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Anna-Maria Wagner und ihre Zielfahne: "Es war ein langer Weg zurück"

Anna-Maria Wagner.
Anna-Maria Wagner.Profimedia
Fahnenträgerin Anna-Maria Wagner wollte alles hinwerfen. Mit viel Geduld hat die Judo-Weltmeisterin Körper und Kopf wieder in Einklang gebracht.

Anna-Maria Wagner musste sich gewaltig verdrehen, um auf der riesigen Leinwand im Deutschen Haus die Videobotschaft ihres in Übergröße auftauchenden Fahnenträger-Kollegen verfolgen zu können. Doch im Schatten von Dennis Schröder saß die Judo-Weltmeisterin nur scheinbar: Smart und souverän plauderte Wagner zwei Tage vor ihrem großen Auftritt bei der Olympia-Eröffnungsfeier in Paris, spielte sich mit Schröder die Bälle zu - Sport-Deutschland scheint eine doppelt gute Wahl getroffen zu haben.

"Als ich das erfahren habe, ist mir erstmal die Sprache weggeblieben", sagte die 28-Jährige, die direkt vom Bahnhof ins deutsche Domizil im Stade Jean-Bouin geeilt war: "Das werde ich voll erst richtig realisieren, wenn ich dann die Fahne in der Hand halte."

Wichtiges Zeichen für Deutschland

Mit Basketball-Weltmeister Schröder hatte Wagner noch nicht gesprochen: "Aber wir werden schon einen Plan schmieden, wie wir das mit der Fahne machen." Und Schröder, der seinen Job an der Fahne "ein wichtiges Statement für alle, die in Deutschland geboren sind, aber Wurzeln im Ausland haben" nannte, sagte: "Ich werde mich mit ihr in Verbindung setzen - wir brauchen ja eine Taktik."

Für ihre zweiten Sommerspiele hat Wagner freilich bereits eine Taktik. "Ich möchte beides trennen: Erst die Feier genießen und alles aufsaugen. Dann einen Cut machen und mich auf meinen Wettkampf fokussieren", sagte sie. Denn am 1. August will Wagner die schwierigste Phase ihres Lebens endgültig abschließen.

Die deutsche Flagge wird Wagner am Freitag mit Leichtigkeit tragen. Verglichen mit der Last, unter der sie beinahe zerbrochen wäre. "Vielleicht soll es gar nicht mehr sein, dass ich weitermache. Womöglich geht es mir besser, wenn ich aufhöre", habe die Stimme in ihrem Kopf gesagt, hatte sie dem SWR erzählt.

Existenzielle Zweifel als Olympia-Souvenir: Vor drei Jahren in Tokio gewann Wagner Bronze im Einzel und mit dem Team, sie war zuvor schon Weltmeisterin geworden. Doch nach Tokio rutschte sie in eine handfeste Krise, schleichend, aber unaufhaltsam. Im Herbst 2021 war da diese Leere. "Ich hatte keine Lust, mich sportlich zu betätigen oder irgendwas zu unternehmen", berichtete sie, grundlos habe sie geweint.

Corona als persönlicher Tiefpunkt

Der Tiefpunkt war eine Corona-Infektion Anfang 2022: Quarantäne, Tristesse, die Übermacht der dunklen Gedanken. "Das hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen", sagt Wagner. Eine Woche lang habe sie das Bett kaum verlassen, "ich lag einfach nur da". Der Gedanke ans Aufhören wuchs, war mächtig.

Doch Wagner fand eine andere Ausfahrt, sie suchte Hilfe bei einem Sportpsychologen, schrieb sich die Schatten von der Seele, auch öffentlich. Und irgendwann wurden die gestählte Physis und die watteweiche Psyche wieder eine Einheit.

Sportlich ist Wagner ohnehin eine Ausnahmeerscheinung. Im Kampf um das einzige deutsche Paris-Ticket in ihrer Klasse bis 78 kg ließ sie selbst der zweimaligen Europameisterin Alina Böhm keine Chance, in Abu Dhabi holte sie im Mai als erste Deutsche zum zweiten Mal den WM-Titel.

Und nun hat Wagner auch keine Furcht davor, es in Paris mit Frankreichs großer Hoffnung Madeleine Malonga aufzunehmen. Die Depression habe sie "sehr lange begleitet, aber gerade ist sie weit weg", sagt sie: "Es war ein langer Kampf zurück."

 

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