihr erster Aufschlag an, kann kaum eine Spielerin auf der Tour etwas dagegen ausrichten. Die Belarussin ist auf eine gute Quote angewiesen, um auch gegen ihre Angstgegnerin eine Runde weiter zu kommen.
Das will Donna Vekic verhindern. Nach dem Viertelfinal-Einzug bei den US Open 2019 steht die Kroatien zum zweiten Mal auf dieser Stufe eines Grand Slam-Turniers. Da in diesem Jaht viele top-gesetzte Spielerinnen bereits ausgeschieden sind, dürfte es sich auch für die 26-Jährige nach einer großen Chance auf einen tiefen Lauf im Turnier anfühlen. Dazu ist Vekic in guter Form: Bereits vor den Australian Open konnte sie alle ihre drei Einsätze beim United Cup für ihr Heimatland siegreich gestalten, zudem zeigte sie auch in der Achtelfinalpartie gegen die junge Tschechin Linda Fruhvirtova sehr solide Leistungen in Melbourne. Wir erwarten trotz der unterschiedlichen Weltranglistenplatzierung ein ausgeglichenes Duell am Mittwoch.